St. Michael lässt Kirchenoper »Philothea« von 1643 wieder aufleben

Wenn Seelen wandern

Allegorien als »lebende Bilder«: So könnte auch die Uraufführung der »Philothea« 1643 ausgesehen haben.

Allegorien als »lebende Bilder«: So könnte auch die Uraufführung der »Philothea« 1643 ausgesehen haben.

Dieses Event dürfte die Wiesn locker in den Schatten stellen: Rund ein Zehntel der Münchner Bevölkerung wirkt aktiv daran mit. Der Rest drängt sich in den Straßen rund um den Marienplatz, um einen Blick auf das Spektakel zu erhaschen.

Nach einem bombastischen Festzug durch die Altstadt beginnt auf der Bühne ein monumentales, dreitägiges Schauspiel mit Musik. Sogar ein »Schauessen« gehört dazu, mit 160 exquisiten Gerichten aus goldenem und silbernem Geschirr.

Wem nun das Wasser im Munde zusammenläuft, der hat sich leider zu früh gefreut – oder eher zu spät. Denn besagtes »Event« fand bereits vor über 400 Jahren statt: 1577 wurde das Oratorium »Esther« in der Münchner Innenstadt aufgeführt. Inszeniert hatte man das Massenspektakel ausgerechnet am Jesuitenkolleg von St. Michael in der Neuhauser Straße.

Dort entstanden im 16. und 17. Jahrhundert viele solche Musikdramen, so genannte »Jesuitenspiele«, die im Gegensatz zur weltlichen Oper stets auf geistlichen Stoffen beruhten. Natürlich waren nicht alle Aufführungen so aufwändig wie die »Esther« und fanden in kleinerem Rahmen, in der Michaelskirche selbst oder im benachbarten Kolleg (Ecke Ettstraße) statt.

Eine dieser »Kirchenopern« ist die »Philothea«, die der Jesuitenpater und Priesterseminarleiter Johann Paullinus Silbermann 1643 komponierte. Genau 360 Jahre später bringt nun Elmar Schloter, Kirchenmusiker an St. Michael, dieses Werk wieder hier zur Aufführung. »Es ist nicht ganz klar, aber sehr wahrscheinlich, dass die ›Philothea‹ auch in St. Michael uraufgeführt wurde«, meint er.

Das Werk sollte jungen Priesteramtskandidaten »den rechten Weg weisen«: Es handelt von der Wanderung der Gott liebenden, menschlichen Seele (»Philothea«) durchs irdische Leben - von teuflischen Anfechtungen, denen die Seele zunächst erliegt, die sie dann aber mit Hilfe der göttlichen Liebe besiegt. »Philothea ist eines der ganz wenigen Jesuitenspiele, zu denen die Musik noch erhalten ist«, erklärt Schloter.

Er hat die Noten selbst rekonstruiert – u.a. anhand einer Abschrift, die der Münchner Komponist Carl Orff 1932 anfertigen ließ. »Orff konnte das Werk nach dem politischen Umsturz von 1933 aber leider nicht mehr aufführen«, bedauert Schloter. So musste die Philothea bis 1995 warten, um in St. Michael erstmals aus der Versenkung geholt zu werden. Zum »Jahr der Bibel« 2003 hat Schloter sie nun zum zweiten Mal aufs Programm gesetzt – aber nicht in szenischer, sondern in konzertanter Fassung.

Die Aufführung ist am Montag, 29.September, um 20 Uhr, in St. Michael, Neuhauser Straße, statt. Karten zu 15 Euro an der Abendkasse. Ruth Maria Eicher

Artikel vom 25.09.2003
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