Garten als Hausarzt

Arbeit in Parzelle Nummer 112: die Kleingartenanlage NW 30

aSeit 33 Jahren sind Sepp und Ingeborg Eisenreich, hier mit dem Vereinsvorsitzenden Karl-Heinz Steinbach, glücklich mit Parzelle 112 (v. l.).	Foto: scy

aSeit 33 Jahren sind Sepp und Ingeborg Eisenreich, hier mit dem Vereinsvorsitzenden Karl-Heinz Steinbach, glücklich mit Parzelle 112 (v. l.). Foto: scy

Schwabing · Im Wartezimmer einer Arztpraxis wird man Sepp Eisenreich nicht finden. »Der Garten ist mein Hausarzt«, sagt der begeisterte Kleingärtner. Die Arbeit in seiner Parzelle mit der Nummer 112 halte ihn fit. »Das ist die beste Gymnastik. Ich bin der gesündeste Mensch.«

Eisenreich ist seit 33 Jahren Mitglied in der Kleingartenanlage NW 30 an der Ackermannstraße. »Man sollte in unserem Alter nicht nur in der Wohnung hocken bleiben. Und weil wir hier unseren Garten haben, kommen wir regelmäßig raus aus den vier Wänden«, sagt Ehefrau Ingeborg, die immer etwas zu tun hat. Demnächst werden die Weintrauben entsaftet und Gelee daraus gemacht. Und vielleicht gibt es bald Grund zum Feiern und Kuchen backen: Die NW 30 nimmt heuer an dem alle vier Jahre stattfindenden Wettbewerb des Landesverbands Bayerischer Kleingärtner (LBK) teil. Zum ersten Mal überhaupt und mit elf Mitbewerbern bayernweit. Gesucht: Die schönste Kleingartenanlage.

Die Bewertungskommission, die sich bis Ende Oktober entschieden haben will, war bereits am 24. September vor Ort, um sich ein Bild von der knapp 53.000 Quadratmeter großen Anlage mit ihren 155 Parzellen zu machen. Zur Bewertung stehen sieben Kriterien. Unter anderem wird geprüft, inwiefern soziale Aufgaben von dem Verein übernommen werden. Die Integration von Migranten spielt dabei beispielsweise eine Rolle und auch, ob mehrere Generationen hier zusammentreffen. Beurteilt werden außerdem die Einbettung der Anlage in die Stadt und ökologische Aspekte wie Bodenschutz und Wassernutzung. Der Vereinsvorsitzende der Schwabinger Kleingartenanlage, Karl-Heinz Steinbach, hofft natürlich, dass die NW 30 das Rennen macht. Auch wenn die Jury bereits Verbesserungsvorschläge angeregt habe. »Sozial müssten wir uns, so wurde uns gesagt, noch besser durchmischen«, berichtet er.

Der Einblick in die Altersstruktur zeigt: Die meisten der Pächter befinden sich im Rentenalter, aktuell gut 61 Prozent, davon sind zwölf Prozent 80 bis 90 Jahre alt. »Es ist nun mal so, ein Schrebergarten hält jung und die Leute bleiben noch bis ins hohe Alter fit und wollen ihren Garten so lang wie möglich behalten«, so Steinbach. Ein erst jüngst verstorbenes Mitglied sei noch mit 93 Jahren die Bäume hochgeklettert. Aber auch die Kleinen hangeln sich die Äste hoch: 18 Familien mit 34 schulpflichtigen Kindern sind derzeit dabei. »Wir freuen uns über jede Familie mit Kindern und es ist seit Langem unser Bestreben, diese zu integrieren«, bekräftigt Steinbach. Leider aber würden sich diese sehr spät anmelden und bei einer Wartezeit von mindestens sechs Jahren sei es dann wieder schwieriger, den inzwischen Jugendlichen die Gartenarbeit schmackhaft zu machen. Es gilt also die Devise vom frühen Vogel, der den Wurm fängt. Die Nachfrage nach einem Kleingarten ist enorm, besonders seit das Wohngebiet am Ackermannbogen dazugekommen ist. Momentan stehen 120 Namen auf der Warteliste.

Flanieren auch ohne Parzelle erlaubt

Um die Oase in Schwabing genießen zu können, muss man aber noch lange kein Vereinsmitglied sein und einen Garten besitzen. Flanieren ist erlaubt – und ausdrücklich erwünscht. »An warmen Tagen haben wir viele Gäste. Wir freuen uns sehr, wenn die Leute vorbei­kommen«, sagt Sepp Eisenreich.

Man kann die schönsten Gärten bewundern, es gibt keine hohen Hecken, die die Sicht versperren. Überschüssiges Obst und Gemüse sind dort und da zur kostenlosen Mitnahme ausgelegt. Eisenreich erzählt, wie einmal ein Mann ganz aufgeregt zu ihm kam, weil seine Frau einen Strudelteig gemacht hätte und ausgerechnet heute habe er keine herumliegenden Äpfel entdeckt. »Da habe ich zu ihm gesagt, kommen’s doch einfach in meinen Garten und da hole ich Ihnen paar Äpfel vom Baum.« Sepp Eisenreich kümmert sich auch sonst um so ziemlich alles, um die kleinen und großen Nöte der Hobbygärtner. Er ist einer von drei Fachberatern der Anlage. Ein Weg ist nach ihm benannt. Und einmal tummelte sich sogar ein Filmteam in seinem Garten. »Die haben unser Häuschen als Umkleide genutzt und beim Nachbarn drüben gedreht«, erzählt er. Das Drama »Der Brief des Kosmonauten« lief 2002 in den Kinos. Und so ist ein bisschen NW 30 auch auf der Leinwand verewigt.

Als die Anlage auf dem ehemals militärisch genutzten Gelände im Jahr 1946 errichtet wurde, war die Hungersnot groß. Ursprünglich waren die Kleingärten für Leute gedacht, die wenig Geld hatten. Jedes Mitglied musste damals 50 Reichsmark als Einlage zur Beschaffung von Material, Wasserversorgung und Anlagenumzäunung einbezahlen und für eine Reichsmark einen Plan kaufen, auf dem genau festgelegt war, wie der Garten anzulegen war.

In den Anfangsjahren betrug die Gartenpacht 6 Pfennig pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Heute sind es 40 Cent pro Quadratmeter bei einer Parzellengröße von etwa 300 Quadratmetern. Dies ist laut Steinbach ein besonders günstiger Pachtzins. »Und er ist deshalb möglich, weil wir uns nach dem Bundeskleingartengesetz richten.«. Demnach müssen 30 bis 50 Prozent des Gartens für den Obst- und Gemüseanbau genutzt werden.

Es sind Gärten – und kein »Freizeitareal«

Dass Garten auch drin ist, wo Garten drauf steht, ist allerdings so selbstverständlich nicht. »Es ist uns wichtig, hier kein Freizeitareal zu betreiben, bei dem ein Event das andere jagt«, so der Vorsitzende. Von diesen neuen Moden hält er nichts. »Manche neuen Gartenbesitzer sind völlig anders gestrickt als die früheren. Die haben als erstes einen Grill und eine Hollywoodschaukel«, erzählt er. »Und dann stellen sie irgendwann fest, dass ein Garten nicht nur Freude, sondern auch viel Arbeit macht.«

Öffnungszeiten von 1. April bis 31. Oktober ab 8 Uhr bis zum Eintritt der Dunkelheit. Weitere Informationen im Internet unter www.kleingartenverein-nw30.de.

Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 01.10.2013
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