Kathrin Guni (35) absolviert im Berufsförderungswerk die Umschulung zur Technischen Produktdesignerin

Leidensgeschichte mit Happy End

Kathrin Guni (35) absolvierte im Berufsförderungswerk München die Umschulung zur Technischen Produktdesignerin. Foto: BFW

Kathrin Guni (35) absolvierte im Berufsförderungswerk München die Umschulung zur Technischen Produktdesignerin. Foto: BFW

Kirchseeon · Sommer 2011. Die 25-jährige Kathrin Guni unternimmt eine Urlaubsreise nach Mittelamerika. Eine gebuchte Tagestour in den mexikanischen Dschungel wird zum unvergesslichen Erlebnis. Was für eine endlose Leidensgeschichte dieser Ausflug nach sich zieht, ahnt die junge Frau zu diesem Zeitpunkt nicht.

"Ich war die meiste Zeit barfuß unterwegs", erzählt sie. "Die Tour in eine Höhle hin zum kristallklaren Wasser, von dem die Mayas tranken, war unbeschreiblich!" Der kleinen Wunde, die sie sich dabei am rechten Fuß zugezogen hatte, maß sie wenig Bedeutung bei. Ihr Fuß schwoll über Nacht jedoch stark an und noch mehr nach dem mehrstündigen Flug zurück nach Deutschland.

Mit Schmerzmitteln schleppte sie sich wie selbstverständlich zurück an ihren geliebten Arbeitsplatz. Die Ingolstädterin ist gelernte Lackiererin und arbeitete als solche dauerhaft in der Nachtschicht bei Audi. "Für mich war das der Jackpot", sagt sie. "Die Arbeit hat mir total Spaß gemacht und ich habe sehr gut verdient." Aber die Tätigkeit in der Produktion bedeutete acht Stunden Stehen und war körperlich anstrengend.

Zu anstrengend, als Gunis Beschwerden nicht nachließen. Beim ersten Check beim Hausarzt seien die Blutwerte "völlig durcheinander" gewesen. Acht Wochen später dann der Schock beim Orthopäden: "Ich sah auf dem Röntgenbild, dass die Hälfte meines Vorfußknochens fehlte. Der Knochen war einfach weg." Die dringende Operation zur Rettung des Fußes erfolgte sofort, in der dabei entnommenen Gewebeprobe wurde eine bakterielle Infektion nachgewiesen. Der Befund sei deutschlandweit untersucht worden - aber das Bakterium konnte nie eindeutig identifiziert werden.

Es folgten mehrere Monate Krankenstand: "Ich konnte zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht laufen. Mein wichtigstes Ziel war es jedoch immer, schnellstmöglich wieder zu arbeiten", erzählt Guni. Ihr Team habe sie bestmöglich unterstützt, ihr weniger anstrengende Aufgaben zugeteilt. Doch sie musste die mehrfachen Wiedereinstiegsversuche immer wieder aufgeben. "Ich habe alles gegeben, aber ich war megaeingeschränkt und hatte ständig Schmerzen."

Die Infektion hatte sich trotz verschiedenster Antibiosen über die Blutbahn im Körper verteilt. Dadurch wurden weitere Gelenke in Mitleidenschaft gezogen: "Ich konnte teilweise gar nicht mehr greifen und mich kaum bewegen". Jahrelang sei sie bei sämtlichen Spezialisten "auf der Jagd nach einer Diagnose" für ihr Leiden gewesen, aber bis heute gäbe es keine eindeutige Diagnose. Man vermutet eine durch eine Infektion ausgelöste Form von Rheuma. Im Knie seien "beide Menisken einfach verschwunden und der komplette Knorpel weg". Nach einer Operation am linken Knie 2015 war an Arbeit nicht mehr zu denken.

Auf der unumgänglichen medizinischen Reha wurde Guni vom Sozialdienst dringend zu einer Umschulung geraten. "Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich noch mit Händen und Füßen dagegen wehren wollen", erinnert sie sich. Sie sei schüchtern und introvertiert gewesen und hätte "Angst vor der Veränderung" gehabt.

Nachdem die Umschulung von der Deutschen Rentenversicherung bewilligt war, kam sie im Januar 2017 "ehrlicherweise eher widerwillig" zur zweiwöchigen Berufsfindung und Arbeitserprobung nach Kirchseeon ins Berufsförderungswerk (BFW) München. "Als uns der Beruf des Technischen Produktdesigners vorgestellt wurde, war ich aber richtig geflasht", erzählt sie und strahlt. Die Testungen wiesen ihr zudem ein sehr gutes räumliches Denkvermögen aus und den körperlichen Anforderungen der Arbeit am PC sollte auch ihr Handgelenk standhalten können. Begonnen hat Guni die Umschulung mit einem dreimonatigen Reha-Vorbereitungskurs.

"Der war rückblickend ganz wichtig für mich", sagt sie. Der Weg vom Internatszimmer zu den Ausbildungsräumen im BFW sei anfangs noch sehr beschwerlich gewesen, das Schreiben fiel ihr noch schwer und auch die tägliche Routine sei ihr über die Jahre des Krankenstands verloren gegangen. Mit der Zeit habe sie "gut in den Ausbildungsalltag reingefunden" und habe sich letztlich sehr wohl im BFW gefühlt.

Im zweijährigen Hauptkurs sei sie fachlich zunächst überfordert gewesen und habe sich bei Fächern wie z. B. Fertigungstechnik und Maschinenelemente "regelrecht durchschleppen müssen". Aber irgendwann hätte "all das, was die Lehrer so erzählen, auf einmal einen Sinn ergeben" und sie hatte richtig Freude an den Herausforderungen dieses schwierigen Ausbildungsberufs gefunden. "Es hat mir gefallen, dass es knackig war", sagt sie schmunzelnd.

Den Rat der Dozenten "Bleibt dran!" habe sie von Anfang an sehr ernst genommen und im Kurs immer gut mitgemacht. Am meisten Spaß hatte sie am CAD-Zeichnen und an den Projekten. Nach dem Unterricht sei sie oft in der Physiotherapie im BFW gewesen. Und sie habe richtig gute Freunde gefunden. "Ich bin irgendwann sogar regelmäßig übers Wochenende im BFW geblieben", sagt die so in ihrer Heimat mit Familie und Freunden verwurzelte Ingolstädterin. Am Ende sei sie "sogar schweren Herzens" aus dem Internat ausgezogen" und ins sechsmonatige Praktikum gestartet. Mehrere Zusagen hatte sie sich gesichert, sich aber doch für Audi entschieden. "Ich bin eben Audianerin mit Leib und Seele", sagt sie lächelnd.

Für die Umschulung hatte sie mit Ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag mit Wiedereinstellungsgarantie unterzeichnet. Nach der erfolgreich bestandenen Abschlussprüfung im BFW startete sie im Sommer 2019 in ihrer heutigen Position als Entwicklungsassistentin in der Konzeptauslegung für das Fahrzeuginterieur.

Als Technische Produktdesignerin sei sie "die Schnittstelle zwischen Technik und Design": "Hier werden alle Anforderungen unter einen Fahrzeughut gebracht und das Auto virtuell zusammen gebaut", erklärt sie. Ihr aktuelles Projekt ist das Nachfolgermodell des Q3. "Es macht wirklich super viel Spaß. Ich kann mich dabei unheimlich weiterentwickeln und merke, wie aus meiner langjährigen Unsicherheit immer mehr Selbstbewusstsein wächst", sagt sie und strahlt.

Guni steckt all ihre Energie in ihre Arbeit. Den Arbeitstag meistert sie ohne fremde Hilfe, spürte stressige Zeiten aber durchaus auch körperlich. Eine Sondergenehmigung zum Parken direkt am Tor sei eine große Erleichterung. Zuhause habe sie eine Haushalts- und Einkaufshilfe. Mit dem geschädigten Fuß und Knie falle ihr Gehen zeitweise sehr schwer und sie brauche ziemlich lange, um aus der nächtlichen Ruhephase heraus wieder in den neuen Tag zu starten. Mit dem kranken Handgelenk kann sie nichts Schweres tragen - in welchem Maß zeigt die Tatsache, dass sie froh ist, dass es auch Pappbecher am Kaffeeautomaten in der Designer-Kantine bei Audi gibt - eine Tasse könne sie nicht schmerzfrei halten.

An ihre Zeit im BFW denkt Guni sehr gerne zurück und hält regelmäßig Kontakt zu den Ausbildern und Kurskollegen. "Ich hatte schlussendlich unfassbares Glück! Niemals hätte ich mir vorstellen können, so weit zu kommen", sagt sie stolz. Die Reise nach Mexiko, die für sie und ihr Leben einen derart großen gesundheitlichen wie beruflichen Wendepunkt mit sich brachte, bezeichnet sie übrigens als "den schönsten Urlaub ihres Lebens".

Artikel vom 01.04.2021
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