1860-Stadionsprecher lässt das Mikrofon liegen

Stefan Schneider will zurück in die Kurve

Vollblutlöwe: Stefan Schneider. Foto: Anne Wild

Vollblutlöwe: Stefan Schneider. Foto: Anne Wild

München/Giesing · Es gibt keinen Eishockey- oder Fußballfan in der bayerischen Landeshauptstadt, der Stefan Schneider nicht kennt. Von August 1993 bis März 2021 moderierte Schneider, lediglich von einer Saison unterbrochen, 28 Jahre lang die Heimspiele des TSV 1860 München – 602 an der Zahl. Jetzt wechselt der 58-Jährige auf eigenen Wunsch vom Spielfeld in die Kurve, will künftig nur noch Fan sein. Der Mann mit der markanten Stimme ist nach Jahrzehnten an Stadion- und Hallenmikrofonen selbst zu einem Stück Münchner Sportgeschichte geworden.

Er präsentierte bei den Löwen nicht nur das Geschehen rund um das Spiel, Schneider interviewte auch gewandt und mit persönlicher Note Spieler und Funktionäre im Rahmenprogramm, moderierte Talkshows von Sponsoren und stellte das Musikprogramm für die Heimspiele zusammen. Seine musikalischen Lieblingsgenres Classic-Rock und Schlager erwiesen sich für den Autor dieser Zeilen mitunter als harte akustische Leidensprüfung, die aber immer wieder verziehen wurde. Mit einer Ausnahme vielleicht: die grauenvolle Umdichtung des italienischen Partisanen-Klassikers »Bella Ciao« auf den TSV 1860 München, dieses Sakrileg im Stadion gespielt zu haben, muss ich ihm noch eine Weile nachtragen.

Stefan Schneider ist ein Kind des Privatradio-Booms in den 1980er Jahren. Fünfzehn Jahre lang war er für verschiedene Sender als Musikredakteur und Moderator tätig. Dann zog es den Sportbegeisterten in Hallen und Stadien, zum Eishockey und zum Fußball: Live-Moderationen vor einem großen Publikum. Im Grünwalder Stadion, im Olympiastadion, in der Allianz Arena – überall hinterließ Schneider als Stadionsprecher des TSV 1860 München seine Spuren. Er verstand es wie kein Zweiter mit den Besuchern zu interagieren und setzte damit früh Trends. Zu einer Zeit, als andernorts nüchtern Aufstellungen aus scheppernden Lautsprechern vorgelesen wurden, hat Schneider die Präsentation bewusst inszeniert. Vieles von dem, was heute in Moderationen in Sportstadien allgemein üblich und verbreitet ist, findet seinen Ursprung bei Stefan Schneider.

Der Betreiber einer eigenen Marketingagentur weiß, wie man ein Publikum abholt. Volkstümliche Moderationen im besten Sinne sind seine Spezialität. Brauereien auf dem Münchner Oktoberfest und Hersteller von Trachtenmode schätzen Schneiders Erfahrung und Talent. Auch beim Deutschen Fußball-Bund und beim Deutschen Eishockey-Bund griff man gerne auf seine Dienste zurück. Schneiders Erfolgsgeheimnis? Er kommt einfach bei allen gut an. Den sympathischen Mann mit der blondierten Strubbel-Mähne, die er seit Jahrzehnten konsequent nach dem Vorbild des britischen Popkünstlers Rod Stewart trägt, nicht zu mögen, ist nahezu unmöglich.

Schneider ist am Mikrofon ein Vollprofi alter Schule, stellt sich selbst nie in den Mittelpunkt, dient seinem Publikum. Unsichere Bühnengäste begleitet er gekonnt und emphatisch durch ihren Auftritt, Quasselstrippen bremst er lässig und mit aller Erfahrung auf ein für die Zuhörerschaft erträgliches Maß ein. Eigentlich wäre Schneider immer auch ein Mann für das Fernsehen gewesen. Überraschend, dass das nie geklappt hat. Man kann ihn sich heute noch wunderbar als Moderator einer klassischen Sportsendung vorstellen. Oder in einer bunten Phantasietracht steckend, eine Schlagersendung präsentierend. Schneider kann nämlich beides. Als Dozent in der Ausbildung von Journalistennachwuchs mit Schwerpunkt Moderation wäre der Erfinder des populären Vereinsslogans »Münchens große Liebe« ebenfalls ein Gewinn. Von Schneider können alle noch was lernen.

(as)

Artikel vom 24.03.2021
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