Tränen und Trost

Giesing · Das Lacrima-Zentrum der Johanniter für trauernde Kinder hat eine neue Heimat

Diakon Tobias Rilling leitet das Lacrima-Angebot auch an der neuen Adresse in Giesing. Ihm und der treuen Handpuppe Rudi als wichtigem Gesprächsmittler gefällt es an der neuen Wirkungsstätte offenbar bestens. 	Foto: HH

Diakon Tobias Rilling leitet das Lacrima-Angebot auch an der neuen Adresse in Giesing. Ihm und der treuen Handpuppe Rudi als wichtigem Gesprächsmittler gefällt es an der neuen Wirkungsstätte offenbar bestens. Foto: HH

Giesing · Tobias Rilling sitzt im Ruheraum von »Lacrima« und strahlt mit Handpuppe Rudi um die Wette. Lacrima leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet so etwas wie die Träne.

Im Lacrima Johanniter-Zentrum werden seit 2007 Kinder, Jugendliche und deren Angehörige in einer der schwierigsten Phasen des Lebens mit Herz und Wärme begleitet. »Denn wenn ein geliebter Mensch wie etwa der Vater oder die Mutter stirbt, gerät das Familienleben aus den Fugen«, erklärt Rilling als zuständiger Lacrima-Sachgebietsleiter und langjähriger Fachmann. Während sonst viele Tränen fließen, hat heute aber auch die Freude ihren Platz.

Denn nach heimatlosen Jahren als Untermieter in unterschiedlichsten Häusern der evangelischen Kirche und in den verschiedensten Stadtteilen hat Lacrima jetzt endlich großzügige, eigene Räumlichkeiten beziehen können. Am neuen Obergiesinger Zentralstandort an der Perlacher Straße 21 samt Sozialstation und ambulanter Tagespflege riecht es in den Gängen und Zimmern des rund 200 Quadratmeter großen Raumgeflechtes noch nach frischen Wandfarben. Möbel und Interieur sind noch nicht vollständig an ihren endgültigen Bestimmungsorten angelangt. »Doch wir fühlen uns hier schon sehr wohl«, unterstreicht Rilling das aktuelle Befinden.

Rasche Eingewöhnung tut hier ohnehin Not. Denn die Nachfrage nach solch fachlicher Hilfe in der Trauerbewältigung steigt stetig. Das Zentrum bietet den Hinterbliebenen im Trauerfall umfangreiche Hilfen. »Während Erwachsene oft an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit stoßen, trauern Kinder ganz anders und können die Trauer zuhause oft nicht ausleben, weil sie im reduzierten Familienverbund neue Aufgaben übernehmen müssen«, schildert Rilling eindringlich die immer wiederkehrende Problematik. Bei Lacrima reagiert man auf die unterschiedlichen Formen des Bewältigens auch mit einer räumlichen Trennung. »Kinder verarbeiten Trauer anders – Deshalb bieten wir hier verschiedene Räume für Toben, wichtige Ruhe- und Besinnungsphasen und Kreativität«, ist Rilling ebenso wie Johanniter-Pressesprecher Gerhard Bieber vom eigenen Konzept überzeugt. »Wir brauchen für die verschiedenen Formen der Bewältigung auch unterschiedliche Angebote«, so Bieber.

Bei Lacrima können sich die Kids wahlweise ausruhen und sanften musikalischen Klängen lauschen, Im Kreativraum malen, Ostereier basteln und malen oder nach Herzenslust im Tobezimmer überschüssige Energien abbauen. Währenddessen bewältigen die Erwachsenen nebenan beim gemeinsamen Gruppengespräch mit haupt- und vor allem vielen ehrenamtlichen Lacrima-MitarbeiterInnen Zug um Zug ihren Trauerprozess in gemeinsamer Runde. »Wir beginnen aber ganz behutsam«, versichert Rilling. Zu Beginn werde für die Angehörigen eine Kerze entzündet – als greifbares Symbol des gemeinsamen Trauerns. »Wenn die Mutter mit drei Kindern vorbeikommt, weil der Vater kürzlich unerwartet verstorben ist, dann müssen sich diese Menschen erst einmal sammeln und brauchen Raum für ihren Schmerz«, erklärt Rilling. Dies stehe ganz am Anfang einer langen Entwicklung. »Wir wollen vor allem auch psychosomatische Folgen und Spätfolgen vermeiden«, gibt der erfahrene Trauer-Bewältiger zu verstehen. Dazu gehört auch ein obligatorischer Schnupperkurs für die ganze Familie.

Damit der schwierige Spagat aus Trauer und deren Bewältigung Zug um Zug gelingen kann, ist der richtige Einstieg wichtig. Nach einem informativen Telefonat erscheinen die Familien zunächst zum Screening. »Dabei wird überprüft, ob die Menschen hier bei uns an der richtigen Adresse sind«, so Rilling. Erst danach geht es in die Schnupperkurse, anschließend in die Gruppenstunden für Erwachsene und Kinder. »Das Teilen des Leids in der Gruppe macht manches einfacher. Viele unserer Gäste sind über Jahre bei uns, man kennt sich in den Gruppen und unternimmt auch außerhalb der Gruppenstunden vieles miteinander«, bringt Rilling die Intention nahe. An den drei Standorten München, Pfaffenhofen und Rosenheim kümmern sich neben den Hauptamtlichen rund 50 Ehrenamtliche um die Trauernden. »Wir sind schon stolz auf unser 2:1-Betreuungssystem«, unterstreichen Rilling und Bieber.

Jeweils für zwei Besucher biete man eine Betreuungsperson. Diese vorwiegend ehrenamtlichen Kräfte würden umfangreich geschult und fortgebildet. Dazu stünden aus dem Johanniter-Umfeld pädagogische und im Bedarfsfall psychologische Fachkräfte zur Verfügung. »Derzeit betreuen wir rund 70 Kinder und deren Angehörige«, verweist Rilling auf starke Nachfrage. Das neue Raumangebot verbessert die Rahmenbedingungen erheblich. »Wir sind dankbar, dass uns eine private Stiftung, die namentlich nicht genannt werden möchte, die Räumlichkeiten zu einem günstigen Mietzins überlässt und zudem auch die gesamte Raumrenovierung vor der Übergabe übernommen hat.«

Denn ansonsten bewältigen die Johanniter die kostenintensiven Einbauten – etwa für eine neue Küchenzeile – aus eigenen und aus Spendenmitteln. »Eine unserer vorbildlichen, ehrenamtlichen Damen hat gleich auch noch 1.000 Euro für die neue Küche gespendet«, ist Rilling stolz auf seine Teamplayer. Er hat bei den Johannitern das Lacrima-Angebot einst selbst entscheidend mit initiiert. »Ich bin evangelischer Diakon und hatte in meiner früheren Aufgabe als regionaler Jugendreferent der evangelischen Kirche bei einem Zeltlager das auslösende Erlebnis. In diesem Zeltlager hat ein Junge zunächst für uns alle unerklärlich ständig geweint und nachts eingenässt«, erzählt Rilling noch immer berührt. »Wir wussten zunächst nichts von der Trauer des Kindes, weil die Mutter vom Tod des Kinds-Vaters kurz vor dem Zeltlager nichts erzählt hatte. Wir mussten uns dem Kleinen behutsam annähern, haben uns später intensiv ausgetauscht und zur Erinnerung an den Vater vor Ort Fackeln angezündet – Ich glaube, der Junge hat trotz seiner Trauer viel Positives mitgenommen.«

Rillings Interesse an aktiver Trauerarbeit war geweckt. »Bei der Recherche habe ich dann festgestellt, dass es in diesem Bereich kurz nach der Jahrtausendwende noch wenig Angebot gab.« Schließlich konnte der Macher die Johanniter fürs eigene Projekt gewinnen. »Seit den Anfangstagen 2007 passt das hervorragend«, lautet Rillings positive Zwischenbilanz. In den neuen Räumen haben die Kinder und erwachsenen Angehörigen Verstorbener neben der notwendigen Zeit zur Bewältigung endlich auch den geeigneten Raum, die infolge des Todes geliebter Mitmenschen zusammengebrochene Eigen-Welt neu und behutsam wieder aufzubauen. Tobias Rilling und auch die Handpuppe Rudi als wichtige Mittler tragen dazu entscheidend bei. Kein Wunder, dass die beiden Protagonisten im neuen Zentrum der Tränen und Trauerbewältigung in Obergiesing heute auch mal so richtig um die Wette strahlen. Harald Hettich

Umfangreiche Informationen für Interessierte und potentielle Spender ebenso wie Veranstaltungshinweise vermitteln die Johanniter (Hauptsitz München: Schäftlarnstraße 9, 81371 München) entweder telefonisch unter 0 89 / 7 20 11 -0, per Mail unter muenchen@johanniter.de oder unter www.johanniter.de/muenchen

Artikel vom 09.03.2016
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