"Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur“

Altstadt · Neue Ausstellung: Ödon von Horváth und das Theater im Deutschen Theatermuseum

Schauplätze von Ödön von Horváths Literaturwelten sind in der Ausstellung sehr anschaulich zu sehen: etwa „Oskars gediegene Fleischhauerei“. Foto: KHM-Museumsverband

Schauplätze von Ödön von Horváths Literaturwelten sind in der Ausstellung sehr anschaulich zu sehen: etwa „Oskars gediegene Fleischhauerei“. Foto: KHM-Museumsverband

Altstadt · Ödön von Horváth hat sich als „Chronist seiner Zeit“ gesehen und an einer steten „Demaskierung des Bewusstseins“ mittels Literatur gearbeitet. Mit seiner Durchdringung der kleinbürgerlichen Sprache, pointiert gefasst im Begriff des „Bildungsjargons“, seiner konzisen Sprachkritik und seinen „irren Sätzen“ (Peter Handke) wirkte er stilprägend für die deutschsprachige Literatur nach 1945.

AutorInnen wie Peter Handke, Peter Turrini, Wolfgang Bauer, Franz Xaver Kroetz, Werner Schwab, Elfriede Jelinek, Felix Mitterer, Dea Loher und René Pollesch stehen deutlich in der dramatischen Nachfolge Horváths. Ödön von Horváth gehört heute zu den meistgespielten Dramatikern auf deutschsprachigen Bühnen. Stücke wie Italienische Nacht, Geschichten aus dem Wiener Wald (beide 1931) und Kasimir und Karoline (1932) wurden bereits zu Lebzeiten des Autors als Erneuerung des Volksstücks gefeiert. Eine Ausstellung im Deutschen Theatermuseum in der Galeriestraße 4a in den Hofgartenarkaden) zeigt seit 24. Mai bis 17. November 2019 die Ausstellung "Ödön von Horváth und das Theater". Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland bedeutete für seine noch junge, vielversprechende Karriere als Dramatiker einen jähen Abbruch. Seine Stücke wurden im reichsdeutschen Gebiet nicht mehr gespielt, bereits geplante Uraufführungen abgesagt, sodass er sich dazu gezwungen sah, sich im reichsdeutschen Filmbetrieb als Drehbuchschreiber zu verdingen. Die dabei gemachten Erfahrungen führten zu seiner radikalen Abkehr vom Deutschen Reich unter den Nationalsozialisten. Mit Stücken wie Mit dem Kopf durch die Wand (1935), Figaro läßt sich scheiden und Don Juan kommt aus dem Krieg (beide 1936) positionierte er sich als Schriftsteller neu, seine Romane Jugend ohne Gott (1937) und Ein Kind unserer Zeit (1938) etablierten ihn als prononciert antifaschistischen Autor. Insbesondere Jugend ohne Gott zählt bis heute zum Kanon deutschsprachiger Literatur und ist ein Klassiker der Schullektüre.

Wirtshaus-Saal und Oktoberfest

Die Ausstellung verläuft entlang von drei zentralen Stücken, denen jeweils ein Bereich und damit zusammengehend ein übergreifendes Thema gewidmet ist: Ökonomie, Erotik und Politik. Darüber hinaus werden Einblicke in die Entstehung und Rezeption der Stücke gegeben. Im Entrée sowie im Treppenhaus werden essentielle Aspekte aus Horváths Biografie und Werk wie der Tod, die „Stille“, die Gebrauchsanweisung und die Arbeitsweise des Autors präsentiert. Die erste auf ein Drama fokussierte Station widmet sich dem Topos Politik in Werk und Biografie Ödön von Horváths, ausgehend von Italienische Nacht. Hier befindet man sich in einem Wirtshaus-Saal nach der „Saalschlacht“ zwischen unterschiedlichen politischen Gruppierungen, wie sie Horváth in Italienische Nacht vorausweisend dargestellt und in Murnau selbst erlebt hat. Dabei wird nicht nur das politische Klima der Weimarer Republik rekonstruiert, sondern es werden auch Horváths eigene Verstrickungen mit dem NS-Regime und seine Läuterung mit den späten, pazifistischen und antifaschistischen Romanen Jugend ohne Gott (1937) und Ein Kind unserer Zeit (1938) beleuchtet. Der obere große Saal präsentiert das stilisierte Ambiente des Oktoberfests zu Kasimir und Karoline und der im Werk Horváths allgegenwärtigen Erotik. Wie auf einem Rummelplatz gelangt man zu Lokalitäten wie dem Venustempel, dem Autodrom und dem Panorama. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Verflechtungen der Erotik mit der Ökonomie. Der Raum mündet in eine Reflexion auf die unterschiedlichsten Aspekte des Geschlechterverhältnisses bei Horváth. Hier werden Frauen- und Männerbilder, aber auch zeitgenössische Beziehungsformen präsentiert.

Abschließend gelangt man zu den Geschichten aus dem Wiener Wald, der um den Topos der Ökonomie gruppiert ist. In „Oskars gediegener Fleischhauerei“ werden verschiedene Facetten der „stillen Strasse“ exponiert, wie der Mittelstand und seine ökonomische und politische Verfasstheit, die Frau als Ware und analog dazu der Mann als Fleischhauer sowie Horváths Umgang mit dem Wien-Klischee. In der aufwendig inszenierten Ausstellung werden anhand von verschiedensten Objekten, Dokumenten, Audio- und Videobeispielen von 40 leihgebenden Institutionen und Privatpersonen die politische Substanz und brisante Aktualität von Horváths Dramatik deutlich. Die Ausstellung wurde von ausgesprochenen Horváth-Experten gestaltet: von Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar kuratiert und von Peter Karlhuber gestaltet. Nicole Streitler-Kastberger ist seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Wiener Ausgabe sämtlicher Werke Ödön von Horváths. Vejvar ist seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Wiener Ausgabe sämtlicher Werke Ödön von Horváths; Herausgeber mehrerer Teilbände. Peter Karlhuber ist Bühnenbildner und Ausstellungsgestalter. Für das Deutsche Theatermuseum gestaltete er bereits die Ausstellung „Frank Wedekind. Theater – Eros – Provokation“ 2014/15. Im Literaturhaus München machte 2015 „Wir brauchen einen ganz anderen Mut! Stefan Zweig – Abschied von Europa“ Station. Öffnungszeiten des Museums: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 16 Uhr. Schulklassenführungen werden vom MPZ angeboten unter www.mpz.bayern.de

Artikel vom 23.05.2019
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