»Die Zeit läuft uns davon«

VdK verlangt, endlich für die Demenzkranken zu sorgen

VdK-Präsidentin Ulrike Mascher: »Wenn die Weichen nicht gestellt werden, bricht das jetzt schon lückenhafte System zusammen!«	 Foto: job

VdK-Präsidentin Ulrike Mascher: »Wenn die Weichen nicht gestellt werden, bricht das jetzt schon lückenhafte System zusammen!« Foto: job

München · 217.000 Menschen in Bayern leiden an Demenz (so die Erhebungen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft) und es werden täglich mehr. In 20 Jahren werden im Freistaat wohl 350.000 Demenzkranke leben. Wer wird sich um sie und ihre Angehörigen kümmern?

»Für diese Entwicklung ist Bayern nicht gerüstet«, warnt VdK-Präsidentin Ulrike Mascher eindringlich. Es fehlt an der medizinischen und pflegerischen Versorgung, an geeignetem Wohnraum, an der Unterstützung der Familien und vielem mehr. »Wenn die Weichen nicht bald gestellt werden, bricht das jetzt schon lückenhafte System, das sich vor allem auf die oft kostenlose und aufopferungsvolle Familienpflege stützt, in den nächsten Jahren zusammen«, so Maschers düstere Prognose.

Der VdK fordert mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft eine »Demenzoffensive«, um Verbesserungen durchzusetzen. Die Staatsregierung müsse einen verbindlichen Zeitplan erstellen, welche Ziele sie in fünf, zehn und 15 Jahren erreicht haben will, um die Lebensqualität von Demenzkranken und ihrer Familien zu sichern. Davon ist heute nicht allzu viel zu sehen: »Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Angehöriger oder Patient nach der Diagnose Demenz von jedem Ort in Bayern ein ausgebautes Netz an Beratung, Versorgung uind Bertreuung erreichen kann, tendiert gegen Null«, so Mascher.

Schon jetzt kollabiere das Pflegesystem aufgrund akuten Personalmangels. Das Zurückgreifen auf ungelernte Kräfte führe zu mancherorts untragbaren Zuständen. Dabei sind demente Patienten besonders auf Zuwendung und Zeit angewiesen. Lebensqualität für sie erreicht man »nicht durch Pflegedokumentationen und geschönte Heimbenotungen, sondern nur, wenn geschultes Personal und ein Netz von Angehörigen und Helfern sich um die individuellen Bedürfnisse dieser Menschen kümmern kann«, unterstreicht Mascher.

Erste Verbesserungen werden rasch von neuen Mängeln zunichte gemacht, klagt sie: Die Abschaffung des Schulgeldes in Altenpflegeschulen 2013 habe dazu geführt, dass sich bereits jetzt mehr Schüler anmelden – aber viele Schüler werden in manchen Pflegeheimen »regelrecht verheizt«; die Fesselung von unruhigen Demenzpatienten gehe zurück – jetzt werden zur Ruhigstellung Pharmaka verabreicht. Dass Pfleger über die Dosis entscheiden können, halten VdK und Alzheimer Gesellschaft für außerst gefährlich.

Dr. Winfried Teschauer (Deutsche Alzheimer Gesellschaft) sieht für Demenzkranke erhebliche Lücken bei den Krankenhäusern. Elf Prozent aller Krankenhauspatienten haben die Diagnose Demenz, gehen damit im Klinikalltag aber häufig unter.

Für Demenzkranke, die ohnehin orientierungslos sind, bringt jede Veränderung in ihrer Umgebung großen Stress, viele reagieren ängstlich, manche aggressiv. Pflegekräfte und Mediziner sind auf diese Patienten überhaupt nicht vorbereitet, bilanziert Teschauer, ihnen fehlt das Wissen, was Demenzpatienten brauchen. Das Thema werde erst seit wenigen Jahren in den Ausbildungsgängen berücksichtigt.

Der VdK fordert die Staatsregierung auf, die Finanzierung von Selbsthilfegruppen und Beratungsangeboten zu sichern. Etliche Selbsthilfegruppen stehen ständig am Rande des Ruins, weil sie mit ihren Hilfestellungen in Vorleistung gehen müssen und dann mehr als ein dreiviertel Jahr auf die ihnen zustehenden Fördergelder warten müssen. Zudem müsse Pflege vor Ort möglich werden – mit Stützpunkten und Beratungsstellen, die die Leistungen verschiedener Träger vernetzen. Der Sozialverband und die Alzheimer Gesellschaft mahnen zudem eine große Pflegereform an. »Konzepte wie 'Pflege-Bahr' streuen nur Sand in die Augen«, so Maschers Kritik, »die finanzielle Absicherung der Pflegebedürftigkeit aus privaten Mitteln ist für die Mehrheit völlig utopisch!« 1,5 Millionen Menschen bundesweit leiden an Demenz. Ihre Zahl wird sich bis 2050 verdoppeln. Die meisten Demenzkranken sind zwischen 80 und 90 Jahre alt. Bei den über 90-Jährigen sind vier von zehn Personen dement.

Zwei Drittel der Demenzkranken in Bayern weden ausschließlich von ihren Familien betreut. Symptome von Demenz sind Verlust des Kurzzeit- und dann des Langzeitgedächtnisses, Orientierungslosigkeit und dadurch hervorgerufene Angstzustände und psychische Probleme. Nach der Diagnose Demenz bleiben im Schnitt acht bis neun Jahre bis zum Tod des Patienten. 65 Prozent der Krankenhausmitarbeiter haben keine Vorkenntnisse zum Thema Demenz.

Artikel vom 07.08.2014
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