Die Geschichte eines Hauses in der Lerchenau, das heute nicht mehr existiert

Ein Lerchenauer erzählt aus seinem Leben

Die Lerchenau ist ein Stadtteil voller Geschichten. So auch die des Lerchenauers Rudolf Ketterl. Foto: Daniel Mielcarek

Die Lerchenau ist ein Stadtteil voller Geschichten. So auch die des Lerchenauers Rudolf Ketterl. Foto: Daniel Mielcarek

Lerchenau · Am 13. Januar 1926 hat mein Vater Josef Ketterl von Herrn Johann Gassner das Grundstück Pl. Nr. 1050 „Oberer Taxeracker östlich der Bahn“ und dann die Erweiterungsfläche 1049 1/3 „Am Eggerer östlich der Bahn“ käuflich erworben, darauf ein Wohnhaus gebaut, sich am 1. Juli 1927 verheiratet, ist dort eingezogen und hat eine Familie gegründet.

Von der Gemeinde Feldmoching erhielt das Anwesen die Bezeichnung „Georginenstraße 465“, in der Lerchenau, wo ich dann 1935 zur Welt kam. Bereits 1933 hatte mein Vater ein Zimmereigeschäft und die Mutter einen Flaschenbier- mit Rauchwarenhandel eröffnet. Eine kolossale Unruhe brachte für die hier lebenden Bürger die Planung des europaweiten Verschiebebahnhofes auf unserem Wohngebiet. Betroffen war die bereits komplett bestehende Eggarten-Wohnsiedlung mit südöstlichem Lerchenau Anschluss, nämlich Schittgabler-, Flur- und Georginenstraße (heute Heidelerchen- und Berberitzenstraße), wo wir uns befanden.

Mit der strikten Aufforderung, die Zäune der Straßenfront um mehrere Meter einzurücken, kam auch die Nachricht über die Verlegung der Gleisanlage weiter nach Osten, nämlich in die Mitte unserer Georginenstraße. Also vor die Häuserfront, wo sich eigentlich Eingänge und Zufahrten befanden, die alle eigenständig umgestaltet werden mussten, wobei Vorgärten rigoros zerstört wurden. Dabei wurde sofort von Süden her mit der Kiesaufschüttung straßenmittig begonnen, worauf der Gleisstrang gebaut wurde und somit beidseitig auch neue Zufahrtstraßen entstanden. Im kaum 10 m Abstand vom neu versetzten Industriegleis standen plötzlich die vorhandenen Wohnhäuser, in denen eben nach wie vor, auch heute noch, die hier lebenden Menschen dem sich ständig steigernden Zuglärmgeratter machtlos ausgesetzt sind.

Dieser Gleisumsetzer erfolgte im Hau-Ruck-Verfahren, sicherlich diktatorisch – ohne Plangenehmigung. Es war etwa die Zeit des Kriegsbeginns 1939/40 und ich erinnere mich genau an die Misere „Zaunversetzung“ mit meinem Vater. Es dauerte nicht lange, da kam die erschütternde Aufforderung zum „Verlassen der Heimat auf immer“ klar und deutlich für Besitzer und Mieter „wer nicht weg ist, wird mit Kies zugeschüttet“ war die deutliche Aussage.

Zugleich wurde die Grundstücksablöse mit 1,61 RM vorgegeben. Voller Aufregung haben alle in allen Richtungen nach neuen Unterkünften gesucht, wobei meine Eltern auch mit lmmobilien Bergmeier verhandelten, sich aber für das Grundstück an der Adolf-Hitler-Straße – heute Waldmeisterstraße – entschieden, welches dann von der Stadt München schon am 10. Juli 1941 zum Preis von 2,20 RM je qm erworben werden konnte. Schon vorher waren 5500 RM fällig, sicherlich kam vieles von Verwandtschaft und Freunden, denn die Banken gaben nichts. Dabei hat die Deutsche Reichsbahn schon mit Erklärung vom 24. Mai 1941 ganz massiv angedroht, die bewohnten Häuser jeden- falls nach zwei Monaten im Juli abzureißen. Dieses Vorhaben wurde auch an der Schittgablerstraße begonnen, aber nicht exakt durchgeführt.

Das Durcheinander war groß, die Zeit ging dahin und die urkundliche Übertragung unseres Anwesens an die Bahn kam erst am 18. Dezember 1942 zustande, wobei die Zahlung noch später erfolgte. Die Planung mit anschließendem Baubeginn an der Waldmeisterstraße erfolgte aber schon 1 1⁄2 Jahre eher, eben ab Grundstückskauf 10. Juli 1941, wobei viele Vorschriften, wie z.B. die Bezugscheinzuteilung für den Baumaterialbezug, alles behinderten. Pickel, Schaufel und Schubkarren waren unsere Ausstattung für die handbetriebliche Baugrubenaushebung und Kellerbetonierung.

Dabei erzwang die sich steigernde, feindliche Heimatbombardierung immer mehr Unterbrechungen, brachte Gebäudeschäden und sogar Tötung von unschuldigen Frauen und Kindern in den zerstörten Kellerräumen. Dazu kamen niederschmet- ternde Nachrichten aus den Kriegsgebieten über verletzte Familienangehörige, Vermisste und sogar Gefallene.

Als dann das lang ersehnte Kriegsende kam, gab es oft die zermürbende Mitteilung über weiter anschließende Kriegsgefangenschaft, statt der sehnsüchtig erwarteten Heimkehr; womit sich dann leider oft kein Wiedersehen mehr ergab und die Namen auf Steintafeln gemeißelt werden mussten.

Lange vorher schon entwickelte sich aber die Lerchenauer Entstehungsgeschichte, wo sich um 1900 vier Gärtner ansiedelten und auch andere Bürger den Zuzug wagten, die dann mit Nachbarschaftshilfe voller Begeisterung sich meist schon im Eggarten den Häuslebauern anschlossen. Karl Dorp war aber der erste Lerchenauer Anlieger an der Schittgablerstraße entlang der späteren Aronstabstraße mit seinem Junior als hier 1896 - „Erstgeborenen“ – wobei sich die Familie zeitlebens hier gärtnerisch betätigte und deren Enkelin, unsere charmante Helga Bank, auch heute noch in der Lerchenau beheimatet ist.

Aufgrund einer am 19. Mai 1919 vom Innenministerium offiziellen Beurkundung als „Kolonie Lerchenau“ werden sich wohl demnächst auch hier wieder einige Feierlichkeiten ergeben. Dies umso mehr, nachdem wir unseren hochgeschätzten Herrn Michael Schaller als sehr angesehenen, ehrenvollen Siedler und Bürgervereinsfreund gleichfalls zu seinem 100. Freudenfest beglückwünschen.

Artikel vom 02.06.2019
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