Gewerbetreibende unterstützen die Aktion des Bund der Selbstständigen

Bayern · "Lasst uns öffnen"

Thomas Radlmaier, Inhaber vom Autohaus Radlmaier, gehört zu den Gewerbetreibenden. Bild re.: Waldtraud Hiering (l.) und Susanne Röder (r.) vom Vorstand der Gewerbeverbands Unterhaching beteiligen sich an der bayernweiten Initiative. F: Priv / hw

Thomas Radlmaier, Inhaber vom Autohaus Radlmaier, gehört zu den Gewerbetreibenden. Bild re.: Waldtraud Hiering (l.) und Susanne Röder (r.) vom Vorstand der Gewerbeverbands Unterhaching beteiligen sich an der bayernweiten Initiative. F: Priv / hw

Bayern/München · Maria S. hat geweint, nicht das erste Mal in dieser Woche, nicht das letzte Mal in dieser Woche. Aber sie muss sich zusammenreißen, einen Plan für die Zeit danach machen, sich einen Anwalt suchen, der das Konkursverfahren übernimmt, ihre Mitarbeiter entlassen, die Räumlichkeiten, in denen sie vor zehn Jahren ihr kleines italienisches Restaurant eröffnet hat, hat sie bereits gestern gekündigt.

Corona-Erkrankung (COVID-19) mit Virus SARS-CoV-2
Corona (COVID-19) in München und den Landkreisen
Neueste Regelungen, Infos zu Test- und Impf-Zentren, Einkaufsdienste, Bürgerhilfe, u.v.m.

Damit geht ein Traum zu Ende, der sich seit dem März letzten Jahres in einen Alptraum verwandelt hat. Vor rund zehn Jahren hat sich Maria S. nach ihrer Scheidung ihren lang gehegten Traum erfüllt und im Landkreis Freising eine kleine Pizzeria eröffnet. Mit bezahlbaren Gerichten für die ganze Familie und ein paar Schmankerln für den größeren Geldbeutel. Mitte 40 war sie damals, voller Hoffnung und Pläne. Das große Geld hat sie damit nie verdient, aber ihr Lokal war ihr Zuhause, die viele Arbeit hat sie nicht gestört. Mit einem kleinen Team hat sie das Lokal geführt, alles selber gemacht, was selber zu machen ging. Große Rücklagen konnte sie dennoch keine bilden, mal kam ein neuer Herd für die Küche dazwischen, mal die Anschaffung eines neuen Autos, mal musste dringend im Lokal renoviert werden.

Mit dem to-go-Geschäft kann sie nicht einmal ihre Auslagen decken, die versprochenen staatlichen Gelder lassen indes auf sich warten. Irgendwann hat sie angefangen einen kleinen Flohmarkt vor ihrem Lokal aufzubauen, dort im Angebot ihre geliebten bunten Handtaschen, die sie sich immer von ihren seltenen Urlauben daheim am Gardasee mitgenommen hat, ebenso ihren glitzernden Modeschmuck bietet sie dort an und Mode, aus der sie herausgewachsen ist.

Anfangs war ihr dieser Schritt noch peinlich, doch für Scham gibt es keinen Platz mehr in ihrem Leben. Sie muss einkaufen, tanken, leben, überleben. Jeder Euro zählt am Ende des Tages. Sie lächelt, wenn jemand etwas von ihrem Flohmarkt kauft, erzählt etwas von Marie Kondo, und wie befreiend es sei, sich von Dingen zu trennen. Sie hat aufgegeben, lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, hat sie sich gesagt. Natürlich will Maria S. nicht, dass sich jemand in ihrem Lokal mit Corona ansteckt, sie hat die Krankheit nie geleugnet. Aber auch ohne dass sie aufsperren durfte, stiegen die Zahlen. An ihr und ihren Kollegen kann es also nicht alleine liegen, wenn die Pandemie weiter um sich greift.

Wie es nach der Schließung ihres Lokals weitergehen soll, weiß sie noch nicht, jetzt muss sie erst einmal ihren Mitarbeitern reinen Wein einschenken, auch wenn die es längst ahnen. Wenn Maria S. daran denkt, muss sie schon wieder mit den Tränen kämpfen.

So dramatisch, wie sich die Situation für viele Gastronomen darstellt, ist die Lage für den Einzelhandel, der seit Mitte März inzidenzabhängig in verschiedenen Modellen (Click & Collect – Click & Meet) aufsperren durfte, nicht überall, doch auch hier sorgen die beständigen Lockdown-Rufe aus der Politik für steile Sorgenfalten auf der Stirn der Gewerbetreibenden.

Zu ihnen gehört auch Thomas Radlmaier, der in 4. Generation in Perlach das Autohaus Radlmaier als Geschäftsführer leitet. „Von der Schließung der Geschäfte Mitte Dezember bis zur Wiedereröffnung im März haben wir praktisch kein Auto verkauft. Der Werkstattbetrieb durfte zum Glück weiterlaufen, aber diese Situation ist auch für ein gesundes Unternehmen nur schwer zu stemmen“, betont der erfahrene Autohändler. Jetzt heißt es täglich nach dem Inzidenz-Wert schielen, darf man öffnen und wenn ja, wie lange? „Einkaufen soll Spaß machen. Die momentanen Regelungen machen ein echtes Einkaufserlebnis indes schwierig“, erklärt Thomas Radlmaier voller Sorge.

Die Menschen hätten zudem das Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft ein Stück weit verloren, würden ihr Geld lieber sparen und größere Anschaffungen, zu denen ein Auto auf jeden Fall gehöre, eher auf die lange Bank schieben. 23 Mitarbeiter zählt der Betrieb. Zum Glück sei die Werkstatt von den aktuell ständig wechselnden Modalitäten nicht betroffen, doch die Mitarbeiter in Verkauf und Verwaltung befänden sich aus gegeben Anlass teilweise in Kurzarbeit.

Entlassungen habe man so bisweilen vermeiden können, betont der langjährige Leiter des Autohauses Radlmaier froh. Entscheidend sei nun, dass die Politik für vernünftige Rahmenbedingungen sorge, damit der Handel seiner Arbeit nachgehen könne.

In diese Forderung stimmt auch Susanne Röder, Vorsitzende des Gewerbeverbands Unterhaching mit ein. Gemeinsam mit 28 anderen Gewerbeverbänden in Bayern hat sie einen offenen Brief an Ministerpräsident Markus Söder geschrieben, um auf die prekäre Situation aufmerksam zu machen, die sich aus den anhaltenden Schließungen für viele Gewerbetreibenden ergeben hat. Existenzen stehen hier auf dem Spiel, Arbeitsplätze gingen für immer verloren, mahnen die Gewerbeverbände an.

In diesem offenen Brief heißt es unter anderem: „Die aktuelle dritte Welle der Corona-Pandemie erfordert von allen Beteiligten ein umsichtiges Vorgehen, um möglichst viele weitere Todesfälle, sowie eine Überlastung der intensivmedizinischen Kapazitäten in den Krankenhäusern zu verhindern. Darüber hinaus dürfen aus unserer Sicht aber auch die immensen wirtschaftlichen Folgen für unzählige Unternehmen aus den Bereichen Handel, Dienstleistung, Hotellerie und Gastronomie nicht außer Acht gelassen werden. Inzwischen sind sich nahezu alle renommierten Experten einig in der Einschätzung, dass vor allem die Kontakte im privaten Umfeld verantwortlich für die weiterhin hohen Infektionszahlen sind.

Der Handel und die Gastronomie hingegen haben mit ihren überzeugenden Hygienekonzepten bereits im vergangenen Jahr eindrucksvoll bewiesen, dass sie sehr wohl in der Lage sind, ihren Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten. Die inzwischen flächendeckend vorhandene Möglichkeit von Schnelltests entkräftet zudem jene Argumente, die einen unkontrollierbaren Strom von Kunden und Gästen auf Handel und Gastronomie befürchten. Die Bürgerinnen und Bürger im Freistaat Bayern haben, genauso wie die Vertreter von Handel, Dienstleistungsbranche, Hotellerie und Gastronomie, die Corona-Schutzmaßnahmen bisher mit beachtlicher Disziplin mitgetragen.

Inzwischen ist aber die gesamte Bevölkerung an der Grenze der Belastbarkeit angelangt. Um auch in Zukunft im Kampf gegen die Pandemie eine Allianz zwischen Politik und Bevölkerung zu erzielen, ist es aus unserer Sicht notwendig, bisher getroffene Maßnahmen auf den Prüfstand zu stellen (z.B. Überdenken des Inzidenzwertes als alleiniger Richtwert aller Maßnahmen) und neue, unter medizinischen Aspekten vertretbare Wege der zu beschreiten.“ Natürlich leugne niemand die Gefahren, die von Corona ausgingen, doch sei es Zeit, einen Weg zu finden, das Alltagsleben mit dem Virus zu gestalten und einen Weg zurück in die Normalität zu finden, fordert Susanne Röder vom GWU im Namen der Gewerbetreibenden.

Rainer Bisle, der gemeinsam mit seiner Frau Barbara und zahlreichen weiteren Angestellten die Gärtnerei Bisle in Harlaching betreibt, ist enttäuscht darüber, dass der Verkauf von Pflanzen ab sofort wieder genauso vom Gesetzgeber beurteilt wird, wie der Verkauf anderer Konsumgüter. „Es handelt sich um lebende Ware, die besonderen Bedingungen unterworfen ist“, stellt der engagierte Unternehmer fest.

Selbstverständlich habe man in der Vergangenheit alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um einen ungefährdeten Einkauf zu gewährleisten, aber im Einzelhandel werde mit zweierlei Maß gemessen. Während sich in Lebensmittelläden oftmals zu Stoßzeiten wahre Menschenmassen tummelten, muss der Einzelhandel penibel auf die Einhaltung der Abstände achten und bei steigenden Inzidenzwerten die Pforten wieder zusperren. Die neu eingeführte Kontrollpflicht von negativen Coronatests mit gleichzeitiger Anmeldung bei einem Anstieg des Inzidenzwertes über 100 komme quasi einer Schließung gleich, lautet sein Urteil.

Die Forderungen aus der Staatskanzlei seien teilweise realitätsfremd und an den Möglichkeiten des Einzelhandels vorbei geplant. „Außerdem reichen die angebotenen Testkapazitäten bei weitem nicht aus, um allen Kunden die Möglichkeit zu bieten, sich testen zu lassen“, so Rainer Bisle weiter.

Wer als Kunde mehrere Einkäufe vornehmen wolle, müsse diese bei einem anhaltenden Inzidenzwert von über 100 fast strategisch planen, um mit einem negativen Test dann möglichst viel erledigen zu können. Wie viele Menschen das auf sich nehmen werden, sei fraglich, sieht Rainer Bisle schwarz. Von Planungssicherheit sei keine Rede mehr. Wer aber im Vorfeld Pflanzen ziehen müsse, könne nicht tagesaktuell seine Planungen umschmeißen, sondern müsse langfristig planen.

Auch in Ottobrunn haben die Gewerbetreibenden mutig und ideenreich den Kampf gegen die Auswirkungen der Pandemie auf ihre wirtschaftliche Situation aufgenommen. Mit Aktionen wie dem „Frühlingserwachen in Ottobrunn“ werbe man um die Gunst der Kunden, die anstelle von Online-Bestellungen doch vor Ort auf die Möglichkeiten zum Einkauf zurückgreifen sollen. Belohnt werden sie in diesem Fall mit einem Gewinnspiel, bei dem wertvolle Preise winken. Doch alles Bemühen und aller Ideenreichtum sei vergebens, wenn der Kunde nachhaltig verunsichert werde, ob die Läden, die er aufsuchen will, nun zuverlässig offen haben oder nicht, betont Susanne Vordermaier, Wirtschaftsreferentin der Gemeinde Ottobrunn.

Denn auch wenn die Ottobrunner Gewerbetreibenden alle Kanäle nutzen, um mit ihren Kunden in Kontakt zu bleiben und die Wünsche ihrer Kunden so gut wie möglich zu erfüllen, so ist es doch Zeit, dass das ewige Hin und Her endlich aufhört. Genau um diese Gewerbetreibenden ging es dem Bund der Selbstständigen bei seiner Aktion „Lasst uns öffnen“, die Anfang April bayernweit durchgeführt wurden. Die Gesundheit der Bürger und gleichzeitig die Stabilität der Wirtschaft zu schützen, ist in einer Pandemie ein schwieriger Balanceakt. Ein Virus, das sich nur über Kontakte zwischen Menschen verbreiten kann, lässt sich nur durch Impfungen und Kontaktbeschränkungen in den Griff bekommen.

"Viele sind ratlos und hilflos"

Der Lockdown unterbricht aber nicht nur Kontakte und Infektionsketten, sondern verursacht "Kollateralschäden". Davon sind Selbstständige und Mittelständler besonders getroffen: "Jede Woche kostet der Lockdown in Deutschland 40 Milliarden Euro", sagte Dr. Yorck Otto (Präsident UMU - Union mittelständischer Unternehmer) Aktionstag der Initiative "Gemeinsam Zukunft". Die Auswirkungen sind aber nicht nur finanzieller Art, sondern gehen der ganzen Gesellschaft und vielen Bürgern an die Nieren, betonte Susanne Grill. Sie ist Projektmanagerin der Cocoon Hotels und Dozentin für Tourismusmanagement an der Hochschule München und hat die Initiative "Gemeinsam Zukunft" gegründet.

"Ich habe immer gelernt, nach vorne zu blicken und optimistisch zu sein", sagte Grill, "diese Perspektive ist in den letzten Wochen komplett verloren gegangen. Ich sehe Menschen, die keine Perspektive haben, die hilflos und ratlos sind." Sie fordert sinnvolle, transparente und gerechte Maßnahmen. Wenn manche Branchen weniger eingeschränkt werden als andere (z.B. wenn Supermärkte verkaufen, Fahrradhändler aber nur noch reparieren dürfen), sei das eine Wettbewerbsverzerrung. "Wir können nicht einfach hinnehmen, dass der Lockdown die einzige Lösung ist, die Pandemie zu bekämpfen", unterstrich Grill. "Wir wollen sinnvolle Öffnungen mit Hygienekonzepten."

MdL Martin Hagen (Landtagsfraktionsvorsitzender FDP) kritisierte, dass der Lockdown immer wieder verlängert wurde. "Wir müssen uns aus dieser Logik des Lockdowns verabschieden", sagte er. Die Tests ließen mehr öffentliches Leben zu.

"Vor allem müssen wir weg von der Fixierung auf den Inzidenzwert", ergänzte Hagen, "er kann nicht das alleinige Kriterium sein." Gabriele Sehorz (Präsidentin des BDS - Bund der Selbständigen) brach eine Lanze für die im BDS organisierten Unternehmer: "Sie wissen, an ihnen hängen über 70 Prozent aller Arbeitsplätze in Bayern und dafür kämpfen sie mit Herzblut." Viele setzen gerade ihre Existenz aufs Spiel, um in der Pandemie vernünftige Entscheidungen mitzutragen. "Unsere Unternehmen haben viel getan: Betriebe heruntergefahren, Hygienekonzepte ausgearbeitet und viel Geld investiert", so Sehorz, "wir haben Modelle, mit denen wir öffnen können. Lasst uns - mit Sachverstand und Gesundheitsschutz - öffnen!" hw/jb

Artikel vom 12.04.2021
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