Ausstellung "Wilde Töchter" im Café Glanz

Haidhausen · Kunst mit Geschichte

„Das Blumenmädchen“ ist das zentrale Motiv in der Ausstellung "Wilde Töchter" von Slavica Kirchner, die demnächst im Café Glanz zu sehen ist. Foto: Slavica Kirchner

„Das Blumenmädchen“ ist das zentrale Motiv in der Ausstellung "Wilde Töchter" von Slavica Kirchner, die demnächst im Café Glanz zu sehen ist. Foto: Slavica Kirchner

Haidhausen · Am Freitag, 26. April, um 19 Uhr, findet im Café Glanz (Sedanstraße 37) eine Vernissage statt. Unter dem Titel "Wilde Töchter" sollen Acryl und Ölmalerei für fast drei Monate ihren Platz in der Einrichtung des Vereins siaf (sozial • integrativ • aktiv • für Frauen) finden.

Die Künstlerin Slavica Kirchner ist vor 31 Jahren, am 8. März 1993, mit ihren zwei Töchtern vom Krieg in Bosnien-Herzegowina nach Deutschland geflüchtet. Nach einigen Jahren - und viel zu spät - wurde Hashimoto bei ihr diagnostiziert. Nach der Diagnose, begleitet von einigen weiteren Symptomen, die diese Autoimmunerkrankung mit sich bringt, sind Kirchners Bilder entstanden. Diese zeigen mitunter Frauen im Portrait. Jedes der Kunstwerke erzählt eine eigene Geschichte. Sie sind unterschiedlich und haben doch einiges gemeinsam: Sie sind schön, sie sind stark, sie sind mutig - und sie sind Frauen.

Eine Busfahrt ins Ungewisse

Es ist der 8. März, Weltfrauentag, ein Tag, an dem Frauen eigentlich Blumen bekommen sollten. Slavica Kirchner ist eine 28 Jahre alte Frau, die ihre Taschen packt. Mehr als zwei können es nicht sein, denn sie hat nur zwei Hände, die sie tragen können. Es sind auch die Taschen ihrer kleinen Töchter, die zwei und acht Jahre alt sind.

Die Große fragt: „Wo fahren wir hin, Mama“? Diese Frage kann die Mutter aber nicht beantworten - denn die drei fahren in eine ungewisse Zukunft, ohne zu wissen, ob und wann und vor allem in welchem Zustand sie ihre Heimat auf dem Balkan jemals wiedersehen. Mit einer Bürgschaft - der Zusicherung einer in Deutschland lebenden Privatperson für Slavica Kirchner und ihre Kinder finanziell aufzukommen - hofft sie die Grenzen überqueren zu dürfen, um hoffentlich in Sicherheit zu sein. An einem Ort, an dem keine Sirenen ertönen, und keine verlassenen Keller als Schutzbunker dienen müssen. Ein Ort, an dem es genug zu essen gibt.

Am letzten Tag vor der Abreise gab es Mandarinen im Supermarkt - eine Seltenheit, ein wahrer Hochgenuss für die kleine Tochter, denn sie verputzt sie alle ganz allein. Als gäbe es nie wieder Mandarinen in diesem Leben. Der Strom ist mal wieder ausgefallen und Kerzen gab es keine mehr zu kaufen. Da heißt es kreativ werden: Ein Stück Stoff dient als Docht und eine halbe ausgehöhlte Kartoffel als Kerze. Etwas Schweinefett und Feuer tun den Rest. Es brennt jetzt ein kleines Licht im Wohnzimmer.

Kartoffelkerze und Šljivovic

„Schnell noch die Papiere zusammensammeln! Was, wenn sie uns nicht über die Grenze aus dem Land lassen? Was, wenn wir bei der nächtlichen Busreise über umliegende Länder aus dem Bus gezogen werden? Was mache ich dann?“, denkt Slavica Kirchner. Es ist 1993, gar nicht so lange her, aber sie hat kein Mobiltelefon oder andere Möglichkeiten Hilfe zu rufen. Sie würde dann mit zwei kleinen Kindern irgendwo im Nirgendwo sitzen, ohne jegliche Kontaktmöglichkeit. Angst und Aufregung machen sich breit. Die Taschen sind gepackt, die Kinder versorgt. Die Unterlagen liegen neben der Kartoffelkerze aus Schweinefett und einer Flasche selbst gebrautem Šljivovic auf dem Tisch. Šljivovic, auch Rakija genannt, ist ein Schnaps, eine Art flüssiges selbstgebrautes Gold des Balkans. Es ist zu wenig Licht im Raum, zu viele Papiere liegen auf dem Tisch - und dieser verdammte Šljivovic! Aus Versehen ist etwas davon auf den Tisch gekommen und hat das Papier vollgetränkt, vor lauter Aufregung an dem Licht der Kerze vorbei. Die Bürgschaftserklärung, sie ist geschwärzt! Nur eine Ecke davon zwar, aber ohne dieses Stück Papier ist ein Grenzübergang nicht möglich. „Wie konnte das passieren?", denkt Slavica Kirchner: "Dieser verdammte Šljivovic, diese verdammte Aufregung. Was, wenn sie sagen, dieses Dokument ist kein Original? Diese verdammte Angst!“

Es kam, wie es kommen sollte, die Mama und ihre kleinen Mädchen sitzen im Bus. Es hat funktioniert und sie hatten Glück - sie wurden nicht aus dem Bus gezogen. Andere hatten weniger Glück: Eine andere Mutter mit ihren zwei Kindern wurde von bewaffneten grün gekleideten Männern aus dem Bus gezogen. Sie waren weg, wohin wusste keiner, es fragte auch keiner. Es war still im menschenvollen Bus, keiner wagte es, auch nur einen Ton von sich zu geben. Man hätte seinen Platz riskiert und wäre auf einer unbekannten dunklen Straße gelandet, irgendwo zwischen den Grenzen, zwischen den Welten.

Deutschland wird neue Heimat

Statt Blumen gab der Busfahrer zum Weltfrauentag Softdrinks an die Frauen aus, was hätte er sonst Gutes in diesem schweren Moment tun können? Er ist gefahren, Stunde um Stunde, Kilometer um Kilometer. Mehr hätte er nicht tun können, ohne sein eigenes Leben zu riskieren. Es ging die Nacht und den Tag hindurch, irgendwann kam die Grenze. Die Kinder warteten im Bus. Der Šljivovic und das geschwärzte Stück Papier haben keinen gestört.

In Deutschland angekommen, war das Erste, was die Kinder essen wollten, eine Banane. Banane, ein seltenes Stück Frucht. Deutschland wurde zur neuen Heimat und die alte Heimat blieb für viele Jahre nur eine Erinnerung. Einen Besuch machte der Krieg im ehemaligen Jugoslawien unmöglich. Tanten, Onkel, Cousinen, Cousins, Omas und Opas wurden Teil der Erinnerung an ein altes Leben in einer alten Heimat, die nicht mehr ist und auch nie mehr sein wird.

Mit über 40 Jahren bekam Slavica Kirchner die verspätete Diagnose Hashimoto - ein Krieg in ihrem Körper, welchen die Schilddrüse verloren hat. Die Schilddrüse ist nicht mehr vorhanden, hieß es. Nach dem Stück verlorene Heimat also ein Stück verlorene Gesundheit.

Information
Die Vernissage der Ausstellung "Wilde Töchter" findet am Freitag, 26. April, von 19 bis 22 Uhr, im Café Glanz (Sedanstraße 37) statt. Der Eintritt ist frei. Anschließend sind die Bilder von Slavica Kirchner bis Freitag, 19. Juli, zu sehen.

Artikel vom 18.04.2024
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