Jetzt will die Staatsregierung auch noch beim Ehrenamt sparen

Münchner Jugendarbeit ausgeknockt

Hinter Kinder- und Jugendarbeit steckt mehr, als bloße Freizeitbeschäftigung.

Hinter Kinder- und Jugendarbeit steckt mehr, als bloße Freizeitbeschäftigung.

Es sind Peanuts im Vergleich zum Landeshaushalt. Aber von ein paar Millionen Euro hängt in Bayern ein Großteil der ehrenamtlichen Jugendarbeit ab – und dieses Geld soll möglicherweise Stoibers Spardiktat zum Opfer fallen.

Eine 30-prozentige Kürzung befürchtet der Dachverband der landesweiten Jugendverbände, der Bayerische Jugendring (BJR). Und gerade München wird betroffen sein, sind hier doch knapp 200.000 Kinder und Jugendliche in Sport- und Freizeitverbänden organisiert. Gegen diese Pläne regt sich Widerstand, denn damit würde das Angebot für Kinder und Jugendliche massiv eingeschränkt. „Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer gäbe es beispielsweise kein Essen auf Rädern, keine Nachbarschaftshilfe, keine Besuche in Krankenhäusern, keine Jugendarbeit und auch keine Freiwilligen Feuerwehren, Rotes Kreuz, Caritas und Diakonie, Kolping oder Arbeiterwohlfahrt.“ So malte sich der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) im Dezember 2001 einen Staat ohne freiwilliges Engagement aus. Seine Forderung damals: „Das Ehrenamt braucht viel mehr Beachtung und Anerkennung.“ Schließlich würden die Deutschen jährlich 4,5 Milliarden Stunden unentgeltlich arbeiten, was einen Wert von 214 Milliarden Euro darstelle. Dies könne der Staat nicht ersetzen, so Stoiber damals, im Gegenteil: Der Staat müsse ehrenamtliches Engagement unterstützen. Doch „Wir für uns“ – so der Name für die bayerische Engagement-Kampagne - war vorgestern. In 2004 heißt es „Sparen, Sparen, Sparen“. Schließlich möchte Stoiber mit einem ausgeglichenen Landeshaushalt in den Bundestagswahlkampf 2006 gehen. Um das hinzubekommen, muss der Gürtel so eng geschnallt werden, dass nicht nur Förster, Schüler, Studenten und Polizisten aufschreien. Auch das hochgelobte Ehrenamt muss seine sowieso schon luftigen Geldbeutel ausschütten. Die Mitglieder von Jugendverbänden wollen sich den Sparzwängen jedoch nicht ohne Widerstand ergeben. „Unter dem Motto ,Hier passiert bald nichts mehr’ werden wir am kommenden Samstag gegen diese Sparmaßnahmen protestieren“, erklärt Werner Birkl-Frischhut, Geschäftsführer der Alpenvereinsjugend (DAV). Etwa 18.000 jugendliche Bergsteiger und Kletterer verwaltet er in München, 200 von ihnen sind ausgebildete Jugendleiter und von den Kürzungsplänen besonders betroffen. „Die 30-Prozent-Kürzung können wir nicht eins zu eins auf die verschiedenen Ausgabenbereiche anwenden. Personal etwa ist durch Arbeitsverträge lange gebunden, also müssen wir im kommenden Jahr hauptsächlich bei den Aus- und Fortbildungen einsparen.“ Eigentlich seien diese Maßnahmen unverzichtbar, denn Jugendleiter bräuchten handfeste alpine und pädagogische Fähigkeiten, stellt Birkl-Frischhut frustriert fest. „Die Vielseitigkeit und vielleicht auch die Sicherheit von Leitern und Teilnehmern wird eingeschränkt“, bewertet er deshalb die Zukunft der Jugendleiterausbildung. Um möglichst vielen jungen Menschen die Erfahrungen eines gemeinsamen Gipfelsturmes zu ermöglichen, bildet der DAV bislang bayernweit 60 Jugendleiter pro Jahr aus. „Das sind Leute, die in ihrem Aufgabengebiet und später in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen können“, weiß Birkl-Frischhut. Doch wenn die Sparpläne umgesetzt werden, wird nächstes Jahr niemand zum Jugendleiter geschult werden. Auch Monika Langlechner weiß nicht recht, wie es mit der Jugendarbeit weitergehen soll. Die Diözesanvorsitzende des Bundes der katholischen Jugend (BDKJ) in München und Freising fährt die Mitarbeiterbildung ebenfalls zurück. Gleichzeitig werden viele Teilnehmergebühren drastisch erhöht, „teilweise sind wir gezwungen, die Preise um das Doppelte anzuheben“. Genauso betroffen sind beim BDKJ Orientierungsmaßnahmen für Hauptschulen und die thematische Jugendbildung: „Von Theater- bis hin zu Anti-Rassismus-Projekten – das Angebot wird komplett wegfallen“, befürchtet Langlechner. Doch noch sind die Sparmaßnahmen nicht beschlossen. Genau wie bei den ebenfalls betroffenen Studenten, Förstern oder Polizeibeamten ist es vorerst noch Sache der zuständigen Ministerien, Umsetzungsvorschläge zum Erreichen der Sparvorgaben zu machen. Das Kultusministerium, zuständig für den Etat des Bayerischen Jugendrings, muss 2,5 Prozent einsparen, das entspricht 189 Millionen Euro. Ministeriumssprecher Thomas Höhenleitner gesteht ein, dass ein Streichen nicht einfach ist: „90 Prozent des Etats sind fixe Kosten, etwa durch Personal und hier kann kurzfristig nichts gekürzt werden.“ Die verbleibenden zehn Prozent verteilen sich auf „freiwillige Leistungen“, etwa im Sport- und Jugendbereich. Nicht einmal ein halbes Prozent des Gesamtetats betrug dieses Jahr die Förderung der ehrenamtlichen Jugendverbandsarbeit. Doch zusätzlich zu einer sowieso schon vorhandenen 15-prozentigen „Regelsperre“ soll der Betrag um weitere 30 Prozent gekürzt werden. Von im Moment 25,5 Millionen Euro auf 15 Millionen Euro. Höhenleitner mag diese Beträge allerdings nicht kommentieren: „Wir haben noch keine Zahlen herausgegeben“, die Pläne würden bei der Klausurtagung Anfang Januar in Kreuth beraten. Egal wo entschieden wird, wenn bei der Jugendarbeit gespart werden soll, hat der BJR ein eigenes, ganz simples Rechenbeispiel entwickelt: „30 Prozent Kürzung bedeuten häufig 100 Prozent Substanzverlust.“

Artikel vom 02.01.2004
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