Ein sprödes Jubiläum

Oberding-Schwaigermoos · Wie Schwaigermoos „abgesiedelt“ wurde

 Provokation: Sogar die Ortstafeln an den Ortseingängen sind vor Jahren schon mal abmontiert worden. Dabei steht das Dorf noch. Rechts: Schwaigermoos hatte mal 65 Einwohner. Wie geht es mit dem Dorf weiter? Fotos: kw

Provokation: Sogar die Ortstafeln an den Ortseingängen sind vor Jahren schon mal abmontiert worden. Dabei steht das Dorf noch. Rechts: Schwaigermoos hatte mal 65 Einwohner. Wie geht es mit dem Dorf weiter? Fotos: kw

Oberding · Es ist ein sprödes Jubiläum werden in Schwaigermoos (Gemeinde Oberding) im Jahr 2021. Jetzt ist es nämlich zehn Jahre her, dass gegen das kleine Dorf, das einmal 65 Einwohner gehabt hat, das Todesurteil verhängt wurde. Ungefähr zumindest, denn was hier passiert, ist ein schleichender Prozess.

Seit den 70er Jahren schon kauft die Flughafengesellschaft alles auf, was sie kriegen kann. Das war die Vorbereitung zum Bau der dritten Start- und Landebahn. Schwaigermoos wurde „abgesiedelt“, wie das im Amtsdeutsch heißt. Würde die Runway gebaut, würde es bei dem Lärm auch niemand mehr aushalten.

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Heute sind gerade mal noch sechs Bürger in Schwaigermoos gemeldet. Sogar die Ortstafeln an den Ortseingängen sind vor Jahren schon mal abmontiert worden, was als Provokation empfunden wurde. Sie wurden ersetzt. Aus Trotz, wie der damalige Bürgermeister Helmut Lackner durchblicken ließ und die Tat Souvenirjägern zuschrieb. Diese könnten jetzt sogar einen Beute-Fehlgriff getan haben, denn jetzt könnte es doch ganz anders kommen, nachdem sich immer mehr Politiker auch und gerade der CSU von dem Projekt einer dritten Startbahn verabschieden. Dann könnte dabei heraus kommen, dass ein ganzes Dorf für nichts und wieder nichts platt gemacht, abgesiedelt worden ist. Die Menschen haben völlig umsonst ihre Heimat verlassen und sich bis in die Mainburger Gegend verteilt, wie vor wenigen Jahren bei einem Treffen in Eitting deutlich wurde.

Auch wenn Schwaigermoos dann das Schicksal von Franzheim erspart bleibt, das bekanntlich komplett unter einer Betondecke verschwunden ist, ist hier doch ein komplettes Dorf kaputt gemacht worden, wird damit für nicht wenige zu einem Symbol der Hybris, zu einem Denkmal für eine menschenverachtende Planung. Nicht alle Häuser stehen noch, etliche sind bereits abgerissen. Um den Rest sind Bauzäune gezogen, Zugänge mit Schlössern versehen, Kameraüberwachung soll Vandalismus abhalten. Das Betreten der „Baustelle“ ist verboten. Dabei baut dort niemand. Im Gegenteil: Die Natur hat längst begonnen, sich diese Siedlung zurückzuholen, der Verfall dominiert, bewohnbar ist kein einziges der Gebäude mehr.

In einigen hängen noch vergilbte Gardinen, bei anderen beginnt bereits das Dach zu bröckeln. Immer wieder erbarmt sich wohl jemand und mäht das hohe Gras um die Gebäude ab, die Felder dazwischen werden tatsächlich noch bestellt. Was aber wohl nicht verhindert werden kann, ist, dass bestimmte Zeitgenossen die Flächen als Mülldeponie missbrauchen.

Als die Redaktion das Geisterdorf aufsuchte, standen jedenfalls zwei große Kanister mit einer zweifelhaften Flüssigkeit, wahrscheinlich Altöl, unter einem Busch neben dem Maibaumständer. Von Schwaigermoos geht der Blick geradewegs auf den Nachbarort Eittingermoos (Gemeinde Eitting). Hier erlebt der Besucher das Kontrastprogramm: Eine Kirche, Anschlagtafeln, an denen tatsächlich noch was steht, Autos in den Einfahrten, frische Blumen auf dem Friedhof. kw

Artikel vom 15.01.2021
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