Umschulung zwischen Brotzeitbox und Gutenachtgeschichte

Kirchseeon · Chance auf berufliche Weiterbildung

Mehtap Acar hat die Chance zur Weiterbildung genutzt und beim Berufsförderungswerk ihren Traumberuf erlernt. Foto: bfw-muenchen

Mehtap Acar hat die Chance zur Weiterbildung genutzt und beim Berufsförderungswerk ihren Traumberuf erlernt. Foto: bfw-muenchen

Kirchseeon · "Ich brauche eine berufliche Veränderung!" - das stand für Mehtap Acar nach ihrer zweiten Elternzeit fest. Zuvor war sie als Kosmetikerin, Visagistin und Fußpflegerin tätig. Nun wollte sie bewusst einen anderen Weg einschlagen und eine qualifizierte Berufsausbildung beginnen.

"Ich sehe mich als Vorbild für meine Kinder. Und gerade mit der Verantwortung, die ich als Mutter trage, wollte ich ihnen als gutes Beispiel vorangehen", sagt die Münchnerin.

Arbeitsuchend wandte sich Acar nach sechs Jahren Elternzeit an die Agentur für Arbeit. Dort wurde ihr zur Eingliederung in das Berufsleben ein Bildungsgutschein bewilligt, mit dem sie ihren Berufsabschluss nachholen konnte. Gedanken darüber, was sie lernen wollte, hatte sich Acar vorab schon lange gemacht. "Ich habe medizinisches Personal schon immer sehr bewundert", erzählt sie. Nach Recherchen zu den möglichen Berufsbildern unterbreitete sie ihrer Beraterin den Wunsch nach einer Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten.

Mit dem Besuch eines Info-Tages im Kirchseeoner Haupthaus des Berufsförderungswerks (BFW) München machte sie den ersten Schritt in die spätere Ausbildungsstätte. "Ich habe mich im BFW sofort wohlgefühlt", erinnert sich Acar. Anschließend war auch ein bisschen Glück auf ihrer Seite, denn bis zum Ausbildungsbeginn im Juli 2018 musste sie nicht lange warten. Der Ausbildung zum Traumberuf stand nichts mehr im Wege.

Ihr Alltag während der zweijährigen Ausbildung sei hart gewesen. "Ich bin um 5.30 Uhr aufgestanden und habe die Brotzeitbox für meine Kinder vorbereitet. Als ich aus dem Haus bin, haben sie aber noch geschlafen", erinnert sie sich. Mit der Unterstützung ihres Mannes, der sich nun mehr um die Betreuung der Kinder kümmerte, war es ihr möglich, die Ausbildung in Vollzeit im BFW München zwischen 8 und 16 Uhr, freitags bis 12 Uhr zu besuchen. Das Pendeln zwischen der Münchener Innenstadt und dem Kirchseeoner Haupthaus des BFW verkürzte die Familienzeit am Abend zuhause beträchtlich: "Ich habe das Abendessen gekocht, wir haben gemeinsam gegessen, ein bisschen gespielt und dann habe ich auch schon die Gutenachtgeschichte vorgelesen."

Sie selbst habe anschließend wirklich jeden Abend gelernt, oft bis spät in die Nacht. An manchen Tagen habe sie kaum geschlafen. Ganz selbstbewusst meint Acar: "Ja, ich war ein Streber. Aber ich wehre mich gegen das negative Image dieses Wortes. Es zeigt doch meinen Fleiß, meine Stärke und meinen Ehrgeiz." Auch als in der Prüfungsvorbereitungszeit im Frühjahr 2020 die Corona-Pandemie mit all ihren Konsequenzen um sich schlug, musste es irgendwie gehen. Distanzunterricht via MS Teams war angesagt: "Ich saß mit dem Ordner auf dem Balkon, während die Kids in der Wohnung umhertobten." Sehr gut erinnert sie sich an die schriftliche Abschlussprüfung vor der Bayerischen Landesärztekammer in Rosenheim: "Als ich fertig war und den Stift weglegte, musste ich sehr weinen. Aus Erleichterung, Freude und Stolz zugleich. Ich hatte so viel Herzblut in diese Ausbildung gesteckt und viel dafür geopfert. Aber ich hatte es geschafft. Und die Mühe hat sich gelohnt."

Als Kursbeste hat sie die Ausbildung erfolgreich beendet. "Der erste Schritt zu einem möglichen Medizinstudium auf dem zweiten Bildungsweg ist gemacht", sagt Acar ambitioniert und zufrieden zugleich. "Meine Kinder sagen heute, dass sie auch so ein Streber sein wollen wie ihre Mama."

Während des mehrmonatigen Pflichtpraktikums in einer Münchner Allgemeinarztpraxis konnte Acar derart von sich und ihren Kompetenzen überzeugen, dass ihr ein Arbeitsvertrag für die Festanstellung angeboten wurde. Das Schönste am vielfältigen Arbeitsalltag als Medizinische Fachangestellte sei für Acar die Abwechslung: "Es wird wirklich nie langweilig", erzählt sie. Sehr viel Freude bereite ihr der "Kontakt zu den Patienten. Und Blutabnahme", fügt sie mit einem Grinsen hinzu. "Dabei hatte ich beim allerersten Versuch im Kurs richtig Angst. Ich habe die Nadel damals allen Ernstes mit geschlossenen Augen gesetzt." Rückblickend auf die zweijährige Berufsausbildung in Vollzeit im BFW sagt Acar: "Es war ein harter Weg. Aber ich wollte vorwärtskommen! Und wer das will, muss auch einstecken können. Ohne Fleiß kein Preis."

Hintergrund
Das Berufsförderungswerk München (BFW) in Kirchseeon ist ein Zentrum für berufliche Rehabilitation, das heißt, wer z. B. aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in seinem Beruf arbeiten kann, wird hier mit medizinischer und psychologischer Begleitung umgeschult. Bezahlt wird diese verkürzte zweijährige Ausbildung je nach Fall entweder von der Rentenversicherung, den Berufsgenossenschaften, der Agentur für Arbeit oder den Jobcentern.

Artikel vom 21.01.2022
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