Wegen Zweiter Stammstrecke: Ausgrabungen haben wieder begonnen

Schatzsuche am Marienhof

Luftbild vom Marienhof von 2011/2012. (F: Bayer. Landesamt f. Denkmalpflege, Luftbilddokumentation, K. Leidorf). Funde der 1428 eröffneten Münchner Ratstrinkstube sind in der Stadtinformation zu sehen. F.: Archäologische Staatssammlung M., S. Friedrich

Luftbild vom Marienhof von 2011/2012. (F: Bayer. Landesamt f. Denkmalpflege, Luftbilddokumentation, K. Leidorf). Funde der 1428 eröffneten Münchner Ratstrinkstube sind in der Stadtinformation zu sehen. F.: Archäologische Staatssammlung M., S. Friedrich

Altstadt · Am 9. September findet wieder deutschlandweit der Tag des offenen Denkmals statt. Und neben anderen besonderen Orten im Münchner Zentrum und in Schwabing heißt auch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) in seiner Münchner Dienststelle am Hofgraben 4 große und kleine Besucher herzlich willkommen.

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Das kostenlose Programm bietet von 11 bis 17 Uhr verschiedenste Möglichkeiten, die Arbeit des BLfD näher kennen zu lernen: Ronald Metzger gibt etwa Einblicke in seine Arbeit als Grabungstechniker am BLfD. Der Fokus seines Vortrags liegt dabei auf Praxis, Ablauf und Auswertung einer Grabung.

Fast nebenan, am Marienhof, dem großen Platz hinter dem Neuen Rathaus, finden tatsächlich seit Anfang August 2018 nach den letzten Arbeiten 2015 wieder Ausgrabungen statt. Erste Ergebnisse sollen bereits am 11. September bei einer Pressekonferenz der Deutschen Bahn vorgestellt werden. Die ist als Bauherr der Zweiten Stammstrecke »schuld« an der neuerlichen »Schatzsuche«.

»20 bis 25 Prozent sind noch zu graben, rund 2000 Quadratmeter«, schätzt Dr. Jochen Haberstroh vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in München, Referatsleiter der Abteilung Bodendenkmäler in München und Oberbayern und damit zuständig für die Arbeiten am Marienhof. Rund 0,8 Hektar seien bereits ausgegraben.

»Alles, was an Bodendenkmälern da ist, muss fachlich qualifiziert und säuberlich ausgegraben werden«. Geplanter Zeitraum: ein paar Monate. Es könne aber auch drei bis vier Monate länger dauern, »falls mehr Latrinen festgestellt werden«. Die öffentlichen Toitetten des Mittelalters und Brunnen beherbergen in der Regel die Fundstücke. Woher man weiß, wo etwas zu finden ist? Seit den späten 90er Jahren erfasst ein Experte die archäologische Struktur der Stadt. 2019/20 wird er die ganze Altstadt erfasst haben. Kartiert werden alle Kenntnisse zu Kanal und Tiefbau, Tiefgaragen, Beschädigungen der Bodendenkmäler, größerer baulicher Veränderungen. »Das ergibt präzise Erkenntnisse, wo noch etwas zu finden ist.

Basis sind auch sehr genau geführte Steuer- und Rechnungsbücher aus dem 15. Jahrhundert, in denen Steuern für Grundstücke erfasst wurden, so weiß man, wo Patrizier und Tagelöhner wohnten und wo es öffentliche Brunnen gab«, erklärt Jochen Haberstroh. Am Marienhof befinden sich die hochrangingsten Funde und besterhaltenen, denn dort wohnten wohlhabende Familien im Umfeld des Alten Hofes, Handwerker und Händler. Aber auch aus dem 20. Jahrhundert gebe es spannende Funde: Keramiken, Tierknochen, Gläser.

Zunächst werden sie vorgelegt, gesichtet, restauratorisch und konservatorisch bearbeitet und in einen lagerfähigen Zustand gebracht und in der Archäologischen Staatssammlung im Lehel unter idealen Bedingungen verstaut. So benötigt etwa Eisen eine gewisse Luftfeuchtigkeit, um nicht zu rosten. Denn kaum wird ein Fundstück ausgegraben, beginnt der Verfall.

Aus Sicht der Archäologen sollten Bodenschätze auch weiterhin unter der Erde schlummern. Denn bei der Ausgrabung würden sie endgültig beseitigt und in ihrem Zusammenhang zerstört, so Jochen Haberstroh. »Wenn man die Grabungen schon nicht verhindern kann, dann ist man aber wenigstens der erste, der’s sieht«, so beschreibt er das zwiespältige Erfolgserlebnis der Archäologen bei einem Fund.

Allein in der Münchener Altstadt fanden bislang über 250 archäologische Ausgrabungen statt. Angeregt durch die zahlreichen Funde aus den großen Grabungen am Marienhof in den Jahren 2011/2012 bildeten zahlreiche staatliche und städtische Stellen die Arbeitsgemeinschaft »Archäologie München«. Sie verwalten, konservieren, erschließen und bearbeiten die Funde wissenschaftlich.

Finanziell wird das Projekt von der Stadt München unterstützt. Die Federführung übernahm dabei die Archäologische Staatssammlung München, wo das umfangreiche Material verwahrt wird. Zahlreiche Spezialisten wie Archäologen, Botaniker, Zoologen, Anthropologen und Historiker erforschen Alltagsleben, Umwelt und Stadtbild Münchens seit dem Mittelalter. Aspekte aus diesen Forschungen werden regelmäßig an unterschiedlichen Standorten in der Stadt vorgestellt. Auch die zahlreich erhaltenen schriftlichen und bildlichen Quellen sowie das Holzmodell der Stadt München von Jakob Sandtner aus dem Jahr 1570 werden mit den archäologischen Funden in Beziehung gesetzt.

Das Fundmaterial ist zahlenmäßig gigantisch – es reicht von komplett erhaltenen Schachtverbauungen eines mittelalterlichen Brunnens aus Hölzern bis zu den Resten der im Zweiten Weltkrieg im Bombenhagel zerstörten Stadtbibliothek. Ausgrabungen gibt es in jedem Stadtteil, allein 88 Ausgrabungen in der Münchner Altstadt 2017/18. Das größte Projekt befindet sich aber auf 180 Hektar im westlichen Stadtteil Freiham, wo immer wieder neue große Wohnanlagen entstehen und sogar antike Gräber gefunden wurden – und bevor der erste Bagger der Baufirma anrückt, sind erstmal die Archäologen dran.

So ist das bei jedem Grundstück in der Stadt, ob klein oder groß, ob privater Häuslebauer oder großer Bauträger. Bevor man bauen will, also erstmal den stets tagesaktuellen Bayerischen Denkmalatlas konsultieren und schauen, ob das Grundstück eine rote Fläche aufweist. Dann befindet sich hier ein Bodendenkmal – ein Fall für die Archäologen. Werden die fündig, regelt das Erlaubnisverfahren detailiert, wem die Fundstücke gehören.

Präsentation in der Archäologischen Staatssammlung: 2021

Einige Ergebnisse des Forschungsprojektes werden bei der Wiedereröffnung der Archäologischen Staatssammlung 2021 in einer multi-medial gestalteten Ausstellung präsentiert werden.

Ein eigenes Museum für die vielen archäologischen Ausgrabungen in München »gibt es leider bisher nicht«, bedauert Dr. Haberstroh, da seien andere bayerische Städte wie Ingolstadt schon weiter. Die Archäologische Staatssammlung, das »Museum für Vor- und Frühgeschichte« neben der Eisbachwelle hinter dem Bayerischen Nationalmuseum, ist bereits seit August 2016 wegen umfangreicher Bauarbeiten geschlossen, erst diesen Sommer begannen die ersten richtigen Bauarbeiten. Bis zur geplanten Eröffnung 2021 sind regelmäßig Aspekte aus den Forschungen an unterschiedlichen Standorten in der Stadt zu sehen, so noch bis Oktober im Münchner Stadtmuseum mit der Ausstellung »Archäologisches Schaufenster: Funde vom Marienhof«.

Am Beispiel des Marienhofes und seiner vielfältigen Geschichte werden hier nun Aspekte aus dieser Forschung präsentiert. Keramik-, Glas- und Lederfunde erzählen dabei vom Alltag, Tierknochen von der Beziehung Mensch-Tier, Pflanzenreste von der Ernährung der mittelalterlichen und neuzeitlichen Münchner.

Auch die jüngste Vergangenheit wird am Marienhof präsent, zeugt doch das verformte Hotelgeschirr vom Café Deistler von den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg.

Ebenfalls bis Oktober sind in der Stadt-Information im Rathaus Glasfunde der Münchner Ratstrinkstube zu bestaunen. Gefäße aus Glas sind ein elementarer Bestandteil der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wirtshauskultur. Eine kleine Auswahl der bereits 1991 ausgegrabenen Gläser der Münchner Ratstrinkstube kehrt für kurze Zeit in das Münchner Rathaus zurück.

Die vor allem bei wohlhabenderen Personen beliebte Weinschenke befand sich im Haus Marienplatz 10, einem Eckhaus zur Dienerstraße. Sie wurde 1428 von der Stadt eingerichtet, der Abriss des Gebäudes fand 1868 statt. Derzeit werden die Gläser in der Archäologischen Staatssammlung wissenschaftlich bearbeitet. In einer vom Projekt »Archäologie München« konzipierten Pop-Up-Ausstellung wird ein kleiner Einblick in das umfangreiche Fundmaterial dieser Gaststätte gewährt. »Archäologische Schaufenster« wie dieses verdichten das Bild vom Leben im mittelalterlich-neuzeitlichen München.

Drei Mini-Ausstellungen zu Funden am Marienhof

  • Glasfunde der Münchner Ratstrinkstube, bis Oktober in der Stadtinformation im Rathaus.
  • »3 aus 45.000« Präsentation im Infozentrum der Deutschen Bahn zur Stammstrecke am Marienhof: Zu sehen unter anderem ein dort in einer Latrine gefundener Topf mit Obst-Mus aus dem 14. Jahrhundert.
  • Archäologisches Schaufenster mit Funden vom Marienhof im Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, 2. Stock.
mil

Stichwort Bodendenkmäler
Seit mehr als 500.000 Jahren leben Menschen im heutigen Bayern. Archäologische Spuren haben sie in dieser Zeit viele hinterlassen. Gesetzlicher Auftrag der Denkmalpflege ist es, Bodendenkmäler zu erhalten und vor Zerstörung zu bewahren. Solange die Bodendenkmäler in ihren originalen Fundzusammenhang eingebettet bleiben, sind sie einzigartige Zeugnisse der Vergangenheit. Sie sind unser archäologisches Erbe im Boden. Wo Bauvorhaben und Planungsziele auf Bodendenkmäler treffen, können Interessenskonflikte entstehen. Hier beginnt die Arbeit der Praktischen Bodendenkmalpflege. Quelle: BlfD

Artikel vom 29.08.2018
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