Vor 60 Jahren wurde die Gemeinde Ottobrunn gegründet

Ottobrunn · Jung, attraktiv und zunehmend selbstbewusst

Der erste reguläre Ottobrunner Gemeinderat ab 1956, der weitgehend mit dem Übergangsgemeinderat vom 1.7.55 bis 30.4.56 übereinstimmte. Foto: Archiv

Der erste reguläre Ottobrunner Gemeinderat ab 1956, der weitgehend mit dem Übergangsgemeinderat vom 1.7.55 bis 30.4.56 übereinstimmte. Foto: Archiv

Ottobrunn · Der Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren vom 25. Februar 1955 mit der Nummer I B1-3000 – 41 a/3 war recht gewöhnlich und schmucklos, wurde aber von vielen sehnlichst erwartet.

Denn sein Inhalt war von historischer Bedeutung – zumindest für die Bewohner Unterhachings und Ottobrunns. Mit diesem von Staatsminister Dr. August Geiselhöringer unterzeichneten Bescheid, der mit Begründung sechs Schreibmaschinenseiten umfasste, wurde die Gemeinde Unterhaching zum 1. April 1955, einem Freitag, in zwei neue Gemeinden aufgeteilt: Unterhaching und Ottobrunn. Eine entscheidende Zäsur – sowohl in der langen Historie Unterhachings als auch in der noch kurzen Geschichte Ottobrunns. Dessen erste Anfänge reichten damals gerade einmal gut 50 Jahre in das Jahr 1902 (Bau des Waldschlösschens) zurück. Erst 1921 war es durch einen entsprechenden Erlass des bayerischen Innenministeriums zu einem eigenständigen Ort geworden. Der Anfang der Geschichte Ottobrunns als eigenständige, aufstrebende junge Gemeinde war jedenfalls gemacht.

Die Trennung von der Gemeinde Unterhaching, die zu diesem Zeitpunkt fast 10.800 Einwohner hatte, kam nicht über Nacht. Sie hatte vielmehr einen langen zeitlichen Vorlauf. Und auch nach der offiziellen Gemeindegründung war die Trennung lange noch nicht »in trockenen Tüchern«. Bereits am 22. März 1947 fand eine außerordentliche Gemeinderatssitzung mit dem Beratungsgegenstand: »Trennung der Gemeinde Unterhaching in die Gemeinden Unterhaching und Ottobrunn« statt. Erster Bürgermeister der Gemeinde Unterhaching war damals Pflasterermeister Leonhart Sedlmeyer (SPD). Nachfolgend ein Auszug aus dem Protokoll dieser Sitzung: »Der Bürgermeister eröffnete die Sitzung und berichtete, dass auf vielseitiges Verlangen der Bevölkerung, namentlich aus dem Ortsteil Ottobrunn, über die Teilung der Gemeinde in Gemeinden Unterhaching und Ottobrunn beraten werden soll. Dieser Wunsch der Bevölkerung entspringt hauptsächlich folgenden Umständen: Die Entfernung zwischen Unterhaching und Ottobrunn ist räumlich zu groß. Die Ottobrunner müssen zur Erledigung ihrer Besorgungen bei der Gemeindeverwaltung fast eine Stunde Wegs einfach zurücklegen. Eine Fahrverbindung besteht nicht.«

Soziologische und wirtschaftliche Unterschiede

Besonders interessant und aufschlussreich ist der nachfolgende Satz: »Das Interessengebiet der Unterhachinger Bevölkerung unterscheidet sich von dem der Ottobrunner Bevölkerung sowohl in soziologischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht.«

Tatsächlich war die Einwohnerzahl Ottobrunns unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Zuzug von Heimatvertriebenen sprunghaft angestiegen. Von größerer Bedeutung in diesem Zusammenhang war aber, dass die Ottobrunner mit ihren Steuergeldern »mehr als die Hälfte zum Gesamthaushalt von Unterhaching« beitrugen. So hatte es zumindest der Ottobrunner Gemeinderat und spätere zweite und dritte Bürgermeister der Gemeinde Ottobrunn, Dr. Otto Bößner, ausgerechnet (Interview in: »Ottobrunn: Von Otto bis zur Gegenwart«, 1986, S. 155). Dr. Bößner war die treibende Kraft hinter den Bestrebungen zur Selbständigkeit Ottobrunns.

Einstimmig beschlossen die Gemeinderäte in der besagten Sitzung im März 1947, »die Teilung der Gemeinde zu beantragen mit dem Ziel, Ottobrunn zur eigenen Gemeinde zu erheben.« Trotz dieses klaren und einmütigen Beschlusses sollten noch sechs Jahre vergehen, bis der Gemeinderat Unterhaching in seiner Sitzung am 12. März 1953 im Schulhaus Ottobrunn wiederum einstimmig beschloss (Abstimmung 16:0), auch formell den »Antrag auf Einleitung des Verfahrens nach Art. 12 Abs. 1 der Gemeindeordnung (GO)« zu stellen, »mit dem Ziel, dass das Ortsgebiet Ottobrunn von der Gemeinde Unterhaching abgetrennt und Ottobrunn als selbstständige Gemeinde erklärt werden soll«. Unmittelbar vorausgegangen waren dem Gemeinderatsbeschluss zwei Bürgerversammlungen am 9. Januar 1953 in Unterhaching und am 27. Februar 1953 in Ottobrunn, bei denen die Bevölkerung genau diese Marschroute vorgegeben hatte.

Gemeindegrenze: Wie groß sollte Ottobrunn werden?

Die endgültige Ausgemeindung Ottobrunns wurde ein halbes Jahr später, am 8. Oktober 1953, beschlossen. Das mit Abstand wichtigste Diskussionsthema: Die Gemeindegrenze. Dr. Otto Bößner erinnert sich: »Als der Gemeinderat (…) im Schulhaus Unterhaching tagte, stand die Selbständigkeit Ottobrunns auf der Tagesordnung (…). Landrat Dr. Hecker war mit dabei, der Kreisbaudirektor und Verwaltungsfachleute vom Landratsamt. (…). Eine ganz wichtige Frage war aber noch offen: Das war die Grenzziehung. Wie groß sollte Ottobrunn werden? Zusammen mit anderen vertrat ich entschieden die Auffassung, dass die Autobahn die Gemeindegrenze zwischen Unterhaching und Ottobrunn bilden müsse. Die Unterhachinger waren da aber anderer Meinung. So großzügig wollten sie nicht sein. Eine Zeitlang war ich davon überzeugt, dass die Würfel zu unseren Gunsten fallen würden. Im Gemeinderat hatten die Gemeinderäte aus Ottobrunn nämlich eine Stimme Mehrheit. Aber als es um die Wurst ging, war einer unserer Gemeinderäte nicht da. Ich ließ die Sitzung unterbrechen, eine Pause einlegen und rief in aller Eile zu Hause bei dem Kollegen an, aber seine Frau sagte: ‚Hier ist er auch nicht.‘“

Nach der – aus Ottobrunner Sicht – verlorenen Abstimmung stand fest: Die Autobahn wird nicht neue Gemeindegrenze. Doch wo sollte die Grenze dann verlaufen? Am 16. Oktober, also nur gut eine Woche später, beschäftigte sich der Gemeinderat Unterhaching erneut – und abschließend – mit dieser Frage. Die Einführung vom ersten Bürgermeister Karl Mathes ließ einen spannenden Verlauf der Sitzung erwarten. Im Protokoll ist hierzu Folgendes nachzulesen:

»H. Bgmstr. bringt vor, dass man nun zu einem neuralgischen Punkt komme, welcher aber durchaus nicht neuralgisch zu sein braucht. Das letzte Mal sind wir bedauerlicherweise bei diesem Punkt gescheitert. Herr Bürgermeister unterbreitet einen Vorschlag dahingehend, dass die Herren von Ottobrunn in den Plan die von ihnen gewünschte Grenze einzeichnen sollen und anschließend die Herren von Unterhaching das Gleiche tun sollen. (…) Es ist verständlich, dass Ottobrunn viel herausholen will, was bekanntlich bei jedem Handel üblich ist. Man muss aber auch verstehen, dass beide Interessenten (Ottobrunn und Unterhaching) die Interessen der Bürgerschaft zu vertreten haben.« (…) Versammlungsort war wiederum die Ottobrunner Volksschule. Ob Ottobrunn dabei einen Heimvorteil nutzte, darüber kann man wohl unterschiedlicher Meinung sein. Fakt ist: Es hätte schlimmer kommen können. Im Raum gestanden war nämlich eine Grenzziehung entlang des Haidgrabens. Dieser Grenzverlauf entsprach demjenigen, der durch einen Erlass des Staatsministeriums des Inneren vom 31. Januar 1921, in dem der Ortsname »Ottobrunn« ganz offiziell eingeführt worden war, vorgegeben war. Für den Haidgraben als Ottobrunner Westgrenze sprach sich vehement der Unterhachinger Gemeinderat Josef Drum aus. In Ottobrunn habe man »anscheinend Angst vor der Bevölkerung«, »wenn man nicht nach Westen vordringt«, höhnte er, um dann die – seiner Meinung nach – Unterhachinger Position auf den Punkt zu bringen: »Für uns besteht (…) keine Veranlassung, von der Ortsgrenze, wie sie 1921 festgelegt worden ist, abzuweichen. Grundlegend ist es doch so, dass jede Gemeinde mit ihrem Raum auskommen muss.«

Der Unterhachinger Gemeinderat Ludwig Specht bemühte folgenden Vergleich: »Bei der Trennung ist es wie in einer Ehe. Man muss hier vernünftig denken, und jeden Streit vermeiden.« Und mahnte dann zu einer »friedlichen Lösung«: »Wir müssen uns aber darüber klar sein, dass wir Ottobrunn etwas mitgeben müssen.«

Den Durchbruch brachte schließlich ein Kompromissvorschlag des Ottobrunner Gemeinderats Karl Mager, wonach die Gemeindegrenze entlang der ersten Straße ca. 350 Meter westlich des Haidgrabens, »verlaufend in gerader Linie unter Einbeziehung des v. Stengel‘schen Grundbesitzes«, verlaufen sollte. Dieser Verlauf wurde einstimmig, also auch mit den Stimmen aller Ottobrunner Gemeinderäte beschlossen und in grüner Farbe in die Pläne eingezeichnet.

Neuer Gemeinderat und neuer Bürgermeister

Mit diesem Beschluss war der Weg zur Gründung der selbständigen Gemeinde Ottobrunn endgültig frei. Bereits zwei Tage nach der Gemeindeerhebung wählten die Ottobrunner Neugemeindebürger am 3. April 1955 ihren ersten Gemeinderat, weitere zweieinhalb Monate später stand die Wahl des ersten Bürgermeisters an, die der bisherige zweite Bürgermeister Anton Wild von der Parteifreien Wählergemeinschaft (PWG) gewann. Er trat sein Amt am 19. Juni 1955 an.

Was wäre gewesen, wenn Ottobrunn damals nicht selbständig geworden wäre? Für den früheren Gemeinderat Dr. Otto Bößner wäre dies »undenkbar« gewesen. »Es hätte ein ewiger Streit im Gemeinderat geherrscht. So aber entwickelten wir uns zu Nachbargemeinden, die gut miteinander auskommen und gute Freundschaft halten.« MO

Foto: Sitzend (v. li.): Karl Mager, Wally Findeisen, 1. Bgm. Anton Wild, 2. Bgm. Dr. Otto Bößner. Stehend: Alois Steber, Willy Proch, Rudolf Baumann, Wilhelm Brand, Franz Rupprecht, Lorenz Minderer, Herbert Grundke (ab 1956), Heinrich Horn, Josef Scheungraber, Theodor Dobmann (ab 1956), Wilhelm Krieger, Artur Schladitz (ab 1956), Erwin Mühlmann (ab 1956). Nur 10 Monate im Übergangsgemeinderat waren Richard Sedelmayer, Jacob Auer und Franz Wagner (nicht auf dem Foto). Foto: Archiv

Artikel vom 01.04.2015
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