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Welt-AIDS-Tag: gegen Diskriminierung, für Aufklärung

Sie kämpfen gegen die Diskrimierung von HIV-infizierten Menschen: Christopher Knoll, ­Thomas Niederbühl, Irena Wunsch, Nico Erhardt und Bernd Müller (v. li.). Foto: cr

Sie kämpfen gegen die Diskrimierung von HIV-infizierten Menschen: Christopher Knoll, ­Thomas Niederbühl, Irena Wunsch, Nico Erhardt und Bernd Müller (v. li.). Foto: cr

München · Seit 1988 ist der 1. Dezember der von der Weltgesundheitsorganisation WHO ausgerufene Welt-AIDS-Tag. Seitdem beteiligt sich auch die Münchner Aids-Hilfe (MüAH) an Aktionen und Kampagnen zur Aufklärung rund um die Immunschwäche-Erkrankung sowie deren Bekämpfung.

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In diesen Bemühungen ist seitdem vieles erreicht worden. Doch die Fortschritte sind nicht in allen Bereichen gleich und in mancher Hinsicht haben sie auch ihre Schattenseiten.

»Der Welt-AIDS-Tag war früher ein Tag des Gedenkens«, blickt Thomas Niederbühl, Geschäftsführer der MüAH zurück. Seit rund 20 Jahren sei eine Normalisierung festzustellen. Eine Infektion mit HI-Viren ist kein neues Phänomen mehr. Das führe zu einem gefährlichen Desinteresse der Bevölkerung. Mangelndes Wissen über die Erkrankung und besonders über die Fortschritte öffnen der Diskriminierung die Türen. Das bekommen Betroffene zu spüren, direkt und indirekt. Ein besonders erschreckendes Beispiel von direkter Diskriminierung, ein Fall von Denunziation, hat sich in München abgespielt. Wie Nico Erhardt, Leiter der Fachstelle »Positiv Leben« bei der MüAH, berichtet, sei das Auto eines HIV-Infizierten mit Farbe beschmiert und auf die Heckscheibe in großen Buchstaben »HIV« geschrieben worden.

Indirekte Diskriminierung, das sind Fälle von bewusster oder unbewusster Benachteiligung der Betroffenen aufgrund ihrer Infektion. Das Ziel daher: »Null Diskriminierung.« Die MüAH hat sich der Kampagne »Streich die Vorurteile!« der Deutschen AIDS-Hilfe angeschlossen.

Das Problem: AIDS wird häufig mit Homosexualität und Drogenmissbrauch verbunden. Tatsächlich sind homosexuelle Männer die am meisten gefährdete Personengruppe, doch bei Weitem nicht die einzige. HIV-infizierte Menschen leben mit einem gefährlichen Feind in ihrem Körper. Die individuelle Verurteilung dieser Menschen nur aufgrund dieser Tatsache ist das, was die MüAH heftig kritisiert: Diskriminierung.

HIV-Infizierte werden immer noch als mehr oder weniger konkrete »Gefährdung« gesehen. Die Wissenschaft hat jedoch erhebliche Fortschritte gemacht, von der Öffentlichkeit nicht im selben Maße wahrgenommen. »Bis 2020 will die WHO das Ziel ›90/90/90‹ erreichen«, erklärt Erhardt. Das bedeutet, 90 Prozent der HIV-infizierten Personen sollen wissen, dass sie infiziert sind. Über Erfahrungswerte aus der Vergangenheit, bei denen die HIV-Infektion erst später oder in Folge einer anderen Erkrankung diagnostiziert wurde, kann man die Dunkelziffer hochrechnen. Aktuell liegt die Zahl derer, die von ihrer Infektion wissen, in Deutschland bei 87 Prozent, in Bayern bei 88 Prozent.

Die zweite 90 steht für den Anteil der Infizierten, die mit Medikamenten behandelt werden, um einen Ausbruch von AIDS zu verhindern und um die Vermehrung der HI-Viren zu bremsen. Diesen Wert übertrifft Deutschland schon jetzt mit 92 Prozent.

Die dritte 90 schließlich steht für den Anteil derer, bei denen die HIV-Infektion unter der Nachweisbarkeitsgrenze liegt. Hier erreicht Deutschland sogar 95 Prozent.

Die Nachweisbarkeitsgrenze ist entscheidend für den Kampf gegen AIDS und HIV, denn infizierte Personen, bei denen HI-Viren nicht mehr nachgewiesen werden können, weil deren Anzahl im Körper zu gering ist, können auch niemanden mehr mit HIV infizieren, erklärt Nico Erhardt. Wer also infiziert ist, dies weiß und sich entsprechend und mit medizinischem Erfolg behandeln lässt, könnte theoretisch ganz offen mit dem Thema umgehen. Erhardt: »Niemand soll Angst haben müssen, sich zu seiner Krankheit zu bekennen.« Die Realität sieht anders aus, deshalb will die MüAH ihre Öffentlichkeits- und Anti-Diskriminierungsarbeit in Zukunft verstärken.

Nicht nachweisbar bedeutet auch nicht ansteckend

Bescheid wissen, darum geht es. Das ist auch für potenziell Infizierte wichtig. Dafür ist der AIDS-Test ein wichtiges Instrument. Die Krux: »Die Angst vor Diskriminierung ist der größte Hinderungsgrund für einen Test«, erklärt Christopher Knoll, Präventionsexperte bei der MüAH. Inzwischen gebe es die Möglichkeit eines Schnelltests, erhältlich beim »Checkpoint« der MüAH in der Lindwurmstraße 71, Isarvorstadt, in Apotheken, im Internet und auch schon in Drogerien, so Knoll. Die Kosten dafür liegen bei rund 25 Euro. In Bayern gibt es außerdem ein Testabo, für das man sich online registriert, einmal bei der MüAH beraten lässt und dann in einem festgelegten Turnus ein Testkit zu je 32 Euro zuschicken lässt. Das Projekt soll im kommenden Jahr auf ganz Deutschland ausgeweitet werden. Für Knoll ein Fortschritt: »Wir entdecken die Erkrankung mit größerer Wahrscheinlichkeit und trotzdem gehen die Zahlen der Neuinfektionen zurück.« Für 2017 hat das Robert-Koch-Institut in Bayern 340 Neuinfektionen registriert, die Zahl der Todesopfer von HIV lag bei 55. Diese Zahlen sollen sich möglichst bald und dauerhaft der Null nähern, so der Wunsch bei der MüAH. Tatsächlich seien die Zahlen rückläufig. Für einen dauerhaften Rückgang sei »90/90/90« notwendig. Um auf das ganze Thema, Probleme wie auch Erfolge, aufmerksam zu machen, gibt es in München anlässlich des Welt-AIDS-Tages mehrere Veranstaltungen. So startet am 1. Dezember um 19 Uhr der Candle Light Walk am Odeonsplatz im Gedenken der an AIDS Verstorbenen. Ab 23 Uhr feiert der NY-Club, Elisenstraße 3, seine 13. Nacht der roten Schleifen und am Sonntag, 9. Dezember, verkaufen die Stars der ARD-Telenovela »Sturm der Liebe« bei der MüAH in der Lindwurmstraße 71 von 14 bis 16 Uhr Teddys zugunsten der Einrichtung.

Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 30.11.2018
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