Lehrkräfte aus Neuperlach sammeln Erfahrungen im estnisches Bildungssystem

Neuperlach · Über den Tellerrand geschaut

Die Schüler werden nicht nur geistig gefordert. Die Sportgeräte stehen den Kindern im Klassenzimmer zur Bewegung zwischendurch zur Verfügung. Foto: Gabriele Meßner

Die Schüler werden nicht nur geistig gefordert. Die Sportgeräte stehen den Kindern im Klassenzimmer zur Bewegung zwischendurch zur Verfügung. Foto: Gabriele Meßner

Neuperlach · Willkommen in Estland! hieß es im Mai 2022 dank Erasmus+ für sieben Lehrkräfte aus der Mittelschule am Gerhart-Hauptmann-Ring und dem sonderpädagogischen Förderzentrum Süd-Ost Neuperlach. Denn die Lehrkräfte hatten die großartige Gelegenheit vier Tage an einer estnischen Schule in Tallinn zu hospitieren.

"Vier Vormittage hospitierten wir an der „Ristiku Põhikool“ in Tallinn in unterschiedlichen Klassenstufen und Fächern", erzählt die Mittelschul-Lehrerin Romy Zillober. Die „Ristiku Põhikool“ ist eine allgemeinbildende Schule, die eine Grundausbildung auf der Grundlage des nationalen Lehrplans anbietet und SchülerInnen aus der Stadt Tallinn aufnimmt.

Zusätzlich zum regulären Unterricht (1.-9. Klasse) bietet die Schule Förder- und Sonderförderklassen. Die Klassenstärke beträgt je nach Klassentyp vier, 12 oder bis zu 20 Kinder und Jugendliche. Es besteht eine hohe Durchlässigkeit zwischen den Klassentypen und für jedes Kind wird regelmäßig der passende Förderort bzw. der passende Klassentyp evaluiert.

Zum Schulpersonal zählen neben den regulären Lehrkräften auch LogopädInnen, SozialpädagogInnen, PsychologInnen, Kunst-TherapeutInnen, FreizeitmangerInnen, die ausschließlich zuständig für die Koordination von Ausflügen und Projekten sind, sowie KoordinatorInnen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Jung, dynamisch, digitalisiert

"Innerhalb unserer Hospitationen sahen wir neben klassischem Frontalunterricht auch einige neue Methoden insbesondere für den Einbezug von Bewegung in das Unterrichtgeschehen", so Romy Zillober weiter. "Wir waren überrascht, dass Tablets und Laptops zwar teilweise im Unterricht Verwendung finden aber bei weitem nicht in dem von uns erwartetem Ausmaß.

Spannend zu sehen waren zudem die erstaunlich guten Englischkenntnisse bei einem Großteil der Kinder. "Bereits ErstklässlerInnen konnten sich flüssig mit uns unterhalten", so Zillober. Kein Wunder, denn der Englischunterricht beginnt oft schon im Kindergarten und nichtsynchronisierte englischsprachige Fernsehsendungen fördern das Erlernen der Sprache erheblich.

"Als eins der Highlights bleibt uns eine Einführung in den "Robotik-Kurs" auf jeden Fall in Erinnerung. Hier lernen die SchülerInnen von klein auf das Programmieren von kleinen Robotern", so Romy Zillober begeistert.

In Estland scheint der unbürokratische Einsatz von digitalen Medien und das Vorhandensein eines flächendeckenden Internetzugangs als Selbstverständlichkeit. Denn in Estland garantiert der Staat seit 2000 per Gesetz seinen BürgerInnen einen Zugriff auf das Internet. So verfügen die Schulen in Tallinn sowie auch die „Ristiku Põhikool“ über ein elektronisches Klassenbuch zur digitalen Verwaltung und Kommunikation.

Lehrkräfte, Eltern und auch SchülerInnen erhalten Einsicht über Einträge zum Verhalten, Schulleistungen, Mitteilungen oder Unterrichtsmaterial. Der Staat stellt den Eltern das erforderliche Programm kostenlos zur Verfügung. "Die Kommunikation zwischen Elternhaus und Schule scheint dadurch erleichtert zu werden", stellt Zillober fest und ergänzt: "Uns stellte sich natürlich gleich die Frage nach dem entsprechenden Datenschutz."

Was nehmen wir mit?

"Beim sehr liebevoll zubereiteten Mittagessen, blieb uns viel Zeit für einen offenen und gewinnbringenden Austausch mit den KollegInnen vor Ort über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Bildungssysteme", berichtet Zillober weiter. Das Fazit von diesem Austausch ist für Romy Zillober und ihre KollegInnen: Erasmus+ bietet eine spannende Möglichkeit für professionellen Austausch, Inspirationen und Innovationen für die eigene Schulpraxis, Reflexion und Neubewertung gängiger Klischees und das Erleben anderer Kulturen.

Auffallend für Romy Zillober und ihre KollegInnen war, "dass ein diagnostizierter sonderpädagogischer Förderbedarf ausschließlich durch PsychologInnen und ÄrztInnen dort stattfindet. SonderpädagogInnen sind dazu nicht befähigt." Die Ausbildung zur Lehrkraft in der Sonderpädagogik schein in Deutschland einen stärkeren Fokus auf methodische und didaktische Kompetenzen zu legen. "Auch gibt es in Estland kein Referendariat als begleiteten Übergang von der Universität zur Schule", erzählt Zillober. "Gerade das Referendariat war nach meiner Erfahrung in Bezug auf die Praxis der wichtigste Teil in der LehrerInnenausbildung", so Zillober und ergänzt: Dort lernt man das nötige methodisch didaktische Handwerkszeug und erhält konstant Rückmeldung", erklärt die Lehrerin die Wichtigkeit des Referendariats. Der Besuch hat aber auch in Erinnerung gerufen, das man wieder "mehr Bewegungsanlässe in das eigene Unterrichtsgeschehen implementieren sollte, so Zillober abschließend.

Die deutschen LehrerInnen und PädagogenInnen haben ein Land mit einem großem Herz für Bildung, Internationalität, Individualität, Naturverbundenheit und bester flächendeckender Digitalisierung kennen gelernt und freuen sich, dass die Kooperation mit den estnischen KollegInnen auch im nächsten Schuljahr 2022/23 fortgesetzt wird für noch mehr Input auch für die heimische Schulpraxis.

Was ist Erasmus+?

Das EU Programm Erasmus+ fördert seit 2014 „persönliche Begegnungen, digitalen Austausch und gemeinsame Projekte für Schulen, Kitas und andere Einrichtungen der Schulbildung“ (Deutsche Nationale Agenturen im EU-Bildungsprogramm Erasmus+ o.J.)

„Erasmus+ stärkt und fördert:

  • die europäische Dimension des Lehrens und Lernens
  • Werte wie Integration und Vielfalt, Toleranz und demokratische Teilhabe
  • digitales Lernen
  • ökologische Nachhaltigkeit und umweltfreundliches Verhalten
  • das Wissen über das gemeinsame europäische Erbe und die Vielfalt
  • die Entwicklung professioneller Netzwerke in ganz Europa“ (ebd.)

Wer kann wie teilnehmen?

Jede Schule kann einen Antrag stellen. Notwendig ist dabei eine umfassende Vorstellung und Begründung des Vorhabens.

Eine Anleitung für die Antragstellung ist verfügbar unter https://erasmusplus.schule/foerderung/eine-akkreditierung-beantragen

Artikel vom 06.09.2022
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