Condrobs e.V. will Naloxongabe bei Heroin-Überdosis leichter möglich machen

München · Hilfe gibt es derzeit nur in der Theorie

Der Inhalt dieser Ampulle kann Leben retten – doch der Zugang zu Naloxon ist reich an Hürden.	Foto: Condrobs

Der Inhalt dieser Ampulle kann Leben retten – doch der Zugang zu Naloxon ist reich an Hürden. Foto: Condrobs

Von Carsten Clever-Rott
München · Der Mensch ist bereit, für ein kurzlebiges Hochgefühl sein Leben zu zerstören. Rauschmittel, egal ob legal oder illegal, beeinflussen die Psyche und schädigen gleichzeitig den Körper nachhaltig. Alkohol und Zigaretten sind gesellschaftlich und rechtlich weitgehend akzeptiert, doch weil das bei bewusstseinsverändernden Drogen anders ist, spielt sich in diesem Bereich vieles im Dunkeln ab.

Auch gestorben wird im Geheimen – unabhängig von der Schuldfrage ist jeder dieser Todesfälle tragisch. Schlimmer noch: Nicht wenige dieser Todesfälle könnten verhindert werden. Dieser Auffassung ist Condrobs, in München ansässiger Träger für Hilfsangebote. Es fehlt bislang »nur« die Rechtsgrundlage. Vor wenigen Tagen fand dazu im Bayerischen Landtag eine Anhörung vor dem Ausschuss für Gesundheit und Pflege statt. Konkret geht es darum, Naloxon an geschulte medizinische Laien abzugeben. Naloxon ist ein Opioid-Antagonist. Ein Gegenspieler, der die Wirkung von Heroin innerhalb von Minuten aussetzen kann. Das ist vor allem dann wichtig, wenn sich der Süchtige eine Überdosis des Rauschgifts verabreicht hat. Mit der Gabe von Naloxon kann man sein akut bedrohtes Leben retten.

Die Krux an der Sache: Naloxon darf eben nicht beliebig ausgegeben werden. Süchtige haben zwar die Möglichkeit Naloxon für sich zu erhalten, können es aber im Fall einer Überdosis nicht mehr selbst bei sich anwenden, weil sie dazu körperlich nicht in der Lage sind. Die Folgen sind dramatisch. In Zahlen ausgedrückt heißt das: 66 Drogentote im Jahr 2015 im Bereich des Polizeipräsidiums München, davon 62 im Stadtgebiet. Im gleichen Zeitraum waren es bayernweit 314 Drogentote – etwa ein Viertel der Drogentoten in ganz Deutschland. Damit liegt der Freistaat an der Spitze dieser traurigen Statistik. Es wäre vermessen zu behaupten, die 66 Todesopfer in München hätten gerettet werden können. Nach Auswertung der öffentlich zugänglichen Polizeimeldungen aber geht Olaf Ostermann, Gesamtleiter der Kontaktläden limit und off+ von Condrobs, davon aus, dass mindestens zwölf Menschen hätten gerettet werden können, weil andere in deren Nähe waren, aber in der Situation nicht helfen konnten. Übrigens auch dann nicht, wenn die Süchtigen Naloxon in greifbarer Nähe gehabt hätten. Denn um das Gegengift zu verabreichen, sollte man eine Schulung besucht haben und man muss Zugriff auf Naloxon haben, also wissen, dass es greifbar ist und wo es sich befindet. Das ist genau das Anliegen von Condrobs. Der Verein bietet zwar Schulungen für die Verabreichung von Naloxon an, jedoch ist die Zahl von 60 geschulten Personen bei geschätzt 4.000 bis 6.000 Drogenkonsumenten in München noch sehr gering. Abgesehen davon erhalten die geschulten Personen selbst kein Naloxon.

Das Programm ist noch jung und soll in ganz Bayern etabliert werden. Gleichwohl muss Condrobs derzeit die Kosten für die Schulungen in voller Höhe übernehmen – auf Dauer für den Verein nicht zu stemmen. Zwar erhält Condrobs Unterstützung von der Stadt München und vom Regierungsbezirk Oberbayern, aber das Problem geht eben weit darüber hinaus. Besonders Nürnberg sei betroffen. Für die Schulungsteilnehmer ist der Kurs kostenlos. Je niedrigschwelliger, desto effektiver. Die Anhörung im Landtagsausschuss war ein Signal, dass sich die Politik des Problems bewusst ist und es behandeln will. Das Ende: offen. Der zeitliche Horizont: weit offen.

Hintergrundinfo

Vorreiter beim Einsatz von Naloxon sind die USA. In Kanada gibt es ein rezeptfreies Nasenspray mit dem Wirkstoff. Ein Modellprojekt gab es bereits von 1998 bis 2001 in Berlin, in Schottland hat man gute Erfahrungen hinsichtlich der Zahl der Drogentoten nach Haftentlassungen gemacht. Diese Zahl sei um etwa 30 Prozent zurückgegangen. In der Wirkung besetzt Naloxon die Rezeptoren des Gehirns, an denen der Rauschmittelwirkstoff andockt. Naloxon kann das Rauschmittel sogar vertreiben. Aufgrund seiner geringeren Wirkdauer kann das Rauschgift allerdings erneut andocken und damit eine Notsituation herbeiführen. Naloxon ist beinahe nebenwirkungsfrei und hat kein Suchtpotenzial. Die seltenen Nebenwirkungen beschränken sich auf Schwindel, Kopfschmerzen, niedrigen oder hohen Blutdruck und Übelkeit.

Artikel vom 03.11.2016
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