Rundum Berge oder der Versuch, alles sehen zu können

Neues im Alpinen Museum

Alles sehen zu können – diesen Wunsch hatten die Menschen schon, als es noch keinen Fernseher gab.

Insbesondere die Gebirge mit ihren Tälern, Übergängen, Karen und Gipfeln weckten seit jeher die Lust am Schauen. So waren die heute fast vergessenen alpinen Faltpanoramen im 19. Jahrhundert eine weitverbreitete und beliebte Möglichkeit, „Rundum Berge“ zu sehen, unabhängig davon, wo man sich gerade befand. Die neue Ausstellung des Alpinen Museums widmet sich bis 28. Oktober diesen fast vergessenen Gebirgsdarstellungen.

In mehrfacher Hinsicht sind die alpinen Faltpanoramen eine Wiederentdeckung wert. So sind sie beispielhaft für den Umgang mit Natur und Gebirge im 19. Jh., zeigen die zunehmende „Eroberung“ der Gipfel durch ein breit gestreutes Publikum und werfen nicht zuletzt ein Licht auf die Frühgeschichte der alpinen Vereine. Darüber hinaus faszinieren die oft mehrere Meter langen alpinen Rundsichten noch heute durch sorgfältigste Beobachtung, großen Informationswert und eine oft aufwändige künstlerische Gestaltung.

Fünfzig ausgewählte Beispiele aus der Sammlung des Alpenverein-Museums des Österreichischen Alpenvereins in Innsbruck machen einen bisher einzigartigen Überblick über Entstehung und Bandbreite der alpinen Panoramen möglich. Historische Hintergrundinformationen erhält der Besucher mit Hilfe eines Audioguides.

"Gipfelgespräche", Experteninterviews, literarische Zitate und historische Texte informieren über Auftraggeber, Zeichner, Herstellung und Nutzung der Panoramen und machen eine Erschließung auch im Detail möglich. Ganz im Sinn der "Lust am Schauen", die die Panoramen vermitteln, wurde auf weitere schriftliche Erläuterungen verzichtet. Die Ausstellung ist insbesondere auch für Kinder geeignet. Sie können im Anschluss an den Ausstellungsbesuch ein eigenes Panorama, beispielsweise von ihrem Lieblingsspielplatz, malen.

Von Anfang an vereinte das Faltpanorama den wissenschaftlichen Anspruch, Einblicke in die geologische, morfologische, geografische und topografische Geheimnisse der Alpenwelt zu liefern, mit der Lust am Schauen. So verbinden sich dekorative, oft künstlerische Darstellungen mit einer Fülle von Informationen. Das bildungsbürgerliche Publikum des 19. Jahrhunderts schätzte diese Darstellungen sehr. Panoramen erlebten, vor allem als Beilage zu den Publikationen der verschiedenen alpinen Vereine, einen unglaublichen Boom: Die Auflage des Panoramas steigerte sich von 4.000 Exemplaren im Jahr 1872 zu 78.000 Exemplaren im Jahr 1908. Oft konnten die Rundumsichten nur mit großer körperlicher Anstrengung aufgenommen werden. So schreibt der Geologe Albert Heim: "Wenn es auf hohen Gipfeln besonders klar zum Zeichnen ist, so haust sehr oft ein kalter Wind, man wird vor Frost am ganzen Körper steif, will aber die Beleuchtungen benützen und zeichnet stundenlang mit so steifen Fingern, dass man den Bleistift kaum in der Hand fühlt. Ohne dergleichen geht die Aufnahme des Panoramas von einem Gipfel, der in der Schneeregion hineinreicht, gewöhnlich nicht ab."

Die große Zeit der Panoramen klang mit Ende des 19. Jahrhundert aus. Fotografische Rundsichten und flächendeckende kartografische Geländeaufnahmen im Gebirge waren zu ernsthaften Konkurrenten für die gezeichneten Ansichten geworden. Wanderkarten kamen auf, die in Preis, Handlichkeit, Exaktheit und Informationsfülle die Panoramen übertrafen und Bildpostkarten traten als billigeres Reiseandenken die Nachfolge der Rundsichten an. Ganz aber ist das gezeichnete Rundbild dennoch nicht untergegangen. "Es lebt fort", so der Kulturwissenschaftler Bernhard Tschofen, "in der Skizze der Führerliteratur als schlichte Umrissdarstellung mit Legende und begann – grafisch angereichert – eine Karriere als illustratives Medium in der Tourismuswerbung". Zur Ausstellung wird ein vielfältiges Veranstaltungsangebot für Kinder, Erwachsene und Gruppen angeboten. Ein gedruckter Ausstellungsbegleiter in Form eines Faltpanoramas breitet nicht nur einen Gebirgsrundblick aus, sondern bietet auch Informationen zur Geschichte des neu entdeckten Mediums.

Geöffnet ist Dienstag bis Freitag, 13 bis 18 Uhr. Samstag und Sonntag, 11 bis 18 Uhr. Freitags geschlossen!

Artikel vom 02.08.2001
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