»Die Bühne ist definitiv das bessere Büro«

Freimann/Nymphenburg · Der Geiger mit Träumen

Die Geige vermag hypnotisch zu sein, wenn nicht sogar manchmal teuflisch, so Dilyan über dieses leidenschaftliche Instrument.	Foto: Daniel Mielcarek

Die Geige vermag hypnotisch zu sein, wenn nicht sogar manchmal teuflisch, so Dilyan über dieses leidenschaftliche Instrument. Foto: Daniel Mielcarek

Freimann/Nymphenburg · Er spielt Bach auf der Geige, die Kulisse ist klassisch, wie in einem Märchen. Das Nymphenburger Schloss erstrahlt in der Sonne, die Bäume spiegeln sich im Schlosskanal.

Eine junge Familie, die mit ihren Kindern spaziert, hält kurz an, um der Musik zu lauschen. Vor allem das kleine Kind, es ist vielleicht zwei Jahre alt, kann sich gar nicht mehr davon losreißen. Das Kind und der Geigenspieler kommunizieren miteinander, ganz ohne Worte. Am Ende des Stücks sagt der Geiger: »Musik ist wie eine Hypnose« und bereitet sich auf das nächste Stück vor.

Die Sprache der Musik ist international

Der Geigenspieler aus Freimann heißt Dilyan und seine Muttersprache ist Bulgarisch. »Doch die Sprache der Musik ist international«, bringt er es auf den Punkt. »In der Musik geht es hauptsächlich darum, Emotionen zu vermitteln. Es ist nicht einfach nur stur nach Noten spielen.« Für den 23-Jährigen ist Musik etwas Persönliches. In jeder Interpretation eines Stückes fügt er etwas Neues von sich hinzu.

Jede Darbietung ist quasi einzigartig. Dies hängt von seiner Grundstimmung ab, aber auch vom Ort, Wetter und der Tageszeit. Der Grundtenor ist da deutlich anders, wenn er etwa in einer engen, verwunschenen und verregneten Gasse am Abendgrauen für leicht melancholische Passanten mit großen Regenschirmen spielt.

Es ist aber heute ein milder und sonniger Junitag, als Dilyan zur Geige greift und im Freien spielt. »Heute spiele ich wohl in Dur, also ein fröhliches Stück.« Obwohl er es präferiert, unter den Arkaden des Rathauses zu spielen, ist es zwischen den Bäumen in Nymphenburg um die Akustik auch gut bestellt. Am Ende des Stückes erhält er sogar unerwartet Applaus von der anderen Seite des Schlosskanals. Dort ist die Musik ohne Hindernisse angekommen. Allerdings sind die Zuhörer etwas zu weit entfernt, um ein Geldstück »rüber zu werfen«. »Der Obulus ist nicht so schlecht. Die Einheimischen wissen die Straßenmusik zu schätzen. Die Touristen hingegen wollen zumeist nur ein Foto oder Video machen und gehen danach sofort weiter.«

Als er einmal »Frühling« von Vivaldi spielt, hinterlässt ihm ein Mann ein Paar Münzen. Und ein Jobangebot. Seitdem spielt er im Ensemble der Komödie im Bayerischen Hof. Dort muss er nicht Auge und Ohr unter Beweis stellen, um den perfekten Ort und die perfekte Zeit für ein »Straßenkonzert« aufzuspüren: nicht frieren, nicht nass werden.

Sensibel mit zwei Metern Körpergröße

Zwei Meter ist Dilyan groß, aber wirkt delikat und sensibel mit seiner filigranen Geige. Er spielt klassisch im weißen Hemd. Sobald die Melodie erklingt, taucht er in eine Welt ab, in die er die Passanten mitnehmen möchte.

Der gebürtige Bulgare spielt Geige seitdem er 13 Jahre ist: »Man lernt es aber ein Leben lang.« Er nennt seine Geige schmunzelnd »seine treue Partnerin«, denn sie begleitet ihn in allen Lebenslagen: »manchmal sogar auf Partys mit Freunden. Aber Schlager wird dann bestimmt nicht gespielt!« Schließlich ist die Bayerische Landeshauptstadt für ihn eine Stadt der Hochkultur, ähnlich wie Wien. »Ich bin hier schon seit zwei Jahren und plane, in Freimann oder generell in München wohnen zu bleiben und an der Hochschule für Musik zu studieren.«
Ob der Straßenmusiker es schafft, in München zu studieren, könnte er jeden Tag erfahren. Dilyan weiß, wie schwer es ist, den Arbeitsmarkt zu betreten oder einen Studienplatz zu ergattern.

Die Bühne ist das bessere Büro

München lockt viele Nachwuchsmusiker an. Es gibt ungefähr 100 Bewerber auf lediglich 18 Plätze. Da zerplatzen naturgemäß viele Träume. Dilyan will es aber immer weiter versuchen.
Was auch sein wird, eins weiß er: Dröge Bürojobs will er nicht. Nicht dafür hat er seine geliebte Heimat an der bulgarischen Riviera verlassen, die er vor allem im Sommer vermisst. Die Bühne ist sein Büro oder, wie jetzt gerade, die Straße: mit Blick auf das Nymphenburger Schloss. Das ist sein gelebter Traum. Und als er nach getaner Arbeit Feierabend machen will, jubeln ihm Fremde zu: »Zugabe! Zugabe!«
Daniel Mielcarek

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Artikel vom 29.06.2018
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