Generation Kopfschmerz?

München · Kopfschmerzen sind bei Jugendlichen auf dem Vormarsch

Dr. Florian Heinen (li.) und Dr. Dr. Stefan Evers gratulieren Dr. Mirjam Landgraf zum Stipendium der Initiative Schmerzlos – eine Bestätigung für die Bedeutung der Münchner Forschung zum Thema Kopfschmerzen.	Foto: cr

Dr. Florian Heinen (li.) und Dr. Dr. Stefan Evers gratulieren Dr. Mirjam Landgraf zum Stipendium der Initiative Schmerzlos – eine Bestätigung für die Bedeutung der Münchner Forschung zum Thema Kopfschmerzen. Foto: cr

München · Kopfschmerzen sind auf dem Vormarsch. Gleichzeitig versucht die Forschung dieser Entwicklung zu folgen. München ist dabei ein bedeutender Forschungsstandort, was sich aktuell auch durch die Auszeichnung der Dr. Mirjam Landgraf zeigt.

Maßnahmen gegen Kopfschmerzen

Die Diplom-Psychologin ist neue Trägerin des mit 25.000 Euro dotierten Stipendiums der Initiative Schmerzlos für die Weiterbildung in Spezieller Schmerztherapie für Kinder- und Jugendärzte. Genau in diesem Bereich ist die Entwicklung der vergangenen 40 Jahre besorgniserregend.

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Eine finnische Studie mit Vergleichszahlen von 1974 und 1992 hat festgestellt, dass sich der Anteil der Jugendlichen, die über wiederkehrende Kopfschmerzen klagen, verdreifacht hat – zwar ausgehend von einem niedrigen Niveau, aber deutlich messbar. Für Deutschland, so erläuterte der Spezialist Dr. Dr. Stefan Evers in einem Fachgespräch, gebe es hierzu keine konkreten Zahlen. Man könne aber davon ausgehen, dass die Entwicklung hierzulande ähnlich sei. Konkret auf München bezogen, konnte Landgraf eine Zahl von etwa 200 Patienten pro Jahr nennen, die sie und ihre Kollegen am iSPZ (integriertes Sozialpädiatrisches Zentrum) Hauner in der Innenstadt behandeln.

»Bei der Selbstmedikation ist die Missbrauchsgefahr gering«

Kopfschmerzen sind bei Kindern und Jugendlichen die am häufigsten auftretende Art von Schmerzen. Erwachsene klagen in der Mehrzahl über Rückenschmerzen. Bei Jugendlichen gibt es drei Faktoren, die ein erhöhtes Kopfschmerzrisiko zur Folge haben. So sind Mädchen häufiger als Jungen betroffen, zwar nur geringfügig, aber in allen Altersklassen durchgehend. Auch der angestrebte Schulabschluss beeinflusst das Kopfschmerzrisiko. Je höher das Ziel, desto höher auch das Risiko. Der stärkste Einflussfaktor aber seien Schmerzen in einer anderen Körperregion, zum Beispiel im Schulter- und Nackenbereich. Starker Medienkonsum (Spielkonsole, Internet) sei dagegen nicht maßgeblich.

»Kopfschmerzen beeinträchtigen die Lebensqualität«, betont Evers. Daher rät er zu einer sofortigen Behandlung, wenn Schmerzen auftreten. Die Deutschen seien da sehr zurückhaltend. Nur vier Prozent der Eltern gäben ihren Kindern Schmerzmittel, sobald der Schmerz auftritt. »Das aber ist genau der richtige Zeitpunkt«, betonen Evers und Landgraf unisono. Kinder hätten ein gutes Gefühl dafür, wann sie einen Schmerz als leicht empfinden und aushalten können. Daher sei der Dialog mit dem Kind bei der Selbstmedikation wichtig.

Gleiches gelte in der ambulanten Versorgung. »Wir haben die Möglichkeit, eine Diagnose über verschiedene Disziplinen hinweg zu stellen«, erklärt Landgraf. Das bedeutet, ein jugendlicher Patient wird am iSPZ nicht nur von einem Facharzt befragt und untersucht. Auslöser für Kopfschmerzen kann ganz banal eine Zahnspange sein, die Spannungen verursacht. Zahnärzte, Kardiologen, Orthopäden und Augenärzte sind ebenfalls in die Diagnose eingebunden, genauso wie Psychologen und Physiotherapeuten.

Ist die Ursache ermittelt, kann die Therapie beginnen. Doch nicht jeder geht mit Kopfschmerzen gleich zum Arzt. »Bei der Selbstmedikation gibt es wenig Missbrauchsgefahr«, berichtet Evers. Allerdings gibt es doch ein paar Kennzahlen, die man beachten sollte. Neben der empfohlenen Dosierung sollte die Häufigkeit der Einnahme beachtet werden. Maximal zehnmal pro Monat, höchstens drei Tage am Stück, ansonsten besteht die Gefahr der Chronifizierung. Das Gehirn lernt den Schmerz und das Medikament verliert langfristig seine Wirkung. Bei der Kontrolle hilft ein Kopfschmerztagebuch.

Tritt der Kopfschmerz regelmäßig auf, ist der Weg zum Arzt dringend angeraten. Allerdings gehen tatsächlich nur zwölf Prozent der Jugendlichen tatsächlich zum Arzt, 30 Prozent behandeln die Symptome mit Medikamenten. »Das passt nicht zu der Schwere der Beschwerden«, kritisiert Dr. Florian Heinen die Mentalität in Deutschland. So ergab die Befragung von rund 3.000 Jugendlichen zur Intensität ihrer Kopfschmerzen auf einer Skala von null bis zehn einen Durchschnittswert von 5,5. »Jenseits der 5 wird es gravierend«, erklärt Heinen.

Kopfschmerzen müssen ernstgenommen werden. Die Forschung hat das erkannt und versucht nun aufzuholen, was in den letzten Jahrzehnten versäumt wurde. Die LMU nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein. In der Gesellschaft werden Kopfschmerzen eher bagatellisiert. Auch hier sollten die Menschen ihr gelerntes Verhalten hinterfragen und gegebenenfalls den neuesten Erkenntnissen folgen.

Von Carsten Clever-Rott

Maßnahmen gegen Kopfschmerzen
• Bewegung
• Rückzug (Reizabschirmung)
• Schlaf
• Ablenkung
• Entspannungstechniken (Autogenes Training, Yoga)
• Pfefferminzöl
• Medikation

Artikel vom 04.12.2015
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