Einfach verschwunden

Die Münchner Polizei bearbeitet jährlich 2.700 Vermisstenfälle

Die Ermittler im Kommissariat 14 arbeiten überwiegend vom Schreibtisch aus.	Foto: cr

Die Ermittler im Kommissariat 14 arbeiten überwiegend vom Schreibtisch aus. Foto: cr

München · Dritter Advent. In wenigen Tagen ist Weihnachten. Hierzulande gehört das Fest meist der Familie. Aber was, wenn ein Platz am Tisch leer bleibt, weil ein Mensch einfach verschwunden ist?

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Artikel vom 11.12.2015: Samstagsblatt München-Redakteur Carsten Clever-Rott über die Vertrauensfrage

Jedes Jahr bearbeitet die Münchner Kriminalpolizei etwa 2.700 Vermisstenanzeigen. Die meisten Fälle sind nach wenigen Stunden gelöst, einige halten die Ermittler des Kommissariats 14 in der Hansastraße über einige Tage in Atem. Und dann gibt es die sogenannten Langzeitvermissten. Menschen, die von einem Moment auf den anderen verschwinden und nicht mehr auftauchen. Vielleicht nie mehr. »Wir haben sogar noch einen offenen Fall aus dem Jahr 1954«, berichtet Margit Reimer, Erste Kriminalhauptkommissarin und Leiterin des Kommissariats 14. »Niemand, der nicht gefunden wird, wird zu den Akten gelegt.«

Langzeitvermisste gebe es nur sehr selten, »höchstens einmal pro Jahr, wenn überhaupt«, erklärt die Kommissarin. Dabei bezieht sie sich auf München. Über die Hälfte der Vermissten sind Kinder und Jugendliche. Das gilt in München wie in ganz Deutschland. »Wenn Kinder vermisst werden, wird die ganze Palette gezogen«, betont Reimer und meint damit die sofort eingeleiteten Ermittlungsmaßnahmen. Personenbeschreibung an alle Dienststellen, Abtelefonieren der Krankenhäuser, Versuch der Kontaktaufnahme per Handy, auch Spürhunde, Hubschrauber und Handyortung gehören dazu. Die »24-Stunden-Regel« gilt bei Minderjährigen übrigens nicht.

Eltern wissen in der Regel, wo sich ihr Kind aufhält. Jugendliche sind auch mal länger auf einer Party, ohne dass gleich der Notfall eingetreten ist. Wenn aber die Abwesenheit nicht dem Charakter und dem üblichen Verhalten des vermissten Kindes entspricht, ist Eile geboten. Lieber einmal zu oft den Notruf 110 gewählt als einmal zu wenig. Die Ermittler können mit ihrer jahrelangen Erfahrung selbst sehr genau einschätzen, wann welche Maßnahmen getroffen werden müssen. So berichtet Margit Reimer von zwei achtjährigen Kindern, die aus ihrer Schule verschwunden waren. Nach der Pause nicht mehr im Klassenraum, ihre Sachen waren noch da. Großalarm! Zum Glück Fehlalarm. Die kleinen Ausreißer wollten zum Oktoberfest und hatten sich hoffnungslos verirrt. Nachdem die Kinder eine Frau nach dem Weg gefragt hatten, hatte diese die Polizei informiert. Ende gut, alles gut. Aber nicht immer geht eine Personensuche glücklich aus.

Manche Menschen werden Opfer eines Verbrechens oder erleiden einen Unfall, zum Teil auch im Ausland. Tage- und wochenlang bleiben sie spurlos verschwunden, bis ihre Leiche gefunden wird. Dann haben die Ermittler der Vermisstenstelle die schwere Aufgabe, die Angehörigen vom Tod der vermissten Person zu unterrichten. Ein schwerer Gang, aber eine traurige Nachricht sei in jedem Fall besser als die Ungewissheit über den Verbleib eines geliebten Menschen, berichtet Reimer.

Bei ihrer Arbeit gehen die Ermittler vor allem mit ganz viel Gespür vor. Gespür für die Vermissten, für die Angehörigen, aber auch für die Situation. »Ich glaube nicht, dass es das perfekte Verbrechen gibt«, meint Kommissarin Reimer. Es gebe immer Unwägbarkeiten und den menschlichen Faktor.

Der menschliche Faktor kann aber auch das gewollte Untertauchen einer Person selbst sein. Es habe Fälle gegeben, in denen die Ermittler eine vermisste Person aufgespürt haben; quicklebendig und etabliert in einem neuen Leben. Menschen, die nicht mehr zurück wollten. Reimer: »Verschwinden darf jeder.« Wer den Kontakt zu Freunden und Familie abgebrochen hat, den wird die Polizei nicht gegen dessen Willen verraten. Die Beamten haben ihren Auftrag, den sie mit Fachwissen und mit viel Fingerspitzengefühl erfüllen. Freiwillig Verschwundene sollten sich dennoch bei den Zurückgelassenen melden, einfach nur, um zu sagen, dass es ihnen gut geht. »Es gibt immer jemanden, der sich Sorgen macht.«

Für Margit Reimer und ihre zehn Mitarbeiter ist es wichtig, Distanz zu ihren Fällen zu wahren. Gleichzeitig gehen die persönlichen Schicksale auch den erfahrensten Ermittlern nahe. Um eine vermisste Person zu finden, müssen sie sich intensiv mit ihr beschäftigen. Dabei lernt man einen Menschen kennen. Entsprechend groß sind Freude und Erleichterung, wenn eine Suche glücklich ausgeht. Die Ermittler sind Menschen und sie handeln menschlich. Damit kein Platz am familiären Tisch leer bleiben muss. Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 13.12.2015
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