Der Tod kann warten

Ismaninger überlebt dank nahezu perfekter Rettungskette

Helmut K. (Mitte) mit den Sanitätern des Helfer vor Ort vom BRK Ismaning. Links Fried Saacke, rechts Hans Bauer.	Foto: Josef Bachinger

Helmut K. (Mitte) mit den Sanitätern des Helfer vor Ort vom BRK Ismaning. Links Fried Saacke, rechts Hans Bauer. Foto: Josef Bachinger

Ismaning · An diesen Tag wird sich Helmut K. noch lange erinnern. Mit solchen Worten beginnen oft Berichte über erfolgreiche Herz-Lungen-Wiederbelebungen. Doch in aller Regel ist es anders – auch bei Helmut K. der sich an die Ereignisse vom 19. und 20. Juli 2014 überhaupt nicht erinnern kann.

Rund um das Ereignis seines plötzlichen Herztods klafft eine große Erinnerungslücke. Nur aus vielen Erzählungen von Ärzten und seiner Frau weiß er, was in etwa passiert war.

Samstag, 19. Juli 2014, 15.00 Uhr. Helmut K. besucht mit seiner Frau Marieluise das Eselrennen auf dem Jubiläumsfest des Ismaninger Burschenvereins. Gegen Abend treffen sie sich bei Freunden zum Grillen. Alle sind vergnügt, nichts deutet darauf hin, dass Helmut wenige Stunden später bewusstlos zusammenbrechen wird.

Die Sanitäter des BRK Ismaning sichern in dieser Nacht die medizinische Betreuung der Gäste auf dem Burschenfest. Auch die Besatzung des Helfer vor Ort befindet sich dort und ist in Alarmbereitschaft. Sonntag, 20. Juli, gegen 0.32 Uhr kommt das Ehepaar K. nach Hause. Wenige Minuten später nimmt Marieluise einen lauten Schlag war. Dann findet sie ihren Mann im Flur auf, regungslos auf dem Boden liegend.

  • 0.37 Uhr: Marieluise K. ruft sofort den Notruf 112. Ein Disponent der Rettungsleitstelle nimmt den Notruf entgegen.
  • 0.38 Uhr: Der Funkmeldeempfänger des Ismaninger Helfer vor Ort schlägt Alarm. Wenige Sekunden später nehmen die beiden Sanitäter Johann Bauer und Fried Saacke den Alarmauftrag von der Leitstelle per Funk entgegen. »Ismaning, Gottfried-Ziegler-Straße, bewusstlose Person in Wohnung, laufende Telefonreanimation.« Neben dem Helfer vor Ort alarmiert die Leitstelle auch den Notarzt Bogenhausen und den Rettungswagen der TU Garching. Alle Fahrzeuge der umliegenden Rettungswagen waren in anderen Einsätzen gebunden.
  • 0.39 Uhr: Der Disponent der Leitstelle erklärt der Ehefrau jeden Schritt der weiteren Hilfeleistung und leitet sie genau an die Herz-Druckmassage durchzuführen.
  • 0.41 Uhr: Der Helfer vor Ort fährt in die Gottfried-Ziegler-Straße ein. Die Hausnummern sind in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Wertvolle Zeit geht verloren.
  • 0.42 Uhr: Die Sanitäter klingeln an der Haustüre. Die Türe lässt sich nach Auslösen des elektrischen Türöffners nicht öffnen. Andere Bewohner haben die Haustüre verriegelt. Frau K. muss aus dem zweiten Stock nach unten laufen um den Sanitätern zu öffnen. Wieder geht wertvolle Zeit verloren.
  • 0.44 Uhr: Die Sanitäter finden den Patienten auf und setzen sofort die Herz-Druckmassage fort. Ein automatischer elektrischer Defibrillator (AED) wird einsatzklar gemacht.
  • 0.45 Uhr: Die elektrische Aktivität des Herzes wird mit dem AED ausgewertet, eine Defibrillation des Herzens ist erforderlich und wird von den Sanitätern durchgeführt. Mit einer kontrollierten Abgabe eines Elektroschocks an den Herzmuskel wird versucht das Kammerflimmern zu beheben. Die Herz-Druckmassage wird fortgesetzt, ein Tubus für die Beatmung eingeführt und der Patient mit reinem Sauerstoff beatmet.
  • 0.51 Uhr: Notarzt und Rettungswagen treffen ein. Zwischenzeitlich haben die Sanitäter schon sechs Minuten reanimiert und zweimal einen elektrischen Schock abgegeben. Die dritte Defibrillation steht unmittelbar bevor. Zuvor wird noch das Medikament Adrenalin verabreicht.
  • 0.53 Uhr: Dann die dritte Defibrillation des Herzmuskels – erfolgreich! Das Herz von Helmut K. beginnt wieder zu schlagen.
  • 0.59 Uhr: Der noch bewusstlose Patient wird über zwei Etagen im engen, steilen Treppenhaus nach unten getragen. Schwerstarbeit für das Rettungsteam. Anschließend wird der Patient in den Rettungswagen geladen und ins Klinikum Herzzentrum München transportiert.

Eine Woche später wachte Helmut K. auf und blickte an die Zimmerdecke der Intensivstation der Klinik. Er hatte keinerlei Erinnerung an das Geschehen der letzten Tage. Von Ärzten, Pflegern und vor allem von seiner Frau hat er erfahren, was passiert war. Selbst dass er einige Wochen vor dem Ereignis noch Großvater geworden war, wusste er nicht mehr. Umso mehr freut er sich jetzt über sein Enkelkind.

Heute, sechs Monate später, geht es dem 56-jährigen Ismaninger ganz gut. Ein paar kleinere Beschwerden sind noch geblieben, eine regelmäßige ärztliche Betreuung ist notwendig. Aber Helmut K. lebt und dies hat er vielen Menschen zu verdanken, die in einer beispielhaft gut funktionierenden Rettungskette zusammengearbeitet haben. »Durch das lückenlose Ineinandergreifen der Maßnahmen, begonnen von der schnellen Reaktion seiner Ehefrau, ging im konkreten Fall keine Minute der wertvollen Zeit verloren«, meint Fried Saacke, langjähriger Rettungsassistent und Leiter der Bereitschaft Ismaning des Roten Kreuzes.

Rettung in Not: Jeder kann helfen

»Die Effizienz des Systems, die so genannte Rettungskette hängt davon ab, dass vom Notfallort bis zur endgültigen Behandlung in der Klinik, jeder seinen Beitrag leistet. Die rettungsdienstliche Versorgung in Stadt und Landkreis München ist gut, doch die Ersthelfer und qualifizierten Sanitäter als Helfer vor Ort oder First Responder behalten eine Schlüsselposition«, erklärt Saacke.

Jeder kann mithelfen, dass im Notfall die Rettung funktioniert. Aus dem Fall K. hat der Eigentümer Konsequenzen gezogen und an der Haustüre ein Schild aufgehängt »Fluchtweg nicht zusperren«, damit nie wieder Rettungskräfte unnötig aufgehalten werden, wenn jemand im Haus schnelle Hilfe braucht. Auch eine von der Straße gut sichtbare Hausnummer hilft, das die Einsatzstellen von den Rettungsdiensten schnell gefunden werden.

»Die einfachen Maßnahmen der Ersten Hilfe beim Umgang mit bewusstlosen Personen sollte heute jeder beherrschen«, fordert Fried Saacke. Die nötigen Kenntnisse könnten in wenigen Stunden erfolgreich vermittelt werden. Das Rote Kreuz und andere Hilfsorganisationen bieten entsprechende Trainingsstunden an.

Marieluise K. erinnert sich noch heute gut an die Minuten des Wartens auf den Rettungsdienst, jede Minute kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Als sie ihren Mann bewusstlos am Boden liegen sah, sagte sie: »Du gehst jetzt nicht!« Und sie erinnert sich an die angenehme Ruhe, die der Disponent in der Rettungsleitstelle übers Telefon ausstrahlte. Mit ruhiger Stimme habe er sie in den notwendigen Maßnahmen der Herz-Lungen-Wiederbelebung angeleitet. »Ich bin allen Helfern sehr dankbar«, sagt Helmut K. »Ich genieße jeden Tag meines geschenkten Lebens.« red

Artikel vom 27.01.2015
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