Die Fakten zum Beschluss der Mitgliederversammlung des TSV München von 1860 e.V.

Ein Ausstieg Ismaiks kann nicht erzwungen werden

Belastetes Verhältnis: die Fans des TSV 1860 und Investor Hasan Ismaik. Foto: Anne Wild

Belastetes Verhältnis: die Fans des TSV 1860 und Investor Hasan Ismaik. Foto: Anne Wild

München/Giesing · Der Beschluss der Mitgliederversammlung des TSV München von 1860 e.V., den Kooperationsvertrag mit HAM International Limited – dem Unternehmen des jordanischen Investors Hasan Ismaik – binnen sechs Monaten zu kündigen, sorgt für reichlich Wirbel in der Medienlandschaft und viele Fans machen sich Gedanken, was dieser Beschluss für den Verein, aber auch für die Profi-Fußballgesellschaft und damit für die in der KGaA organisierten Mannschaften konkret bedeutet. Die Münchner Wochenanzeiger haben recherchiert und benennen die Fakten.

Vorweg: Einen Ausstieg des Investors aus der TSV München von 1860 GmbH & Co. KG kann der Antrag nicht erzwingen. Der Beschluss der Mitgliederversammlung des TSV München von 1860 e.V. ist jedoch ein klares Zeichen an den Investor, dass sein Wirken von den Mitgliedern überaus kritisch gesehen und nach dem Absturz in die Regionalliga auch nicht länger widerspruchslos hingenommen wird.

Um welchen Antrag geht es?

Hier der Antrag auf der Mitgliederversammlung vom 23. Juli 2017 im Wortlaut:

Der Verein TSV München von 1860 e.V., vertreten durch das Präsidium, soll nach Zustimmung des Verwaltungsrats den Kooperationsvertrag mit HAM International Ltd. aus dem Jahr 2011 nach dieser Mitgliederversammlung außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich kündigen und erforderlichenfalls die Geschäftsführung der TSV München von 1860 GmbH & Co KGaA bzw. der TSV München von 1860 Geschäftsführungs-GmbH anweisen, diesen Kooperationsvertrag ebenfalls außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich, zu kündigen, wenn es nicht innerhalb von sechs Monaten gelingen sollte, einen neuen Investor statt HAM Ltd. zu finden. Die HAM International Ltd. hat die im Lizenzierungsverfahren zugesagte Zahlung für die Lizenzbedingungen der DFL nicht geleistet. Dies stellt eine Hauptpflichtverletzung dar.

Unter den gleichen Bedingungen wie oben genannt, soll der Verein TSV München von 1860 e.V. als Alleingesellschafter der TSV München von 1860 Geschäftsführungs-GmbH, vertreten durch das Präsidium, nach Zustimmung des Verwaltungsrats nach dieser Mitgliederversammlung die Satzung der Geschäftsführungs-GmbH ändern, so dass der Beirat und seine Befugnisse vollständig abgeschafft werden. Dazu soll der Verein, immer wenn es möglich, sinnvoll und nötig ist, von seinen Befugnissen nach der sogenannten 50 plus 1 Regel des DFB bzw. der DFL GmbH bzw. des Bayerischen Fußballverbandes Gebrauch machen und dafür erforderliche Maßnahmen ergreifen, insbesondere erforderliche Weisungen an die Geschäftsführer erteilen.

Was haben die Mitglieder entschieden?

Am 23. Juli 2017 haben die Mitglieder des TSV München von 1860 e.V. auf ihrer Mitgliederversammlung das Präsidium durch die Annahme des Antrags aufgefordert, das bestehende Vertragsverhältnis mit der HAM International Ltd. (der Beteiligungsgesellschaft von Hasan Ismaik) für den Fall zu kündigen, dass innerhalb einer Frist von sechs Monaten kein anderer Investor anstelle von Hasan Ismaik gefunden wird. Darüber hinaus soll der Beirat der Geschäftsführungs-GmbH – ein erst 2011 neu geschaffenes Gremium, in dem die Gesellschafter mit je zwei Vertretern sitzen – abgeschafft werden.

Eine Kündigung des Kooperationsvertrags zieht keineswegs automatisch einen Anteilsverkauf nach sich. Die Kündigung regelt auch nicht, was mit den über die Jahre aufgelaufenen Genussscheinen, Darlehen mit Rangrücktritt oder gestundeten Darlehen der Investorenseite geschehen soll. Gekündigt würde lediglich der beim Einstieg der HAM International Ltd. abgeschlossene Kooperationsvertrag. In ihm sind unter anderem die Regeln für die Zusammenarbeit der Gesellschafter und deren Rechte und Pflichten vereinbart. Zur Gestaltung der weiteren künftigen Zusammenarbeit wäre dann ein neuer Vertrag erforderlich.

Wer hat den Kooperationsvertrag unterzeichnet?

Der Verkauf von Anteilen an der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA erfolgte im Jahr 2011 in einer wirtschaftlichen Notlage – die Gesellschaft stand kurz vor der Insolvenz – durch das Präsidium Dieter Schneider, Franz Maget und Wolfgang Hauner. Unterschrieben wurde der Kooperationsvertrag von Schneider und Maget. Auf Seiten der HAM International Limited unterzeichnete Hamada Iraki, ausgestattet mit einer Vollmacht von Hasan Ismaik.

Ist der Kooperationsvertrag einseitig kündbar?

Ja, das ist er, etwa bei einer erheblichen Vertragsverletzung eines Gesellschafters. Eine solche Verletzung muss nachgewiesen sein.

Ist die Entscheidung der Mitglieder für das Präsidium überhaupt bindend?

Das Präsidium ist als Vertreter des e.V. an einen Beschluss des höchsten Vereinsorgans (das ist laut Satzung des e.V. die Mitgliederversammlung) gebunden. Deshalb ist es wichtig, den gefassten Beschluss der Mitglieder genau zu lesen.

Zunächst fällt auf, dass die Mitglieder offenbar nicht alleine entscheiden wollten, sondern auch den, nach der Nachwahl wieder vollzähligen, neunköpfigen Verwaltungsrat des TSV München von 1860 e.V. in die Pflicht nehmen, darüber zu entscheiden, wie in dieser Frage verfahren werden soll. Dies wird deutlich am Zusatz im Antrag »nach Zustimmung des Verwaltungsrats« und bedeutet: ohne die Zustimmung des Verwaltungsrats passiert erst einmal gar nichts. Offenbar wollte die Antragstellerin verhindern, dass der Antrag ungeprüft hinsichtlich seiner Folgen vom Präsidium umzusetzen ist.

Auf der Versammlung wurde der Antrag von der Antragstellerin auf dringende Bitte des Präsidiums terminlich neu gefasst. Anstelle der Formulierung »unverzüglich« wurde »innerhalb von sechs Monaten« eingefügt. Eine weitere ergänzende Bedingung nimmt ebenfalls Druck vom Präsidium. Die Formulierung »wenn es nicht innerhalb von sechs Monaten gelingen sollte, einen neuen Investor statt HAM Ltd. zu finden« heißt, das Präsidium ist nur dann aufgefordert zu handeln, wenn es Geschäftsführer Markus Fauser oder seinem Nachfolger nicht gelingt, eine Übernahme durch einen anderen Interessenten in die Wege zu leiten.

Was regelt der Kooperationsvertrag genau und welche Fallstricke ergeben sich daraus für den e.V.?

Wie der »Süddeutschen Zeitung«, liegt auch den »Münchner Wochenanzeigern« das umfangreiche Vertragswerk zwischen den Parteien in einer Kopie vor. Man kann fast von einem Knebelvertrag sprechen. So ist es dem e.V. beispielsweise laut Kooperationsvertrag nicht gestattet, selbst weitere Geldgeber für die Profi-Fußballgesellschaft zu akquirieren oder mit ihnen zu verhandeln – eine absurde Regelung.

Darüber hinaus enthält der Vertrag eine ganze Reihe problematischer Verpflichtungen, deren Wirksamkeit in der Praxis umstritten sein dürfte. Die augenfälligsten hier in einer Übersicht:

  • Der e.V. darf keine Lizenz für eine erste Mannschaft zur Teilnahme am Spielbetrieb einschließlich der Dritten Liga und der Regionalliga beantragen. Ausdrücklich auch nicht im Falle einer Insolvenz der KGaA.
  • Nach einer möglichen Abschaffung der 50+1-Regelung im Deutschen Fußball gilt bereits als vereinbart, dass die Geschäftsführungs-GmbH von der HAM International Ltd. übernommen wird. Besagte Geschäftsführungs-GmbH, die derzeit noch zu 100 Prozent dem e.V. gehört, ist dem Geschäftsführer der Profi-Fußballtochter KGaA gegenüber weisungsbefugt. Fiele die 50+1-Regel, hätte Hasan Ismaik – und nur noch er – das alleinige Sagen bei den Löwen.
Diese Konstellation erschwert ein mögliches Investment weiterer Parteien. Solange dieser Kooperationsvertrag besteht, dürfte nur schwerlich ein Dritter neben Ismaik in die KGaA investieren wollen, denn er hätte in der Praxis keinerlei Einflussmöglichkeit. Insbesondere vor dem Hintergrund von Ismaiks Beschwerde beim Bundeskartellamt gegen die 50+1-Regel stellt der bestehende Kooperationsvertrag geradezu ein Hindernis für andere Interessenten dar.

  • Laut des vor der Satzungsreform des TSV München von 1860 e.V. geschlossen Kooperationsvertrags steht der Investorenseite automatisch ein Sitz im Verwaltungsrat (früher Aufsichtsrat) des e.V. zu. Allerdings unter der Einschränkung satzungsgemäßer Bestimmungen des e.V. – diese verhindern in ihrer aktuell gültigen Form diesen Automatismus.
  • Der e.V. hat sich im Kooperationsvertrag verpflichtet, einen Beirat der Geschäftsführungs-GmbH zu installieren und diesen beizubehalten. Im Beirat sind die Gesellschafter paritätisch vertreten.
Es dürfte nahezu ausgeschlossen sein, dass der Antragstellerin und erst recht nicht den Mitgliedern auf der Mitgliederversammlung diese Details im Vorfeld bekannt waren. Andernfalls wäre die Zustimmung zur Kündigung des Vertragswerks wohl noch weit deutlicher ausgefallen als ohnehin.

Hat die HAM International Limited, vertreten durch Hasan Ismaik, den Kooperationsverlag überhaupt verletzt?

Verstöße der HAM International Limited gegen den Kooperationsvertrag dürften zahlreiche vorliegen. Bekannt geworden sind folgende:

  • Im Kooperationsvertrag verpflichtet sich die Investorenseite zur Einhaltung der Satzungen und Ordnungen des DFB und der DFL. Die von Hasan Ismaik geäußerte Klageabsicht gegen die 50+1-Regel und seine Beschwerde beim Bundeskartellamt widerspricht dieser Verpflichtung.
  • Ebenso hat sich die HAM International Ltd. im Kooperationsvertrag dazu verpflichtet, den e.V. im Bereich der Nachwuchsarbeit im Fußball nach Kräften zu fördern und zu unterstützen. Die ultimative Forderung zur sofortigen unentgeltlichen Überstellung sämtlicher Juniorenmannschaften an die Profi-Fußballtochter KGaA entspricht nicht dem Geist des Vertrags.
  • Negative Äußerungen in der Öffentlichkeit übereinander sind den Gesellschaftern laut Kooperationsvertrag ausdrücklich untersagt.
  • Ein fehlendes vertrauensvolles und kooperatives Verhältnis zum Bayerischen Fußball-Verband (BFV) könnte ebenfalls als Bruch des Kooperationsvertrags gesehen werden, denn auch dieses ist zwischen den Kooperationspartnern schriftlich vereinbart.
  • Die gravierendste Pflichtverletzung der HAM International Ltd. gegen den Kooperationsvertrag dürfte aber in der Verweigerung der zur Lizenzerteilung erforderlichen finanziellen Mittel für die Dritte Liga liegen. Ismaiks Beteiligungsgesellschaft hat im Kooperationsvertrag erklärt, das erforderliche Kapital zur Verwirklichung der von der KGaA angestrebten sportlichen Ziele zur Verfügung zu stellen. Das Spielen in der Regionalliga dürfte kaum zu den angestrebten sportlichen Zielen des TSV 1860 München gehören.
Warum geriet die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA (die ausgegliederte Profi-Fußballtochter) nach dem Abstieg wirtschaftlich derart in Not?

Die Profi-Fußballgesellschaft des TSV 1860 München wollte in der vergangenen Saison mit einer aggressiven Investitionsstrategie die sportliche Wende hin zu einem Aufstieg in die Bundesliga einleiten. Nach Hannover 96 und dem VfB Stuttgart verfügte der TSV 1860 über den dritthöchsten Etat der Liga.

Nach dem spektakulären Scheitern dieser Strategie die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA und ihren Gesellschafter TSV München von 1860 e.V. mit den finanziellen »Altlasten« der abgelaufenen Zweitligasaison alleine im Regen stehen zu lassen, ist mindestens fragwürdig und entspricht ebenfalls nicht dem Geist des Kooperationsvertrags. Zumal die Investorenseite in der Saison 2016/2017 praktisch alle sportlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen nach freiem Ermessen treffen durfte und die Gremien im e.V. dieses Vorgehen gebilligt haben. Dass der e.V. als Gesellschafter so gehandelt hat, muss man nicht mögen, nachvollziehbar ist der Kurs, für den insbesondere Präsident Peter Cassalette stand, durchaus.

Nach mehreren sportlich erfolglosen Zweitliga-Jahren, in denen der Investor die jährliche Unterdeckung im Etat durch immer neue Darlehen finanzierte, sollte endlich der lang erhoffte Aufstieg gelingen. Nur im Falle eines Aufstiegs in die Bundesliga wäre überhaupt eine Rückzahlung der bislang von Hasan Ismaik ausgereichten Gelder denkbar gewesen.

Die HAM International Ltd. erklärte sich zu höheren Investitionen in Kader und Management bereit, verlangte dafür aber die alleinige Kontrolle darüber, wie die Mittel zu verwenden waren. Eine keineswegs unverständliche Forderung, der die Vereinsgremien auch nachgaben. Die Alternative wäre ein Investitionsstopp gewesen.

Wie kann die HAM International Limited auf die Kündigung des Kooperationsvertrags reagieren?

Sie hat das Recht, dagegen zu klagen. Den Löwen müssten sich womöglich auf einen langwierigen Rechtsstreit einstellen.

Kann nach der Kündigung des Kooperationsvertrags die Investorenseite auf der sofortigen Rückzahlung ihrer Darlehen bestehen?

Nein, das kann sie nicht. Sie hat zuletzt, um das Fortbestehen der Gesellschaft zu ermöglichen, fällige Darlehen gestundet. (Anmerkung Redaktion: Als Stundung wird das Aufschieben einer fälligen Zahlung bezeichnet.)

Droht der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA bei einer Kündigung des Kooperationsvertrags die Insolvenz?

Nein, das scheint zumindest auf Sicht nicht der Fall. Die kommenden zwei Jahre sind finanziert und laut Auskunft von Geschäftsführer Markus Fauser durch zwei externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaften testiert.

(as)

Artikel vom 26.07.2017
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