Jeder zahlt, was er meint

»5 vor 12«: Café und Projektraum für die ganze Gesellschaft

Fabian Neulinger (re.) und Rainer mit der Feldküche vor dem »5 vor 12«.	Foto: cr

Fabian Neulinger (re.) und Rainer mit der Feldküche vor dem »5 vor 12«. Foto: cr

München · München ist ein Ort zum Genießen. Es gibt hier viele Cafés, manche edler, manche in einer Art »shabby chic«, alle was Eigenes und sehens- und besuchenswert. Auf die Frage, was denn der Kaffee kosten soll, gibt es Antworten, die alle so im Zwei- bis Vier-Euro-Bereich liegen. Außer im »5 vor 12«.

Hier lautet die Antwort: »So viel, wie er Dir wert ist.«

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Das Café in der Georgenschwaigstraße hat eine kuriose Entstehungsgeschichte hinter sich und versinnbildlicht die Lebensphilosophie derer, die dahinterstehen, nämlich vorurteilsfrei auf Menschen zugehen und helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Wer gerne in ideologischen Kategorien denkt, erkennt den »linken Gedanken« darin, aber ganz so ist es dann doch nicht.

Fabian Neulinger, aktiv im Verein VolxKüche, hat sich angewöhnt, vorurteilsfrei mit Menschen umzugehen. »Man kann Menschen nicht kategorisieren«, sagt er und deshalb ist im »5 vor 12« auch jeder willkommen, solange er sich zu benehmen weiß.
Jüngst hat es da einen »Vorfall« gegeben. Ein Mann, der sich dem rechten Spektrum nahe zeigte, war in dem Café unangenehm aufgefallen. Die Hausherren konnten das Problem mit Bestimmtheit und ohne physisches Eingreifen lösen.

Vorurteilsfreiheit gilt in Verein und Café für alle

Solche Vorfälle lassen sich nicht verhindern, aber immerhin entschärfen. Der Verein braucht das Café als »Hafen«, als Anlaufstelle. Bis letzten Sommer, als das »5 vor 12« eröffnet wurde, hatte der Verein logistische Probleme zu überwinden. Denn die Ursprünge des Vereins und des Cafés liegen in den Studentenprotesten von 2009. In Deutschland richteten sich diese gegen Bologna-Reform, gegen Studiengebühren und gegen Sparmaßnahmen. Auch in München gab es eine Bewegung.

Das Audimax der LMU wurde besetzt. 30 bis 40 Leute, so schätzt Neulinger im Nachhinein, haben den Hörsaal eingenommen – um festzustellen, dass sie ohne Versorgung nicht lange durchhhalten können. Also haben sie einen zweiten Raum besetzt, einen Gaskocher organisiert und angefangen zu kochen.

Ein weiterer großer Einsatz kam 2015 beim G7-Gipfel in Elmau und kurz danach am Münchner Hauptbahnhof, wo die Lage angesichts der vielen Flüchtlinge, die hier eintragen, zu kippen drohte. Neulinger hat die erste Nacht aus nächster Nähe miterlebt, wollte seine Mitstreiter in einer neuen Whats­App-Gruppe zur schnellen Hilfe rufen. Doch diese Gruppe gab es bereits und die Hilfe war auf dem Weg.

Der »Anarcho-Haufen« war der Polizei von Elmau her noch gut bekannt. Dort war es nicht zur Konfrontation, sondern zum Dialog gekommen. Also zeichnete sich auch in München eine Zusammenarbeit ab – für konservative wie auch für linke Dogmatiker völlig undenkbar. Aber es hat funktioniert. Der »Anarcho-Haufen« war bestens organisiert und versorgte unzählige Flüchtlinge mit Essen. Unterstützt wurden sie von Privatleuten, von Geschäften und Firmen.

Um Geld ging es dabei erst mal nicht. Bis die Idee aufkam, man müsste doch der Regierung von Oberbayern eine Rechnung für die geleistete Arbeit schreiben. »Das sollte ein politisches Statement sein und war nicht ernst gemeint«, berichtet Neulinger.

Nach sechs Wochen dann die Überraschung: Die Aktivisten stellten einen Geldeingang fest. Damit war die wirtschaftliche Grundlage für weitere Aktionen gesichert. Die VolxKüche wurde als Verein ins Leben gerufen, damit alles seine Ordnung hat. »Anarchie braucht mehr Struktur als alles andere«, sagt Neulinger. Um effektiv Hilfe zu leisten, muss man sich eben ins System eingliedern. Das geht dann auch sehr gut, ohne sich und seine Ideale zu verraten.

Die VolxKüche half in Calais im »Real Jungle«, dem wilden Flüchtlingscamp, in dem wirklich verheerende zustände herrschten. So hilft der Verein auch heute noch: humanitäre Hilfe durch Kochen.

Es ist nicht immer einfach. »Wir sind teilweise derb. Political Correctness ist nicht die Hauptsache. Wir wollen helfen.«
Das mit der Political Correctness fällt schon von außen auf. Da klebt ein Aufkleber »FCK AFD«. »Der ist gar nicht von uns«, beteuert Neulinger. Und wenn ein AfD-Politiker, dessen Ansichten von den Ideen der VolxKüche höchstwahrscheinlich in vielen Dingen abweichen, zum Beispiel im anstehenden Wahlkampf im »5 vor 12« reinschauen würde? »Dann könnten wir konstruktiv diskutieren. Wir bleiben offen für einen sachlichen Dialog.«

Vorurteilsfreiheit gilt in Verein und Café für alle. In beiden kann sich jeder engagieren, einmalig, gelegentlich oder auch fest. Gekocht wird vegan, nicht aus Überzeugung heraus, sondern der banalen Tatsache folgend, dass vegane Lebensmittel der größte gemeinsame Nenner aller möglichen gesellschaftlichen Gruppierungen sind. Damit verringert man die Gefahr von allergischen Reaktionen ebenso wie man in religiöser Hinsicht in allen Richtungen auf der sicheren Seite ist. Gekocht wird fürs Café und für Außeneinsätze, wo Unterstützung gebraucht wird. Und wer einfach nur mal einen Kaffee trinken möchte, der kann das in der Georgenschwaigstraße 26 mittwochs und donnerstags zwischen 11.30 und 14.30 Uhr sowie 15.30 und 21.00 Uhr machen, freitags und samstags zwischen 11.30 und 22.00 Uhr und sonntags zwischen 10.00 und 18.00 Uhr.

Weitere Informationen gibt es auf www.feldcafe.de Preise gibt es dort keine. Jeder zahlt das, was er meint.
Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 22.06.2018
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