Berger tschirpt los

Zornedinger ist seit über 30 Jahren Vogelpfeifer auf der Wiesn

Horst Berger (r.) und sein Sohn Tobias (l.) hier mit der Landtagsabgeordneten Christa Stewens. 	Foto: privat (Berger)

Horst Berger (r.) und sein Sohn Tobias (l.) hier mit der Landtagsabgeordneten Christa Stewens. Foto: privat (Berger)

Zorneding · Wenn am Wochenende die Wiesn startet, heißt es für Horst Berger wieder: zwei Wochen lang »Action«: Der Zornedinger ist seit über 30 Jahren als »Vogelpfeifer« eine der Attraktionen beim Münchner Oktoberfest.

Schon von Weitem hört man ihn von seinem kleinen Stand unterhalb der Bavaria aus zwitschern, zirpen oder auch wiehern. »Mit dem Pfeiferl kannst‘ alle Tierstimmen nachahmen«, sagt der 73-Jährige, legt sich das sichelförmige Metallstück auf die Zungenspitze und tschirpt los. Der Ton wird durch eine schwingende Membran erzeugt, die zwischen dem goldfarbenen Zinnblech eingeklemmt ist, ein buntes, gezacktes Wachspapier, das aus dem Blech herausragt, sorgt dafür, dass das Pfeiferl leichter auf der Zunge liegen bleibt.

Im Dachgeschoss über der Autowerkstatt seines Sohnes Tobias, der mittlerweile in die Fußstapfen des Vaters getreten ist und ihn beim Oktoberfest unterstützt, hat er sich eine kleine Ecke eingerichtet, in der er die Pfeiferl selbst herstellt. Die Stanzmaschine aus dem Jahr 1940 – echtes, deutsches Reichspatent – spuckt im Sekundentakt die aufgeklappten Metallsicheln aus. Berger legt die Membran und das Wachspapier ein und drückt die beiden Hälften zusammen. »Da braucht’s fünf Kilogramm Druck, das geht ganz schön in die Schultern«, erklärt er. Doch die kleinen Mini-Instrumente sind begehrt – nicht nur auf der Wiesn. »Ich verschicke sie in die ganze Welt«, sagt er stolz. Für das Marketing sorgt er selbst. Auf dem berühmten Gauklerplatz in Marokko zog er so viele Besucher an, dass ihn die Polizei bat, etwas weiter von der Straße weg zu zwitschern, weil diese schon komplett von einer Menschentraube blockiert war. Ein Schatten-Theater in Peking unterlegt seine einst stummen Vorführungen nun mit Vogelgezwitscher, seit der Vogelpfeifer dort zu Besuch war. Berger hat einfach aus dem Publikum heraus die Handlung mit seinem Pfeiferl begleitet. »Das fanden die so super, dass sie gleich welche bestellt und das übernommen haben«, erzählt er schmunzelnd. Er sei halt ein Gaudi-Bursch, sagt er von sich selbst.

Egal, wohin er fährt: Immer hat er eine Handvoll Pfeiferl dabei. Sein eigenes hängt an einer Schnur um seinen Hals, immer griffbereit. »Den Amerikanern muss man das sogar so verkaufen, weil die so hohe Sicherheitsvorschriften haben. Man könnte es ja verschlucken«, erklärt er. Das sei ihm selbst schon passiert. »Aber das macht gar nix. Einfach ein Paar Würschtl mit Kraut essen, dann kommt’s mit einem Ton wieder hinten raus«, sagt er grinsend. Damit er nicht in Teufels Küche kommt, hat er seine Pfeiferl inzwischen auf Lebensmittelechtheit prüfen und vom TÜV zertifizieren lassen. Wenn auf dem Oktoberfest die Leute vor seinem Stand stehen und lachen, und Amerikaner und Russen und Chinesen und Deutsche miteinander ins Gespräch kommen, dann tut das dem Schausteller besonders gut. Vielleicht liegt es daran, dass er keine einfache Kindheit hatte. Als Sudetendeutscher musste er am Kriegsende mit seiner Familie aus der Heimat flüchten. Da war er drei Jahre alt.

In Neubiberg wuchs er ohne Vater auf. 1975 zog er nach Zorneding. Sein Schicksal war, dass der Lebensgefährte seiner Mutter der »Bader Michl« gewesen ist, der als Vogelstimmenimitator kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bis fast zu seinem Tod 1985 das Oktoberfest bereicherte. »›Du bist mei Bua‹, hat er zu mir gesagt und mir alles beigebracht«, erzählt Berger. Jeden Urlaub von seinem Job als Maschinenbautechniker im Bereich Luft- und Raumfahrt opferte er für sein zweites Leben als »Münchner Vogelpfeifer«. Seit er in Rente ist, hat er endlich mehr Zeit dafür – und ist oft unterwegs. Am vergangenen Wochenende reiste er zum Beispiel in die Rosenstadt Tulln in Niederösterreich, wo Andy Borg mit dem Musikantenstadl gastierte – und Horst Berger mit seinem Pfeiferl auftreten durfte. Von Prominenten umgeben zu sein, ist für Horst Berger aber nichts Aufregendes. An seinen Stand auf dem Oktoberfest kommen sie zahlreich und scherzen gerne mit dem Zornedinger Urgestein, vom Starkoch Stefan Marquardt über die Landtagsabgeordnete Christa Stewens bis hin zu Albert von Monaco. In diesem Jahr kann er seinen Besuchern ein neues Pfeiferl anbieten, sozusagen in High-Tech-Qualität: Denn bisher hat er für die Membran Ochsendarm hergenommen.

Der ist zwar sehr widerstandsfähig, aber man musste das Pfeiferl immer erst eine Minute am Gaumen liegen lassen, bis die Haut weich war. Jetzt nimmt er ein neues Material aus der Luft- und Raumfahrt, das funktioniert auf die gleiche Art – halte aber länger, wie Berger stolz sagt. Wer auf die Wiesn geht, braucht sich also nicht zu wundern, wenn er Vogelstimmen singen hört – unabhängig davon, wie viele Maß Bier er schon intus hat. Sybille Föll

Artikel vom 17.09.2013
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