Das Konzept heißt »Raus aus dem Klassenzimmer, rein in die Praxis«

München · Eine einzigartige Schule: Jugendliche ohne Ausbildung sammeln Berufserfahrung

»Ich habe gesehen, dass mir technische Bereiche liegen.« Schüler Philipp Wolczynski gewinnt in der Metallwerkstatt Kompetenzen für seinen späteren Beruf.	Foto: job

»Ich habe gesehen, dass mir technische Bereiche liegen.« Schüler Philipp Wolczynski gewinnt in der Metallwerkstatt Kompetenzen für seinen späteren Beruf. Foto: job

München · »Ich war auf dem Gymnasium und wollte studieren«, erzählt Philipp Wolczynski. Doch nicht jeder Start ins Berufsleben verläuft geradlinig und ohne Brüche.

Der junge Mann besucht inzwischen die Städt. Berufsschule zur Berufsvorbereitung und ist ebenso glücklich mit seiner Wahl wie zuversichtlich: »Hier habe ich das handwerkliche Arbeiten für mich entdeckt. Ich habe gesehen, dass mir technische Bereiche liegen.«

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Die Schule mit dem etwas sperrigen Namen hat ihren Stammsitz am Bogenhauser Kirchplatz und unterhält mehrere Nebenstellen in anderen Stadtvierteln. Die etwa 1.300 Jugendlichen, die sie besuchen, haben entweder keinen Ausbildungsplatz gefunden, keinen Schulabschluss erreicht oder ihre Ausbildung wieder abgebrochen. »Wir wollen unsere Schüler so weit bringen, dass sie eine Ausbildungsstelle finden«, umreißt Robert Lazar das Ziel der Schule. Er ist eine von rund 90 Lehrkräften, die vor allem auf eines setzen: Berufserfahrung so realistisch wie möglich an die jungen Leute weitergeben. »Raus aus dem Klassenzimmer, rein in die Praxis«, heißt die Devise.

Dazu stehen zwei Alternativen offen: Manche Jugendliche durchlaufen in der Schule ein Berufsvorbereitungsjahr mit Vollzeitunterricht (in dem sie zwei Berufsfelder kennenlernen), andere werde in Blockform (Teilzeit) über einen längeren Zeitraum unterrichtet. Für Jugendliche, die erst seit kurzem in Deutschland sind, werden Sprachförderungskurse angeboten. Für praktisches Arbeiten in den Berufsfeldern Metall- und Holztechnik verfügt die Schule über Werkstatträume, den Bereich Gastronomie erleben die Jugendlichen zum Beispiel als Betreiber des Cafés im Pädagogischen Institut des städt. Bildungsreferats in der Herrnstraße.

»Wir wollen möglichst viele Begegnungsmöglichkeiten mit dem realen Leben«, erklärt Robert Lazar, »und Produkte herstellen, die nach außen verkauft werden können« – zum Beispiel die Mülltonnenhäuschen, die an der Schule produziert werden und die man dort ordern kann. In der Vergangenheit haben die Schüler Beamer-Halterungen hergestellt und in vielen Schulen die Montage übernommen. »Wir haben manchmal um 5.30 Uhr oder erst nach 16 Uhr angefangen, um den Unterricht nicht zu stören«, erzählt Lazar, »auch das gehört zur Praxis.« »Wir sind die einzige Schule dieser Art in Bayern«, meint Schulleiter Klaus Seiler zu diesem produktionsorientierten Konzept. Er darf sich auf zwei Preise freuen, mit denen die Arbeit seiner Schule heuer gewürdigt wird: Die Regierung von Oberbayern wird im Februar ihren Integrationspreis für das Mentorenprojekt der Berufsschule (seit fünf Jahren stehen Pensionäre den Jugendlichen zur Seite) vergeben, die Münchner Lichterkette zeichnet das Gesamtkonzept zur Berufsvorbereitung aus.

Zeigen, was man kann

Etliche »Learning by doing«-Projekte koordiniert Robert Lazar für seine Schüler: Im vergangenen Jahr bauten seine Schüler (unter ihnen Philipp Wolczynski) eine Rundbank für den Kindergarten an der Pasinger Bäckerstraße. Dessen Elternbeirat übernahm die Materialkosten, alles andere nahmen die Schüler in die Hand. Mit der Fertigung der Bank erhielten sie einen Einblick in den Produktionsbereich von Holz- und Metalltechnik. »Dadurch gewinnen beide Seiten«, so Robert Lazar: »Der Kindergarten bekommt eine neue Bank und die Schüler führen ein berufsnahes Handwerk durch, bei dem sie selbstständig planen, einkaufen und die Arbeit aufteilen müssen.«

Die künftigen Auszubildenden können sich mit diesem Projekt bei Unternehmen bewerben, ihr Engagement unter Beweis stellen und ihre Erfahrungen schildern. »Wir möchten damit auch zeigen, zu welcher Leistung unsere Schüler bereits in der Berufsvorbereitung fähig sind und ihnen dadurch bessere Startchancen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz ermöglichen«, betont Lazar. »Die Motivation der Jugendlichen, die an solchen Projekten arbeiten, ist sehr hoch: Sie haben bei einem Bewerbungsgespräch ihrem Gegenüber etwas zu erzählen, was sie praktisch gemacht haben!«

Daher sind die Lehrer dankbar, wenn sie Partner wie den Pasinger Kindergarten finden, die sich auf eine Zusammenarbeit mit den Jugendlichen einlassen: »Solche Leute brauchen wir mehr!« Auf den Bau der Bank ist Philipp Wolczynski richtig stolz: »Man hat gemerkt, dass man etwas Großes, etwas Nützliches machen kann – und nicht nur in der Schulwerkstatt Drähte biegt oder Werkstücke bohrt« (die hinterher im Abfall landen). Die Teamarbeit hat ihm besonders gut gefallen: »Jeder hat jeden unterstützt.«

Lukas Buchner, der ebenfalls zu dem »Kindergarten-Team« gehörte, sieht es ganz ähnlich: »Es ist schön, wenn man so etwas fertiggestellt hat - wenn man sieht, wie sich die Kinder darüber freuen und man weiß, dass man daran mitgewirkt hat!« Er hatte bereits eine Ausbildung als Elektrotechniker angefangen, aber wieder abgebrochen: »Es klappte mit meinem Meister einfach nicht.« Nach der Schule möchte er auf jeden Fall bei MAN als Fertigungsmechaniker anfangen: »Der Beruf gefällt mir, ich hoffe, dass es funktioniert!«

Doch zunächst steht ein Auslandspraktikum an: Lukas Buchner fährt mit anderen Schülern nach Kärnten, um dort ein Metallpraktikum zu absolvieren. Während dreier Wochen, in denen sie weitgehend auf sich allein gestellt sind, lernen die Schüler Produktionsschritte, die ihnen in der Schulwerkstatt nicht gezeigt werden können. »Wer dort war, bekommt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Ausbildungsplatz«, ist die Erfahrung, die Robert Lazar gemacht hat.

Abschluss ist nicht die Hauptsache

Die Berufsschule öffnet auch Jugendlichen, die die Mittelschule ohne Abschluss verlassen haben, neue Wege: »Bei uns steht der Abschluss nicht im Vordergrund«, meint Robert Lazar, »unsere Schüler sollen vor allem berufliche Erfahrung sammeln.« Schüler des Berufsvorbereitungsjahres können sich allerdings in einem zusätzlichen Kurs auf den Quali vorbereiten.

Eines der langfristig angelegten Projekte der Schule ist der Einsatz der Jugendlichen auf der Pädagogischen Farm in Trudering. Hier können Schulkinder und Kindergartengruppen Tiere wie Pferde und Hühner erleben oder sehen, wie Gemüse angebaut wird. Das Gelände wird zudem von Vereinen wie den Naturindianern genutzt. Die Bauten befinden sich indes nicht im besten Zustand. »Wir wollen sie auf Vordermann bringen, damit viele Gruppen die Einrichtung nutzen können und es für die Kinder einfach schön ist«, erzählt Lehrer Frank Peter.

Einmal jede Woche verbringen seine Schüler draußen einen »Tag auf der Baustelle«. Aus der Klasse wird dann ein richtiger Handwerksbetrieb. Das »BOKI-Bauteam« hat Fußböden betoniert, Wände verkleidet, einen Aufenthaltsraum hergerichtet, einen Hühnerstall gebaut, Zäune errichtet – und noch jede Menge Arbeit vor sich: »Arbeiten unter beruflichen Bedingungen« ist das, wie Peter schildert: »Wir zeigen unseren Schülern, was ein Chef gerne von ihn sehen würde, zum Beispiel, dass sie Arbeitsaufträge selbstständig erledigen.« Er ist stolz auf seine jungen Mitarbeiter: »Sie sind unterschiedlich begabt und unterschiedlich vorgebildet, aber durch die Bank allen macht es Spaß, hier zu arbeiten. Es sind viele Jungs dabei, die ein Handwerkermeister sofort übernehmen würde.«

Aus Schülern werden Azubis

»Alles ist gut, was Erfolg bringt«, fasst Robert Lazar die vielen Möglichkeiten zusammen, die die Berufsschule zur Berufsvorbereitung bietet. Erfolg bedeutet für ihn, dass aus Schülern Auszubildende werden.
Philipp Wolczynski, der einst studieren wollte, wird demnächst ein Praktikum bei einem Luftfahrtunternehmen vor den Toren der Stadt machen können. Auch die nächsten Weichen sind bereits gestellt: Er hat dort bereits einen Ausbildungsplatz als Flugzeugmechaniker in Aussicht. »Das«, sagt er, »wäre ohne diese Schule nicht möglich gewesen!« Johannes Beetz

Artikel vom 06.02.2014
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