Normalerweise arbeitet kaum jemand gerne am Heiligen Abend und den bevorstehenden Feiertagen. Es ist schon sonst genug los in dieser Zeit: Die vielen Vorbereitungen, der Erwartungsdruck allen gerecht zu werden, niemanden und nichts zu vergessen.
Pastoralreferentin Anne Schläpfer ist da eine Ausnahme. Weihnachten den Gottesdienst zu gestalten und mit den Menschen, die ihr anvertraut sind, das Christfest zu feiern, ist immer etwas ganz Besonderes für sie. Kein Kunststück, werden Sie jetzt sagen, wenn es einen Pfarrer oder eine Pastoralreferentin nicht freut, an Weihnachten die Frohe Botschaft zu verkünden, wer soll sich dann noch darüber freuen!?
Ob sich alle Pfarrer an Weihnachten über volle Kirchen freuen, kann ich nicht sagen, aber der Ort an der Anne Schläpfer zum Christfest einlädt unterscheidet sich denkbar von allen Kirchen in München und Umgebung. Sie ist gemeinsam mit ihren Kollegen und Kolleginnen für die seelsorgerische Betreuung der Inhaftierten in der JVA Stadelheim und dem angrenzenden Frauengefängnis zuständig.
Ihre Gottesdienstbesucher sind Menschen, die aus ganz verschiedenen Gründen Schuld auf sich geladen haben und dafür nun im Gefängnis ihre Strafe verbüßen. Gerade für diese Menschen, so Anne Schläpfer, wirkt die Botschaft eines liebenden und verzeihenden Gottes auf eine ganz besondere Art befreiend. Hier geht es nicht um Lokalkolorit – um ein festliches Tüpfelchen auf dem i an den Feiertagen, hier geht es um die einmalige Botschaft Gottes Liebe und Vergebung für sich anzunehmen. Die Menschwerdung Gottes durch die Geburt des Jesuskindes kann zum Angebot werden, selber ein neuer Mensch zu werden und ein altes Leben hinter sich zu lassen. Für viele ist der Gottesdienstbesuch auch der Versuch, sich seinen Lieben zuhause nahe zu fühlen. „Wenn ich auf dieses Weihnachten blicke, fühle ich mich zwiegespalten: Traurig, weil ich natürlich gerne mit meiner Liebsten und meiner Familie zusammen wäre. Hoffnungsvoll, weil ich weiß, dass wir trotzdem irgendwie verbunden sind“, erklärt einer der Inhaftierten.
Warum die Inhaftierten in Stadelheim ihre Strafen absitzen, ist für ihre Arbeit irrelevant. Für die Verurteilung und Bestrafung sind andere zuständig, sie sorgt dafür, dass derjenige Trost und Hoffnung gespendet bekommt, der ihn bei Gott und einem Menschen sucht, der in ihm oder ihr nicht nur den Täter und die Tat sieht, sondern in erster Linie einen Menschen. „Im Seelsorgegespräch wissen die Inhaftierten, dass sie sich ganz öffnen können. Über ihre Sorgen und Nöte sprechen, ohne dass etwas nach Außen dringt, denn ich bin an die seelsorgerische Schweigepflicht gebunden“, berichtet Anne Schläpfer weiter. Wer in Strafhaft sitzt, braucht eine harte Schale, denn der Alltag ist schwierig und entbehrungsreich. Das fängt damit an, dass man in den meisten Fällen nicht die eigene Kleidung tragen kann, nicht Herr über seine Zeit ist, dass eine Tafel Schokolade purer Luxus ist und Privatsphäre fast überhaupt nicht existiert. Gar nicht davon zu reden, dass man seine Lieben nur zweimal im Monat für jeweils eine Stunde sehen und darüber hinaus noch zweimal 20 Minuten mit ihnen telefonieren kann.
Anne Schläpfer ist für viele die Möglichkeit, sich zu öffnen, über die Familie zu sprechen – aus dem Alltag ein wenig auszubrechen und sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Die wöchentlich stattfindenden Gottesdienste sind gut besucht, auch außerhalb der Weihnachtszeit. Für viele einfach eine willkommene Abwechslung zum eintönigen Alltag, aber auch die Möglichkeit mit sich selbst und Gott in Kontakt zu kommen.
Die Zusage, Gott liebt die Sünder, auch wenn er die Sünde hasst, kann heilen lassen und dazu führen, zu Gott zu finden und ein neues Leben zu beginnen. In den meisten Zellen ist von Weihnachten nicht viel zu spüren, zu klein ist der Platz der jedem Häftling zur Verfügung steht, zu beschränkt die Möglichkeiten seinen Bereich zu gestalten. Die Kirche aber ist festlich geschmückt, es gibt Musik und Gemeinschaft. „Die Botschaft von Weihnachten entfaltet hier eine Kraft, die man selten anderswo erlebt und die einen selber froh und beseelt macht“, so die engagierte Pastoralreferentin. Gerade für Menschen, die keine Familie oder Freunde mehr haben, kann dieser Gottesdienstbesuch eine ganz besondere Bedeutung bekommen.
Genau für diese Menschen werden nun Personen gesucht, die Lust haben, ein paar aufmunternde Zeilen zum Start ins neue Jahr zu verfassen. Ein kleiner Gruß, eine hübsche Karte, nur mit dem Vornamen unterschrieben und ohne Adressdaten – die dann an die Häftlinge im neuen Jahr verteilt werden sollen.
Wer hier ein paar Zeilen schreiben will, kann diese an den Münchner Wochenanzeiger, Moosacher Str. 58- 60 in 80809 München schicken, sie werden dann an die Inhaftierten durch Pastoralreferentin Anne Schläpfer weitergeleitet. Das Schlusswort zum Thema Weihnachten sollen die Inhaftierten selber haben: „Dieses Weihnachten wird das erste andere Weihnachten sein und ihm werden andere Weihnachten folgen. Ich habe hier im Gefängnis viel näher zu Gott gefunden.“