Ausstellung im Einstein Kultur erinnert an 50er und 60er

Kindheit in Haidhausen

Haidhausen nach dem Zweiten Weltkrieg: Im Bild zu sehen ist die Wörthstraße. Foto: Archiv des Haidhausen-Museums

Haidhausen nach dem Zweiten Weltkrieg: Im Bild zu sehen ist die Wörthstraße. Foto: Archiv des Haidhausen-Museums

Haidhausen · Seit zehn Jahren gibt es das Einstein Kultur in den ehemaligen Bierkellern des Unionsbräus. Noch einige Jahrzehnte weiter zurück greift eine Ausstellung, die anlässlich des runden Jubiläums aktuell im Haidhauser Kulturzentrum zu sehen ist: Unter dem Titel „Sputnik explodiert“ präsentiert Hermann Wilhelm Bilder aus den Jahren seiner Kindheit im Viertel.

Die Ausstellung, die am vergangenen Donnerstag eröffnet worden ist, ist mit „Bilderwelten einer Haidhauser Kindheit“ überschrieben. Zusammengetragen hat sie Hermann Wilhelm, der Anfang 1949 in Haidhausen das Licht der Welt erblickte. Der Gründer und Leiter des Haidhausen-Museums ist am Max-Weber-Platz aufgewachsen und gilt als ausgewiesener Experte für die Geschichte des Viertels.

Seine neue Ausstellung hat eine sehr persönliche Note. Sie besteht aus 53 Aquarellen und Gouachen inklusive zugehörigen Kurztexten sowie über 100 Fotodokumenten, ergänzt durch zahlreiche Beschreibungen und Zusatzinformationen. "Das Projekt spannt einen Bogen von eigenen, persönlichen Erlebnissen über Werbung in der Nachkriegszeit, Musik, Comics, Filme und Kinos der 1950er und 60er Jahre bis hin zur Erinnerung an längst verschwundene Haidhauser Gaststätten und Läden", erläutert Wilhelm.

Der Titel „Sputnik explodiert“ bezieht sich auf das erste Heft der im Februar 1958 erschienenen Science-Fiction-Comic-Reihe „Nick der Weltraumfahrer“, die mit Abenteuergeschichten aus dem Jahr 2008 beginnt. "Für uns Kinder war das damals eine faszinierende Serie aus dem Zeichenstift von Hansrudi Wäscher, die in den Zigarettengeschäften und Kiosken vor Ort für 20 Pfennige erhältlich war", erinnert sich Wilhelm.

Wennngleich erst wenige Jahre seit Krieg und NS-Diktatur vergangen waren, fällt das sich plötzlich modern und avantgardistisch gebende Erscheinungsbild zahlreicher Dinge auf: Möbel, Autos, Mode, Musik, Comics, Filme und Zeitschriften setzen neue Standards – und prägen in manchen Fällen das visuelle Erscheinungsbild bis heute.

Ruinen und provisorische Bauten

Überraschend frei würden ihm manchmal die Verhältnisse im Haidhausen der 50er und 60er Jahre erscheinen, meint Wilhelm: "Die zahlreichen, von uns Kindern als ganz normal empfundenen Ruinengrundstücke, provisorischen Bauten und verwilderten Isaranlagen boten nahezu anarchisch anmutende Freiräume."

Die Geschehnisse im Dritten Reich aber haben ihre Schatten auch auf die Kinderwelt des jungen Hermann Wilhelm geworfen. Da gibt es den Selbstmord einer benachbarten Familie, die am Max-Weber-Platz ein kleines Feinkostgeschäft betreibt. Erst viele Jahre später wird klar, dass es sich um eine jüdische Familie handelte, die die Normalität der Nachkriegszeit nach allem Erlebten nicht mehr zu ertragen vermochte.

Kino an der Breisacher Straße

Neben den einschlägigen Kinder- und Jugendbüchern faszinierten Wilhelm in seiner Jugend vor allem die schmalen querformatigen Comic-Hefte für 20 Pfennige. Dazu kamen die Western- und Kriminalfilme, die im „Astoria-Kino“ an der Ecke Elsässer/Breisacher Straße und im „Thalia“ an der Rosenheimer Straße liefen, erzählt der 73-Jährige: "Die wurden von uns als Kinder regelmäßig besucht, von offiziellen Stellen aber massiv kritisiert."

Jede Menge kulturelle Weichenstellungen passierten in den 1950er Jahren, als von den USA herüberschwappend Elvis Presley, Jerry Lee Lewis und Chuck Berry mit Nummern wie „Yailhouse Rock“ oder „Whole Lotta Shakin' Goin' On“ die "alten Nazis, Westerwald-Sänger und Schlagerfuzzis erschreckten", wie Wilhelm aufzählt.

Das Maria-Theresia-Kinderheim am Johannisplatz spiegelt die politisch-sozialen Verhältnisse der Nachkriegszeit wider: Alltäglich marschieren die dunkelhäutigen, von ihren GI-Vätern längst verlassenen Buben, in Zweierreihen zum Unterricht in der Kirchenschule, bekleidet mit Trachtenjanker, Lederhose und hässlichen, weit über die Knie reichenden, braunen Strickstrümpfen. Die Kleidung der ABC-Schützen aber sendet schon wieder andere Signale: Überraschend elegant und zivil erscheinen die frisch eingekleideten Schulanfänger im Jahr 1955.

Die Ausstellung „Sputnik explodiert“ ist bis Samstag, 19. November, in Halle 3 des Einstein Kultur (Einsteinstraße 42) zu sehen, der Eintritt ist frei. Geöffnet ist die Ausstellung donnerstags, freitags und samstags von 19 bis 21 Uhr sowie sonntags von 15 bis 19 Uhr.

Artikel vom 18.10.2022
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