Ein Geben und Nehmen

München/Landkreis München · Viele wollen ihren eigenen Bücherschrank, doch es ist nicht immer einfach

Viele schätzen die unkomplizierte Form des Büchertauschs in den Bücherschränken, wie etwa in der Bunzlauerstraße in Moosach. 	Foto: Daniel Mielcarek

Viele schätzen die unkomplizierte Form des Büchertauschs in den Bücherschränken, wie etwa in der Bunzlauerstraße in Moosach. Foto: Daniel Mielcarek

München/Landkreis München · Wir lesen. Romane, Gedichte, Wanderbücher: Bücher allerbuntester Couleur. Der Umsatz des Moosacher Bücherschranks in der Bunzlauerstraße 46 ist folglich beachtlich: Zwischen 100 und 200 Bücher gehen hier pro Woche rein und raus.

»Immer, wenn ich am Bücherschrank vorbeigehe, sehe ich Leute, die in den Regalen nachschauen«, so Dieter Fuchs, der seinerseits »Bücherschrank-Beauftragter« ist. »Das Echo ist durch und durch positiv«, stellt er fröhlich fest. Öffentliche Bücherschränke sind vor wenigen Jahren entstanden, einige Stadtteile sind mitgegangen. Einige weitere Beispiele: der Bücherschrank am Herrgottseck in der Au, die Bücherkiste der Diakonie in der Hasenbergler Aschenbrennerstraße, die Schleißheimer Bücherschränke an den S-Bahnhöfen Oberschleißheim und Lohhof und demnächst auch in Neuhausen, der Lerchenau und Fasanerie. Sollen Bücherschränke durch die Stadt finanziert werden?

Der Kulturverein »Die Linie 1« aus Moosach ist mit dem Trend mitgegangen und hat vor zwei Jahren mit Spendengeldern einen solchen Schrank der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Der Träger hat 18 Paten, die den Schrank jede Woche pflegen. Doch nicht jeder Bücherschrank wird so »verwöhnt« wie der aus Moosach. In Schwabing etwa steht der erste und älteste Bücherschrank. Wie sein jüngerer Moosacher Bruder belebt er seinen Stadtteil und ist sehr nachgefragt, doch seine Zukunft steht auf dem Spiel. Denn es ist allgemein problematisch, wenn für Bücherschränke früher oder später Kosten anfallen, was allerdings in Moosach noch nicht der Fall ist. Reparaturen oder Haftpflichtversicherungen sind große Kostenpunkte, daher hängen die Schränke im Moment ausschließlich von Spendengeldern der Vereine ab, die sie betreuen. Auch der Träger des Bücherschrankes in Moosach unterstützt den Appell des befreundeten Vereins »Offene Bücherschränke Schwabing-West«. Der Bezirksausschuss, der den Schwabinger Schrank finanziert hat, appelliert nämlich an die Stadt München, das Projekt so durchzuführen, wie es Frankfurt erfolgreich vormacht. In der Mainmetropole sind die Schränke Eigentum der Stadt, das dortige Baureferat sorgt für Instandhaltung und Reparaturen. Eine Or­ganisation oder Finanzierung durch das Kulturreferat oder Baureferat sei laut Stadt­verwaltung München allerdings nicht möglich: »Letztendlich steht es allen Bezirksausschüssen frei, sich an der Finanzierung der Bücherschränke zu beteiligen«, schreibt die Stadt. Umso größer ist der Hilferuf von einigen Trägern dieser Projekte. Denn die Schränke werden mit der Zeit nicht jünger. »Allerdings kontrollieren die Paten des noch recht jungen Bücherschranks in Moosach den Schrank regelmäßig, Vandalismus gab es zum Glück nie. Der Schrank wird von den Moosachern geschätzt und gut genutzt«, freut sich Fuchs.

Alle sollen Zugang zur Lektüre haben

Die Bürger haben die Sinnhaftigkeit des Projekts erkannt: »Wir wollen, dass die Moosacher viel lesen, vor allem Kinder, die einen solchen Zugang zu Hause nicht haben«, so Fuchs. Von den Büchern könnten sich folglich Kinder ein Buch herausgreifen oder aber auch Hobby-Leser. »Einige haben leider Hemmungen, sich einen Ausweis ausstellen zu lassen, etwa für die Stadtbücherei.« Denen sei gesagt: Sie brauchen für den Bücherschrank keinerlei Ausleihschein oder Mitgliedsausweis mit sich führen. Einfach Buch herausgreifen und mitnehmen. So funktioniert das Prinzip »Bücherschrank«. Es können auch – müssen aber nicht – im Gegenzug andere Bücher hineingelegt werden, sodass es eben ein »Geben und Nehmen« ist.

Ein wahres Paradies für Leseratten an vielen Orten

Und wenn ein Buch dann doch nicht mit dabei ist: In einem benachbarten Stadtteil befindet sich ja auch der ein oder andere Bücherschrank. Neue sind in letzter Zeit hinzugekommen oder werden demnächst noch aufgestellt. Mit vereinten Kräften setzten sich etwa die Pfarrei Mariahilf, der Bezirksausschuss Au-Haidhausen (BA 5) und der Seniorenbeirat dafür ein, in der Au unweit des Mariahilfplatzes einen Bücherschrank einzurichten. Nachdem die Stadt grünes Licht gegeben hat, errichteten sie ein richtiges »Bücherhäuschen« in Holzhüttenoptik, also ein wahres Paradies für Leseratten. »Wichtig ist nur, dass die Exemplare noch gut erhalten sind«, sagt Paul Lendobler vom Seniorenbeirat. Verboten seien außerdem rechtsradikale Schriften und Pornographie. Schon seit einiger Zeit kümmert sich Lendobler auch um ein Bücherregal in Haidhausen, das sich im Haus der Eigenarbeit (HEi) in der Wörthstraße befindet. Die Stadt hatte die Einrichtung zunächst nicht genehmigt, erinnert sich Lendobler. »Begründet wurde das damit, dass ein Schrank eine Behinderung für Passanten darstellt. Dabei stolpert man bei uns doch überall über irgendeinen Tisch einer Freischankfläche,« kritisiert er.

In Oberschleißheim und Lohhof steht der Bücherschrank an sehr viel begangenen Orten: bei den S-Bahnhöfen. Dort können sich Lesefreunde Lektüre für die Reise mitnehmen. Das Team »Agenda 21« eröffnete seinen Bücherschrank als Initialprojekt im Norden von München vor rund zwei Jahren. »Es sieht passend wie ein großes braunes Harry Potter-Buch aus, so Ingrid Lindbüchl vom »Team Agenda 21«. Nicht ganz so gut steht es um den Bücherschrank in der Fasanerie, denn dieser befindet sich leider schon seit einiger Zeit in einer bürokratischen Bredouille. Der Verein »Fasanerie Aktiv« und die Diakonie Hasenbergl haben Budget und Leute zusammengetrommelt, auch eine ausgediente Telefonzelle ist als neuer »Schrank« bereits gefunden. Nun warte man aber auf die Stadt, die das Fundament neben dem Café »Kistenpfennig« beim S-Bahnhof Fasanerie noch begutachten muss, so Werner Paulus vom Verein. Einigen Privatleuten war die Warterei zu viel und so stellten sie in der Trollblumenstraße selbst einen semi- »öffentlichen« Bücherschrank auf: in ihrem eigenen Garten.

Nächster neuer Bücherschrank steht in Neuhausen

In der Lerchenau sollte bereits Ende Juni ein Bücherschrank stehen, zeitgleich mit der Lieferung des neuen Bücherschranks für Neuhausen. Dieser Termin musste aber verschoben werden, da die verantwortliche Diözese zuerst den eingereichten Fundamentpan begutachten muss, dies aber leider zeitlich viel später erfolgt. Der Neuhausener Bücherschrank wurde also alleine angeliefert und die hohen Versandkosten können nicht mehr geteilt werden. Kostenanträge wurden allerdings an den Bezirksausschuss gestellt. Hinter einem Bücherschrank stehen also viele Personen, die eine gute Idee verbreiten möchten, allerdings steht die Bürokratie oftmals im Weg. Es ist schließlich mehr, als nur einen Schrank oder Ikea-Regal aufzustellen. Und die Arbeit ist mit dem Aufstellen eines Bücherschrankes auch noch nicht getan.

Artikel vom 05.07.2018
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