Ein freier Tag im Advent

München · Ein Gastbeitrag des Kabarettisten André Hartmann

München im Advent – André Hartmann hat doch noch eine sinnvolle Tätigkeit für seinen freien Tag gefunden.	Foto: cr

München im Advent – André Hartmann hat doch noch eine sinnvolle Tätigkeit für seinen freien Tag gefunden. Foto: cr

München · Es begab sich aber zu der Zeit, dass ich am ersten Advent, ja genau, es muss ein Sonntag gewesen sein, meinen Terminkalender für den Monat Dezember durchblätterte. Im Radio tönte es gerade: »Wir sagen euch an den lieben Advent«…

Plötzlich blitzte sie hervor, wie ein glitzernder Stern, der mir leuchten wollte: eine Lücke von achteinhalb Stunden im ansonsten völlig überfrachteten Dezember­kalender.

Acht Stunden und 30 Minuten am Stück; einfach frei – ohne auch nur einen einzigen Termin. O du fröhliche! Sollte ich da wirklich frei haben, oder hatte da nur jemand vergessen, etwas Wichtiges einzutragen? Oh weh.

Ich überprüfte, ob ich mich auch wirklich nicht verlesen hatte. Denn das wäre die naheliegendste Lösung für diese Orga-Fatana gewesen, also diese unwahrscheinlich wirkende Oase im Termingedränge. Aber ich hatte mich nicht verlesen. An besagtem Tag waren lediglich zwei kurze Termine eingetragen, wobei der eine morgens gegen 9.30 Uhr schon enden sollte und der andere dann erst gegen 18 Uhr begann. Das bedeutete dazwischen rund 500 Minuten völlig freie Zeit. Dieses Ergebnis berechnete ich in nur wenigen Augenblicken, aber zugegeben: Ich habe dabei einen kleinen Trick angewendet: Ich habe nämlich kurzerhand die 8,5 Stunden mit 3.600 multipliziert, um dadurch die Anzahl der Sekunden zu erhalten, und dann einfach das Ergebnis durch 60 geteilt.

Fünfhundert Minuten. Was ich wohl damit anfangen würde? Wie sollte ich damit sinnvoll umgehen, damit mir die Zeit nicht zu lang würde? Konnte ich so viel Freizeit vor Weihnachten überhaupt ertragen?

Jetzt mal Hand aufs Herz, liebe Leute: Wer hat so etwas Irrsinniges denn schon mal erlebt, so kurz vor Ende des Kalenderjahres von einem beinahe terminfreien Tag überrascht, ja eigentlich überfordert zu werden? Auf diesen Schock erst einmal einen Punsch. Den hatte ich schon am Vortag aufgesetzt. Ganz dummes Kopfkino, ich weiß. Nein, nicht wie einen Hut aufgesetzt, sondern ich wollte damit sagen »gekocht« oder »angesetzt«. Ansetzen klingt aber auch nicht so gut, wo doch alle in der Plätzchenzeit rumspinnen: »Oh mein Gott, die vielen Kalorien!« und »Das muss ich im Januar alles wieder abtrainieren.«

Und schon hatte ich wieder ein paar neue Ideen, die ich unbedingt aufschreiben musste. Denn vom (übrigens auch im Bundestag erkennbaren) Diätenwahn handelt unter anderem mein neues Soloprogramm »Veganissimo«, das im kommenden Februar in der Münchner Lach- & Schießgesellschaft Premiere hat, weshalb meine Regisseurin mit mir morgen den ganzen Zweiten Teil durchgehen will. Bis dahin müssen noch 15 Seiten auswendig gelernt werden. Das würde ja eine stille Nacht werden. Gnadenbringende Weihnachtszeit nochmal! Aber ich schweife ab, wie der Komet damals über der Hütte. Weshalb heißt dieser Stern über Bethlehem eigentlich nicht »Komet«, ihr Hirten?

Zurück zu dem fast freien Tag kurz vor Weihnachten. Der ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Was könnte man denn in der freien Zeit alles machen? Ich kann doch unmöglich einfach nur rumsitzen, während da draußen alles hektisch seinem Weihnachtswahnsinn frönt.

Nach Berlin könnte ich während der freien Stunden reisen und laut offiziellem Winterfahrplan der Bahn sogar auch wieder zurück. Der Zug soll doch angeblich seit ein paar Wochen nur noch vier Stunden brauchen, bis er… ja ich weiß, er »soll«. Und Soll heißt nicht Muss. Außer auf dem Girokonto, aber das ist wieder ein ganz anderes Thema.

Aber was würde ich dann tun, wenn ich in Berlin bin, hm? Wusste mir selber keinen Rat. Also gab ich bei einer berühmten Internet-Videosuchmaschine ein: »wenn ich in Berlin bin« und stieß auf eine Hunde-Lovestory als Comicfilm, bei der mich nach etwa 50 Sekunden eine Wolkenstimmung quasi vom Himmel hoch an bayrische Kultur erinnerte, nämlich an die bekannte Geschichte vom Münchner im Himmel. Darin geht es ja um diesen Aloisius, der in den Himmel kommt und sich dort auch schrecklich langweilt, weil ihm die Zeit zu lang wird. Wenn doch nur was passieren würde. Macht hoch die Tür. O Heiland, reiß die Himmel auf!

Jetzt weiß ich: Ich werde mir einfach in der Weihnachtsbäckerei was kaufen, daheim einen schönen Tee kochen und 8,5 Stunden auf dem Sofa verbringen, fernsehend, oder mal ein gutes Buch lesend. Denn das weiß ein jeder: Während süßer die Glocken nie klingen, hört der Engel helle Lieder. Viel besser noch: Ich werde Rätselhefte beschriften. Unwort des Jahres mit R… – warte mal, mit »Er-« wüsste ich schon ein paar passende Wörter, die dann enden mit -kältung oder -satzverkehr oder

  • derwärmung.
    Auch mancher Politiker beginnt damit. Aber als Unwort des Jahres vielleicht eher »Erberlin«, oder wie schreibt sich das?

Warum aber zu Hause versauern? Der MVV hat kürzlich einen Plan mit den schönsten Weihnachtsmärkten veröffentlicht. Die könnte ich ja mal alle nacheinander abfahren, angefangen mit der Kripperlausstellung im Münchner Rathaus. Und dann einen Glühwein nach dem anderen. Und überall den Duft einatmen von Myrrhe, Weihrauch und natürlich von Gold. Ich bin mir sicher, wenn drei heilige Königinnen damals gekommen wären, dann hätten die aber andere Geschenke mitgebracht, und sie wären vermutlich pünktlich angekommen und hätten bei der Geburt geholfen.

In mir wurde ein Gedanke immer heller: Vielleicht werde ich die Zeit dazu nutzen, endlich den Menschen in meiner Umgebung Zeit zu widmen, die das verdient haben. Bei dieser Idee zündete ich erstmal ein Kerzenlicht an und sah aus dem Fenster auf die Straße. Dumpa wurde es auch gleich. Leise rieselte der Schnee.

So. Und wenn Ihr jetzt nur zwölf Weihnachtslieder in meinem Text gefunden habt, dann solltet ihr nochmal konzentriert durchzählen. Sind nämlich mehr drin. Viel Spaß! Von André Hartmann

Der Autor
André Hartmann ist Pianist und Musiklehrer, Musikkabarettist, Moderator und Stimmenimitator. Dem Nockherberg-Fan ist er als Double von Gerhard Schröder und Christian Ude bekannt. Monatlich lädt er für sein Publikum als Talkmaster zwei prominente Gesprächspartner in sein »Ratsch-Kartell« ins Schwabinger Theater Heppel & Ettlich ein. Im Hofspielhaus präsentiert André Hartmann am 26. Dezember sein wahnwitziges Weihnachts-Programm »Morgen kommt der Hartmann« um 20 Uhr und am 6. Januar 2018 wird er zum 44. Mal seine Solo-Show »Rikscha Sightseeing von A – Z« ebenfalls auf der Hofspielhaus-Bühne darbieten.

Artikel vom 22.12.2017
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