Zeitzeuge Max Mannheimer in Neubiberg

Ottobrunn · Geschichte aus erster Hand

Max Mannheimer. 	Foto: K. Hartherz

Max Mannheimer. Foto: K. Hartherz

Ottobrunn · Geschichtsstunde live: Am historischen 9. November beginnt der Holocaust-Überlebende Dr. Max Mannheimer seinen Vortrag vor den Schülern und Lehrern der Emile Montessorischule in Neubiberg mit persönlichen Erinnerungen zum Judenpogrom in seiner Heimatstadt vor 77 Jahren.

Seit 30 Jahren besucht der mittlerweile 95-jährige Schulen; er erzählt, diskutiert, liest aus seinen Büchern; er redet gegen das Vergessen und stellt die Versöhnung in den Mittelpunkt.

Brennende Synagogen

Die 90 Schüler der 7. bis 10. Jahrgangsstufe, Lehrer und Eltern lauschen gespannt, als Mannheimer so ergreifend erzählt, als wären die unfassbaren Ereignisse erst gestern geschehen: »Gestern brannten die Synagogen. Sie brannten in Deutschland. Sie brannten in Österreich. Sie brannten in einem Teil der Tschechoslowakei. (..) Offiziell wird die Zerstörungsaktion der Nazis als spontaner Vergeltungsakt der ‚kochenden Volksseele‘ bezeichnet, als Antwort auf die Ermordung des Botschaftsrates Ernst vom Rath durch den siebzehnjährigen Herschel Grynszpan in Paris. Dass die Volksseele so gleichmäßig in drei verschiedenen Ländern kochte, war der meisterhaften Organisation der Verantwortlichen zuzuschreiben.« Max Mannheimer erzählt, was kurz danach geschah: »Ein offener Polizeiwagen fuhr vor unserem Haus vor. Jüdische Männer saßen auf dem Wagen, bewacht von Schutzpolizisten in grüner Uniform. Zwei Schupos kamen die Treppe hoch. Meinem Vater wurde erklärt, er werde in Schutzhaft genommen, damit ihm nichts passiere. Vermutlich wegen der ‚kochenden Volksseele‘. Ich stand neben der Tür. »Wie alt ist der Bengel?« fragte der Schupo. Mein Herz klopfte ganz laut. Hätte Mutter mein richtiges Alter genannt, wäre ich ins Gefängnis gekommen.«

Ankunft in Auschwitz

Die damals achtköpfige Familie Mannheimer kam am 2. Februar 1943 im Konzentrationslager Auschwitz an. Eltern, Schwester Käthe und Mannheimers Frau Eva sah er hier zum letzten Mal. Nur er und sein Bruder Edgar überlebten die Misshandlungen der SS-Offiziere, Hunger und Qualen. »Ich fühlte mich für meinen kleinen Bruder verantwortlich, das gab mir Kraft, niemals aufzugeben.« Er knöpft seinen Ärmel auf, um den Schülern die eintätowierte Nummer 99728 zu zeigen – eine eingebrannte Erinnerung.

Befreiung durch US-Soldaten

Am 30. April 1945 befreiten amerikanische Soldaten den schwerkranken und auf 47 Kilogramm abgemagerten Max Mannheimer mit seinem Bruder Edgar. Obwohl er nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden setzen wollte, zog er später seiner zweiten Frau zuliebe doch nach Deutschland.

Gegen das Vergessen – für die Versöhnung

Als Mannheimer 1964 befürchtete, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein, begann er, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Der Band „Spätes Tagebuch“ entstand. Seit rund 30 Jahren hält der Zeitzeuge nun Vorträge wie diesen: »Dies ist meine Aufgabe, meine Verantwortung.«

Die Zeit vergeht wie im Flug. Die ungewöhnliche Geschichtsstunde ist viel zu kurz, um alle interessierten Schüler zu Wort kommen zu lassen. Davon träumt so mancher Geschichtslehrer; für Max Mannheimer ist das nichts Ungewöhnliches. Bis zum Ende des Schuljahres sei er mit Vorträgen gebucht. Die Schüler werden diese beeindruckende Begegnung mit einem der letzten noch lebenden Zeugen noch lange im Gedächtnis bewahren. Brigitte Reichl

Artikel vom 09.12.2015
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