Genau hinschauen!

München · Wie die Angst vor dem Terror die Wahrnehmung verändert

Eine Gruppe Männer, die sich laut äußern, wird mit Skepsis beobachtet – hier ist diese Reaktion unangebracht, aber das muss man aus der Entfernung erst mal beurteilen können. Tatsächlich bedanken sich syrische Flüchtlinge bei den Deutschen.  F.: priv.

Eine Gruppe Männer, die sich laut äußern, wird mit Skepsis beobachtet – hier ist diese Reaktion unangebracht, aber das muss man aus der Entfernung erst mal beurteilen können. Tatsächlich bedanken sich syrische Flüchtlinge bei den Deutschen. F.: priv.

München · Hat der Terror sein Ziel endgültig erreicht? Die Menschen verändern ihre Wahrnehmung, werden misstrauischer und vorsichtiger – besonders dort, wo ein Anschlag oder eine Terrorwarnung massiv ins öffentliche Leben eingreifen wie am Silvesterabend in München.

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Es war kein Anschlag, aber die Verunsicherung ist immens und bleibt lange Zeit in den Köpfen der Menschen. Sie wird immer wieder verstärkt durch neue Ereignisse wie in Paris am 7. Januar 2015 (Charlie Hebdo) und 13. November. Im Februar vergangenen Jahres wurde in Braunschweig der Karnevalsumzug wegen einer konkreten Anschlagsgefährdung abgeblasen. Das Fußball-Länderspiel gegen die Niederlande in Hannover am 17. November wurde aufgrund eines »ernst zu nehmenden Hinweises« auf einen Bombenanschlag kurzfristig abgesagt. Und jetzt die Ereignisse von München, zum Teil verworren und kurios, zum Teil erschreckend, weil die Gefahr unsichtbar ist und praktisch überall ausbrechen kann. Die Wachsamkeit wächst und mit ihr das Misstrauen.

In den Medien blieb die ­Aktion weitgehend unbeachtet

Eine außergewöhnliche Erfahrung hat eine Leserin des Samstagsblatts am Silvesterabend gemacht. So war sie mit ihrer Tochter in der Münchner Innenstadt unterwegs, als beiden am Marienplatz eine Gruppe Menschen aufgefallen ist, die mit Plakaten in der Hand dort standen. Unter dem Eindruck der Ereignisse dieses Abends war die Verunsicherung groß. So berichtet die Münchnerin: »Eine Menge Menschen waren dort. Einige standen in Gruppen, andere dicht um eine Blaskapelle gedrängt. Einige sangen und tanzten. Parolen wurden laut gerufen und ich wollte zunächst schnell weiter gehen, aber meine Tochter schaute genau hin und erkannte, dass es dankbare Flüchtlinge waren, die glücklich und lautstark ihren Dank an Deutschland ausdrückten.« Junge Männer mit Plakaten, auf denen zu lesen war: »Die Flüchtlinge aus Syrien sagen von ganzem Herzen: Danke, Deutschland« und »Danke für die helfenden Hände, die Sie uns jeden Tag reichen. Frohes neues Jahr«.

Unsere Leserin war überwältigt von dieser Aktion und im Nachhinein ebenso irritiert, dass – anders als über Terrorwarnungen und -anschläge – nichts darüber in den Medien zu finden war. Aus diesem Grund hat sie sich an uns gewandt, um die Dankesworte auch denen zukommen zu lassen, die sie nicht selbst am Silvesterabend erhalten haben.

Unsere Leserin und ihre Tochter haben sich von der allgemein herrschenden Verunsicherung nicht leiten lassen und haben dadurch eine bemerkenswerte Erfahrung gemacht: »Es war ein gutes Gefühl als Deutscher diesen Dank entgegen nehmen zu dürfen. Das sollten alle Deutschen wissen.« Von Carsten Clever-Rott

Nachtrag 7. Januar 2016

Als dieser Beitrag verfasst wurde, war das ganze Ausmaß der Ereignisse auf der Kölner Domplatte in der Silvesternacht noch nicht bekannt. In Köln haben nach bisherigen Erkenntnissen Menschengruppen gezielt Straftaten verübt und anscheinend auch die Polizei in der Ausübung ihrer Aufgabe behindert. Die Münchner Silvesternacht hingegen war von der am gleichen Abend herausgegebenen Terrorwarnung und der Sperrung des Hauptbahnhofs und des Bahnhofs Pasing geprägt. Daher bezieht sich dieser Beitrag hauptsächlich auf die in der Bevölkerung wahrgenommene Bedrohung durch mögliche Terroranschläge und nicht auf die Ereignisse von Köln, die in ähnlicher Form auch in anderen deutschen Städten stattgefunden haben. In der Druckausgabe, die am 9. Januar 2016 erscheint, konnte aufgrund der Produktionsschlusszeiten des Münchner Samstagsblatts diese Ergänzung nicht mehr angefügt werden.

So seh ich das

Ein klarer Blick und ein kühler Kopf sind auch im derzeitigen Eifer der Debatte wichtig. Letztlich geht es um Gerechtigkeit nach gesetzlichen und Wertemaßstäben, wie sie in Deutschland akzeptiert und anerkannt sind. Das bedeutet: Straftäter sind unabhängig von ihrer Nationalität juristisch zu verfolgen. Das bedeutet aber auch: Unter den Zugewanderten und Geflüchteten in Deutschland gibt es viele gesetzestreue Menschen, aber eben auch Straftäter. Jetzt allen zugewanderten Personen mit Misstrauen zu begegnen und Restriktionen zu fordern, die sie in überwiegender Zahl nicht durch gesetzeswidrige Handlungen provoziert haben, wäre falsch.

Richtig und wichtig ist es jetzt, die öffentliche Sicherheit in Deutschland wieder vollständig herzustellen und den Menschen dieses Sicherheitsgefühl (zurück) zu geben. Dazu gehört auch die klare Differenzierung in Täter und Opfer. Täter sind und bleiben Täter. Daher sind Verhaltensempfehlung an potenzielle Opfer (Stichwort: Armlänge Abstand halten) völlig unangebracht.

Dass nach Lage der bisherigen Erkenntnisse, die auch an die Öffentlichkeit gelangt sind, die überwiegende Mehrzahl der Täter von Köln ausländische Wurzeln in zu großen Teilen arabisch geprägten Ländern haben, ist nicht wegzudiskutieren. Eine pauschale Verurteilung aller Menschen in Deutschland, die ebenfalls dort ihre Wurzeln haben, wäre grundfalsch. Verurteilt werden müssen die Taten und die Täter. Einzeln, auch wenn das dauert. Und es wird lange dauern und es wird solche geben, die davonkommen und das wird das Gerechtigkeitsempfinden in Deutschland belasten.

Die Täter haben mit ihren widerlichen Taten einen unfassbar großen Schaden angerichtet. Als Erstes bei den direkten Opfern, als Zweites bei der tatsächlichen Sicherheitslage in Deutschland und als Drittes bei allen friedlichen und gesetzeskonform lebenden Zuwanderern in Deutschland. Die defensive und zum Teil irreleitende Kommunikation der Kölner Polizei hat darüber hinaus die Glaubwürdigkeit der Behörden beschädigt.

All das darf nicht die ehrliche Dankbarkeit vieler Flüchtlinge überblenden. Es gibt solche und es gibt solche. Je nach Debatte muss unterschiedlich differenziert werden. Die Ereignisse von Köln lassen sich nicht mit der Debatte um die deutsche Flüchtlingspolitik gleichsetzen. Ein oder mehrere Zusammenhänge existieren sehr wohl, aber ansonsten handelt es sich um zwei völlig getrennte Themenbereiche. So seh ich das.

Carsten Clever-Rott

Artikel vom 07.01.2016
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