Konsum ohne Tempel

Wer hier arbeitet, hilft gern: Im September eröffnet in Kirchheim die sechste Klawotte

Gemeinsame Arbeit am »runden Tisch«: Hier sortieren und prüfen Mitarbeiterinnen in Unterschleißheim die gespendeten Kleidungsstücke.	Foto: Camehn

Gemeinsame Arbeit am »runden Tisch«: Hier sortieren und prüfen Mitarbeiterinnen in Unterschleißheim die gespendeten Kleidungsstücke. Foto: Camehn

Kirchheim/München · Einkaufen macht Spaß. Freundliche Verkäufer und Verkäuferinnen, ein breites Sortiment vom Kinderbedarf über Hemden, Hosen, Schuhe, Geschirr, Bücher, CDs, Badeartikel... und das vor allem: günstig. Sehr günstig.

Bücher werden hier gleich zum Kilopreis verkauft, eine Jacke ist schon für zwei Euro zu haben und ein schickes Dirndl gibt’s mitunter schon ab sechs Euro.

»Hier kann jeder einkaufen«, betont Helene Nestler. »Und Bedürftige zahlen nur die Hälfte.« Dafür müssten sie lediglich einen entsprechenden Einkommensnachweis vorlegen, also etwa den Renten- oder den ALG-II-Bescheid. Liegt der dann vor, gibt’s eine entsprechende Kundenkarte, die seinem Besitzer dauerhaft Rabatt in der »Klawotte« garantiert.

Helene Nestler hat sich das alles ausgedacht und 2008 die erste Klawotte eröffnet, in Ottobrunn. Träger ist die Arbeiterwohlfahrt, genauer gesagt der AWO Kreisverband München-Land e.V. Keine Frage: Das Prinzip Klawotte (Nestler: »Den Namen hat sich mein Mann ausgedacht«) ist inzwischen ein Erfolgsmodell im Raum München. Und funktioniert vor allem auch deshalb, weil hier ehrenamtliche Helfer im Einsatz sind. Arbeiten für gute Zwecke – was nach Abzug aller Kosten übrig bleibt, fließt in soziales Engagement. So werden von der AWO etwa Projekte in Afrika unterstützt oder es wird obdachlosen Frauen geholfen.

Versuch in Sachen Nachhaltigkeit

Das Modell eines kleinen Kaufhauses, in dem es nicht alles aber sehr viel sehr günstig gibt und dessen Umsatz Hilfe zum Helfen ist – dieses Modell lässt sich zum Beispiel in Unterschleißheim recht gut studieren. Zum Beispiel an einem Donnerstag, kurz vor 9 Uhr. Gleich öffnet die Klawotte an der Landshuter Straße, fast ein Dutzend Menschen warten schon auf Einlass, gleich werden sie in der rund 150 Quadratmeter großen Filiale ausschwärmen und auf zwei Stockwerken in Ruhe stöbern und einkaufen. Manchmal kommen hier 170 Kunden an einem Vormittag.

Alles was in den Auslagen liegt und steht, ist gespendet. Die angelieferte Ware wird sortiert, geprüft und ausgezeichnet, allein vier Mitarbeiterinnen sind an diesem Vormittag damit beschäftigt, Hemden, Blusen, Hosen, T-Shirts und Schuhe auf ihre Verkäuflichkeit zu sichten. Was nicht mehr veräußert werden kann, wandert in den Müll.

Die Klawotte ist auch ein Versuch in Sachen Nachhaltigkeit, ein Second-Hand-Laden als Zeichen für ein etwas anderes Konsumverhalten, kein Shoppingtempel mit Schnäppchenattitüde. Ramsch wird man hier schwer finden. Im Gegenteil.

»Bei uns kaufen zum Beispiel viele junge Mütter«, erzählt Gabi Schmid-Scherr, Leiterin der hiesigen Klawotte. Da sei nicht nur der niedrige Preis entscheidend sondern auch, »weil da die Schadstoffe aus den Kindersachen schon rausgewaschen sind«, erzählt Schmid-Scherr.

»Ehrenamt muss Spaß machen«

Doch nicht nur die Kundschaft profitiert davon, dass gut Erhaltenes nicht in den Müll sondern ins Klawotte-Regal gelangt.

Auch die Helfer haben hier ein Stück Heimat gefunden, so scheint es. »Ehrenamt muss Spaß machen«, sagt Schmid-Scherr. Wer hier hilft, schätzt es nicht nur, etwas Gutes zu tun. »Viele Ehrenamtler sind schon seit Jahren dabei«, sagt Initiatorin Helene Nestler. So wurden bei der gemeinsamen Arbeit neue Freundschaften geschlossen. Auch ein Beleg dafür, dass sich die Helfer beim Helfen wohlfühlen. Dazu tragen nicht zuletzt die flachen Hierarchien bei. Alle dürfen und sollen mit entscheiden, Vorschläge machen, planen.

Zum Beispiel Elfriede Mallmann, die 45 Jahre im Einzelhandel gearbeitet hat und einfach keine Lust hatte, sich danach untätig aufs Altenteil zurückzuziehen. »Ich muss was machen, schafteln, die Klawotte ist mein Ding«, lacht sie. Mallmann schätzt die Gesellschaft der Kolleginnen, die Klawotte ist ihr so auch eine Art neuer Lebensinhalt geworden.

Was hinzukommt: Wer hier arbeitet, hat keinen Leistungsdruck, jeder macht, was er kann. »Manche arbeiten lieber im Hintergrund, andere lieben den Kundenkontakt«, erzählt Schmid-Scherr. Jeder soll so mittun wie er kann. Und die Arbeitsstunden sind überschaubar wie frei wählbar. Die Öffnungszeiten der Klawotte sind Dienstag- und Donnerstagvormittag, Freitagnachmittag und einmal im Monat vier Stunden am Samstag.

Das Erfolgsmodell Klawotte geht demnächst in die nächste Runde: Im September soll das mittlerweile sechste »Gebrauchtwaren-Kaufhaus« der AWO im Landkreis eröffnet werden. Standort ist Kirchheim, Gewerbegebiet in der Benzstraße 1b.

Die AWO sucht hierfür noch helfende Hände, Ehrenamtler, »die Lust haben, diesen besonderen Treffpunkt der Generationen mit aufzubauen«, wie der AWO Kreisverband München-Land wirbt. Nicht nur, weil Einkaufen Spaß machen soll. Volker Camehn

Artikel vom 21.08.2016
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