Schicksale von Bürgern nebenan

Neue "Erinnerungszeichen" in Lehel und Schwabing für Opfer des "Euthanasieprogramms"

In der Destouchesstraße 14 erinnert nun ein Erinnerungszeichen (links) an die ehemalige Bewohnerin Irmgard Burger. Foto: Stadtarchiv München

In der Destouchesstraße 14 erinnert nun ein Erinnerungszeichen (links) an die ehemalige Bewohnerin Irmgard Burger. Foto: Stadtarchiv München

Lehel/Schwabing · Im Lehel und in Schwabing wurden am 19. Januar 2019 weitere "Erinnerungszeichen" angebracht.

Gedenktafeln erinnern an die Opfer des Nazi-Regimes

Antrag werden Erinnerungstafeln am Haus sowie Erinnerungsstelen unmittelbar vor dem Haus angebracht, in dem Menschen gelebt und gearbeitet haben, die aufgrund rassistischer, politischer und religiöser Verfolgung, wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihrer tatsächlichen oder angeblichen Krankheiten oder ihres unangepassten Verhaltens von NS-Diktatur umgebracht wurden.

Bisher elf Erinnerungszeichen für 25 Frauen, Männer und Kinder wurden seit Sommer 2018 der Öffentlichkeit übergeben. Parallel zu den installierten Erinnerungszeichen werden im Internet die oft sehr persönlichen Biografien dieser Frauen, Männer und Kinder veröffentlicht, die die gnadenlose Willkür des NS-Regimes bewegend vor Augen führen. Etwa 10.000 Frauen, Männer und Kinder verloren aus diesen Gründen während der NS-Diktatur in München ihr Leben.

Davon wurden in München 2.026 Frauen, Männer und Kinder zwischen 1939 und 1945 als „lebensunwertes Leben“ Opfer des nationalsozialistischen „Euthanasie-“ und Vernichtungsprogramms und durch Kohlenmonoxid, überdosierte Medikamente und gezielten Nahrungsentzug ermordet. Am 18. Januar 1940 waren von der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar die ersten Patienten im Rahmen der „Aktion T4“ in die Tötungsanstalt Hartheim deportiert und mit Gas getötet worden.

Genau 79 Jahre später, am 18. Januar 2019, wurden Erinnerungszeichen für die „Euthanasie“-Opfer Theodolinde Diem, Irmgard Burger und Barbara Hartard der Öffentlichkeit übergeben.

Barbara Hartard, geboren 1895 in Freimersheim in der bayerischen Pfalz, arbeitete als Dienstmädchen in Speyer, München und Heidelberg und zog im Sommer 1924 in die Münchner Pension Daser, heute Unsöldstraße 13.

Dort wurde auch die Erinnerungstafel an sie angebracht unter Anwesenheit von Wolfgang Püschel, 1. stellvertretender Vorsitzender des Bezirksausschusses 1 Altstadt-Lehel, sowie Christian Hartard, Großneffe und Initiator der Tafel, Thomas Paeffgen, Großneffe, und Alexander Paeffgen, Urgroßneffe. Im Oktober 1924 wurde Barbara Hartard in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar eingewiesen, wo sie sechzehn Jahre Patientin blieb.

Am 3. September 1940 wurde sie zusammen mit 120 anderen Frauen in die Tötungsanstalt Hartheim deportiert und ermordet. Zuvor hatte in der Aula des Städtischen St. Anna-Gymnasiums eine Gedenkfeier für Barbara Hartard stattgefunden mit Stadtrat Richard Quaas in Vertretung des Oberbürgermeisters, Angelika Laumer, Schulleiterin des Städtischen St.-Anna-Gymnasiums, Christian Hartard, Großneffe, Thomas Paeffgen, Großneffe, Alexander Paeffgen, Urgroßneffe, sowie Schüler des Städtischen St.-Anna-Gymnasiums.

Gedenkfeier für Bewohnerin der Destouchesstraße

In der Destouchesstraße 14 wurde am 18. Januar auch die Erinnerungstafel für das NS-“Euthanasie“-Opfer Irmgard Burger, mit Vertreterin/Vertreter des Bezirksausschusses 12, Schwabing-Freimann, und Sibylle von Tiedemann, Historikerin, übergeben. Zuvor hatte am Kaiserplatz 10 eine Gedenkfeier für Irmgard Burger stattgefunden mit Stadtrat Richard Quaas in Vertretung des Oberbürgermeisters, Michael von Cranach, Psychiater, Christian Ude, Alt-Oberbürgermeister, Andrea Opitz-Gerz für die Psychotherapeutische Praxisgemeinschaft Destouchesstraße 14, Silvia Degenhardt als Angehörige von Melitta Burger, Tochter und Initiatorin der Tafel, die aber leider am 5. Januar 2019 im Alter von 98 Jahren starb und damit die die Erfüllung ihres Herzenswunsches nicht mehr erleben kann, Schülerinnen und Schüler des Oskar-von Miller-Gymnasiums sowie Frank und Iris Bluhm (Musik).

Seit Anfang des Jahres trifft sich in unregelmäßigen Abständen eine Gruppe von Personen, die zum Schicksal von in der NS-Zeit verfolgten Menschen recherchieren und die sich über ihre Erfahrungen bei dieser Arbeit austauschen. Die Treffen sind öffentlich. Bei Interesse kann man schreiben an die E-Mail erinnerungswerkstatt-owner@yahoogroups.de

Erinnerungszeichen nur auf Antrag

Zum Gedenken an diese Menschen können an ihren einstigen Lebensmittelpunkten auf Antrag Erinnerungszeichen in Form von Tafeln an Hauswänden und Stelen vor Häusern auf öffentlichem Grund angebracht werden. Das Anliegen von Familienangehörigen genießt hohe Priorität - gegen ihren Willen werden keine Erinnerungszeichen realisiert. Mit der Durchführung des Projektes ist die "Koordinierungsstelle | Erinnerungszeichen" im Stadtarchiv München beauftragt.

Die Koordinierungsstelle | Erinnerungszeichen bearbeitet die Anträge für Erinnerungszeichen an die Opfer des NS-Regimes in München. Sie hilft den Initiatorinnen und Initiatoren bei ihren Recherchen. Als Grundlage zur Erfassung der Namen aller Münchner Todesopfer des Nationalsozialismus erstellt die Koordinierungsstelle | Erinnerungszeichen eine Datenbank für die wissenschaftliche Forschung zu den Münchner Opfern des NS-Regimes und organisiert in enger Zusammenarbeit mit Verbänden, Schulen sowie Trägern der Bildungs- und Erinnerungsarbeit themenspezifische Veranstaltungen, wie beispielsweise Seminare, Workshops oder Kolloquien.

Kontakt unter E-Mail erinnerungszeichen@muenchen.de oder Barbara Hutzelmann, Tel. 089/233 30851 und Maximilian Strnad, Tel. 089/233 30852

Artikel vom 21.01.2019
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