Lügen und andere Wahrheiten in der zeitgenössischen Fotografie

»true lies« in der Orangerie

Echtes Venedig oder doch nur Scheinwelt? Alexander Timtschenkos »Venice IV«.	Foto: A. Timtschenko

Echtes Venedig oder doch nur Scheinwelt? Alexander Timtschenkos »Venice IV«. Foto: A. Timtschenko

Ismaning · Die Orangerie Ismaning, Schloßstraße 3 b, zeigt vom 30. April bis 11. Juli die Foto-Ausstellung »true lies«. Die Fotografie galt in ihrer gut 150-jährigen Geschichte immer als Garant für die wahrheitsgetreue Abbildung der Wirklichkeit – auch wenn mit den Möglichkeiten der Retusche oder Fotomontage der Glaube an den Wahrheitsanspruch der Fotografie bald ernsthafte Risse bekam.

In den 90er Jahren schließlich stürzte dieser Anspruch durch die digitale Revolution in der Bildherstellung vollkommen ein. Seither ist die Fotografie ein Medium, das eine ganz eigene Wirklichkeit erschaffen kann. Dem Bild ist nicht anzusehen, ob bestehende Wirklichkeit reproduziert oder vollkommen fiktiv konstruiert wurde. Für den Betrachter ergibt sich daraus eine Wahrnehmungskrise, die von den Künstlern produktiv genutzt wird. Die Ausstellung »true lies – Lügen und andere Wahrheiten in der zeitgenössischen Fotografie« – stellt alle zwölf Künstler vor, die den Wahrheitsanspruch fotografischer Bilder diskutieren und unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit hinterfragen. Ihre Strategien der künstlerischen Lügen sind oft irritierend und höchst unterschiedlich.

So fotografiert Alexander Timtschenko aus München die Themenparks in Las Vegas – künstliche Welten mit Lebenslügen einer Vergnügungsgesellschaft. Ebenfalls künstliche Welten zeigen die Fotografien von Egbert Trogemann. Er hat über Jahre hinweg eine Serie mit Studioinszenierungen von Fernseh-Talkshows aufgenommen, in der reale Zuschauer zusammen mit der Bühneninszenierung eine neue scheinbare Realität darstellen.

Ursula Schulz-Dornburgs Ausgangsmaterial sind museale Dioramen als Modelle von histroischen Ereignissen, die in ihren Fotos jedoch als primäre Wirklichkeit erscheinen. Sophie Calle erzählt in ihren Fotos Geschichten, die zwischen Realität und Fiktion anzusiedeln sind. Filipa César verwandelt in ihrem Foto-Zyklus »Working with Linda Strüdemann« Alltagsbilder durch minimale Kunstgriffe in entrückte Traumbilder. Harte Realität zeigt Taryn Simon mit den Arbeiten aus einer Fotoserie von vermeintlichen Schwerverbrechern, die aufgrund von Justizirrtümern in den USA verurteilt wurden und deren Unschuld nachträglich bewiesen werden konnte. Simon inszeniert die Betroffenen an den mutmaßlichen Tatorten. Was bei Simon bitterer Ernst ist, inszeniert Yann Toma als hintergründiges Kunst-Spiel. Seine Morde sind choreographierte Schein-Verbrechen mit fein arrangierten Tatort-Fotos. Slawomir Elsner platziert eine Reihe von echten Hochzeitspaaren in die immer gleiche Familie, so dass sich die irritierende Frage nach echt und falsch ergibt.

Die Lügengeschichten die uns die Künstler erzählen, kennen letztlich alle nur eine Wahrheit: Die Wahrheit des entstandenen Bildes, das den Betrachter zwingt, sein kritisches Bewusstsein gegenüber einer unüberschaubar gewordenen Bilderwelt zu schärfen.

Geöffnet ist die Orangerie dienstags bis sonntags von 14.30 bis 17 Uhr.

Artikel vom 14.04.2004
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