Die sterilisierte Stadt

Gerhard Polt spricht über seine Zeit in Schwabing und München

Im Gespräch! Gerhard Polt und Christoph Lindenmeyer (r.) am vergangenen Donnerstag im Gasteig bei »Metropolis«.	Foto: mu

Im Gespräch! Gerhard Polt und Christoph Lindenmeyer (r.) am vergangenen Donnerstag im Gasteig bei »Metropolis«. Foto: mu

Schwabing · Satire ist eine ebenso bitterböse wie höchst vergnügliche Art Gesellschaftskritik zu äußern. Einer, der die subtilen Zwischentöne bestens beherrscht, ist der Kabarettist Gerhard Polt. Der gebürtige Münchner verbrachte seine ersten Lebensjahre in Altötting.

Später, der junge Gerhard war gerade neun, zog die Familie zurück nach München – erst nach Schwabing, später in die Maxvorstadt. Die Wirtschaftswunderjahre hat Gerhard Polt in München erlebt und hier wurde er ein Stück weit in seinem Denken beeinflusst. Über diese Zeit sprach Polt bei der Veranstaltung »Polts München: Erinnerungen und Hoffnungen – ein Gespräch« im Ga­steig.

Prof. Christoph Lindenmeyer, der Interviewpartner des Abends, führte Polt gleich zu Beginn an seine Schwabinger Wurzeln. Gerhard Polt wuchs mit seiner Mutter in einer Sechs-Parteien-Wohnung der Großmutter in der Amalienstraße auf. Das hat ihn geprägt: »Da sind Menschen zusammengekommen, die wussten gar nicht, dass es den anderen gibt: Kaufleute aus dem Rheinland, Vertriebene, Adelige und bayerische Bierfahrer vom Pschorr mit einem eigenen Bierdepot!« Und ständig war etwas geboten – die Trümmerfelder waren Spielplätze, »Hausierer« beziehungsweise Vertreter lungerten in Hausgängen herum und jede Straße hatte ihre eigene Jugendgang. Der junge Polt, stolzes Mitglied der »Amaliengang«, berichtet nahezu euphorisch von der Brennglas-Folterung eines Erzfeindes aus der »Türkengang«: »Das war scho super, weil wir aus der ›Amaliengang‹ waren weniger, aber tapferer!«

Spätestens ab diesem Moment war beim Publikum jeder wissenschaftliche sowie soziologische Ernst verschwunden. Selbst der Geruch der Zeit trieb es bunt im München der Nachkriegszeit. Das Café Schneller, das es heute immer noch gibt, und eine Fischhandlung lieferten sich einen erbitterten Geruchskrieg. Frische Krapfen gegen ganz frische Makrelen! Am Ende siegte das Café und die Fischhandlung musste einer Bank weichen, was die Chefin der Krapfen seinerzeit zu einem »Gott sei Dank! Geld stinkt nicht« verführte.

Polt wäre nicht Polt, wenn er den Zuhörer nicht auch zum Nachdenken zwingen würde. Seriös, ohne in einen Duktus »Früher war alles besser« zu verfallen, erzählte er von vielen kleinen und großen Dingen, die er heute in München vermisst: Echte »Spielplätze« für Kinder, Originale wie den »Stolz von der Au« oder Sigi Sommer und vor allem alte Plätze und Kulturstätten der Isarstadt. »Die Stadt ist an manchen Stellen sterilisiert.«

Christoph Lindenmeyer erinnerte das Publikum und vielleicht den Künstler ein wenig selbst daran, wie aktuell und brennend die Themen um Mieten und Luxussanierung für die Stadt immer noch seien, die Polt in seinem ersten Hörspiel »Als wenn man ein Dachs wär« schon vor 40 Jahren thematisierte. »Mei, die Etiketten ändern sich, die Probleme und Inhalte bleiben die gleichen«, erklärte Polt leicht resigniert. Geradezu pathetisch wurde die Kabarett-Legende, als die Sprache auf Dieter Hildebrandt kam.

Nach dem Tod Hildebrandts im vergangenen November wurde beim Vater von Markus Wasmeier ein schmiedeeisernes Kreuz besorgt, um anschließend festzustellen, dass so etwas auf dem Neuen Südfriedhof nicht erlaubt sei. »Ich frage mich bei so etwas schon, für was die Stadt einen Kulturreferenten hat. Ich würde mir wünschen, dass sich ein Kulturreferat gegen die anderen Stadtreferate zur Wehr setzt, wenn irgendwo etwas Altes und Schönes zerstört werden soll. Aber da sehe ich momentan schwarz!«

Neben aller deutlicher Kritik merkte doch jeder, welche enge Verbundenheit zwischen dem Künstler und »seiner« Stadt in den letzten sieben Jahrzehnten gewachsen ist, wenn Polt beispielsweise von Besuchen am Viktualienmarkt, dem Duft der Weihnachtsmärkten und den zentralen Plätzen der Stadt ausführlich schwärmte. Neben München wurde auch die Perspektive nach Skandinavien eröffnet. Gerhard Polt, der vier Jahre in Göteborg lebte und studierte, beruhigte die Münchner, dass zwar dort vieles anders sei, aber nicht alles besser.

Wer Gerhard Polt und seine Programme liebt, kann sich nach der Veranstaltung berechtigte Hoffnung machen auf die Fortsetzung des Klassikers »Attacke auf Geistesmensch«. Nach fünf Jahren zog es den Meister mal wieder auf die Wiesn. Den Verkleidungszwang der Besucher aus aller Welt nahm er gelassen hin, nur ein komplettes Wiesn-Set für 26,99 Euro verwunderte ihn dann doch: »Des kannst nach einem Festrausch beruhigt anspeim und dann gleich wegschmeißen!« Marcus Ullrich

Artikel vom 28.10.2014
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