Grafinger Diskussion: Vorausschauend bauen

Grafing · Im Alter in die WG?

In Grafing ging es am Dienstag bei einer Podiumsdiskussion um „Wohnen im Alter“. Werner Fuchs (kl. Foto) kann sich vorstellen, später in eine WG zu ziehen.	Fotos: Sybille Föll

In Grafing ging es am Dienstag bei einer Podiumsdiskussion um „Wohnen im Alter“. Werner Fuchs (kl. Foto) kann sich vorstellen, später in eine WG zu ziehen. Fotos: Sybille Föll

Grafing · „Nachhaltiges Bauen unter dem Aspekt der demografischen Entwicklung“: Zu diesem Thema hatte am vergangenen Dienstag die Kreisvorsitzende der Senioren-Union Ebersberg, Renate Schaumberg, zu einer Podiumsdiskussion in Grafing eingeladen.

Die Grafinger Architekten Fad Krikor und Wolfgang Betz sowie der Projektentwickler alternativer Wohnformen im Alter, Martin Okrslar, und der ehemalige Landrat Hans Vollhardt informierten die rund 30 Gäste über gesetzliche Vorgaben, die Entwicklung der vergangenen Jahre und verschiedene Projekte.

Im Jahr 2030 sind nach einer Prognose des Statistischen Bundesamtes 28 Prozent aller Deutschen im Alter zwischen 60 und 80 Jahren. Großfamilien, wie sie früher üblich waren, gibt es kaum noch. Wird ein Mensch pflegebedürftig, bleibt oft nur das Heim. „Ich bin sicher, dass Mehrgenerationenhäuser immer mehr an Aktualität gewinnen werden“, sagt Betz, der selbst mit seiner 90-jährigen Mutter in einem Haus lebt. Wichtig sei jedoch nicht nur das Haus an sich, sondern auch die Infrastruktur müsse stimmen: Nahe gelegene Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, Apotheken. Bei Planungen für ein neues Heim sei es lohnenswert, über eine Einliegerwohnung nachzudenken, die später für Kinder oder pflegebedürftige Eltern zur Verfügung steht. Als „absolut altersuntauglich“ bezeichnet Udo Helmholtz, Vorsitzender des SPD-Arbeitskreises 60plus, viele Grafinger Grundstücke, die früher mit mehr als 1.200 Quadratmetern ausgewiesen worden seien.

Denn dort stünden jetzt Häuser drauf, unten Wohnbereich, oben das Schlafzimmer, ein großer Garten müsse gepflegt werden. Und das ist laut Helmholtz für Ältere ungeeignet. Er schlägt vor, eine flexible Bauweise ­gesetzlich zu verankern. Davon riet Krikor jedoch ab: Man könne schließlich niemandem vorschreiben, wie er bauen soll. „Aber ich denke, der Markt wird es von selbst regeln.“ Immer mehr junge Menschen würden sich schon darüber Gedanken, machen, wie sie im Alter wohnen möchten. „Und wir reagieren darauf.“

Ein Geschoss barrierefrei

Gesetzlich festgelegt sei lediglich, dass bei Mehrfamilienhäusern ein Geschoss barrierefrei sein muss. Dafür gebe es Normen, wie beispielsweise die Breite der Türen. Allerdings würden die Vorgaben nicht immer eingehalten werden, so Krikor, Kontrollen gebe es nur selten. Mehrgenerationenhäuser (MGH) sind nur eine der Wohnformen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Immer beliebter werden Wohngemeinschaften (WG), hinter denen der Gedanke steht „Gemeinsam statt einsam“.

135 Pflege-WGs in Bayern

Wie Martin Okrslar, Initiator der im August in Weilheim gegründeten „MARO Genossenschaft für selbstbestimmtes und nachbarschaftliches Wohnen eG – Innovative Wohnformen im Alter“ berichtete, gibt es in Bayern aktuell 135 ambulant betreute Pflege- und Demenzwohngemeinschaften. An einem Beispiel aus Kleinost­heim nahe Aschaffenburg schilderte er die Vorzüge gegenüber einem Pflegeheim: Es gebe nur maximal zwei WGs in einem Haus mit höchstens zwölf Bewohnern pro WG, kein Heimgesetz, mehr Personal und somit sei die Qualität besser bei vergleichbarem Preis. Zwischen 1.600 und 1.700 Euro koste hier ein Platz monatlich. Ein weiterer Vorteil des Genossenschaftsmodells sei, dass die Immobilie in der Hand der Anleger ist. Es gebe somit keinen fremden Investor und keinen Betreiber, stattdessen ein „starkes Wir-Gefühl“. Eine Hausgemeinschaft der anderen Art hat Hans Vollhardt mitorganisiert, bisher einmalig im Landkreis Ebersberg. Das Projekt heißt „Sozial und alternativ leben und wohnen in Ebersberg“, kurz „SALWE“, und befindet sich am Stadtrand von Ebersberg. Drei Ehepaare und drei alleinstehende Senioren haben sich hier ein Haus mit Wohnungen bauen lassen und sind vor zehn Monaten eingezogen. Eine zusätzliche Wohnung dient als Gemeinschaftsraum, dort gibt es ein Wohnzimmer und eine Küche. Die Wohnungen sind gemietet. Der Grund: „Sollte jemand ausziehen, können wir den Nachfolger aussuchen – bei Erbfolge wäre das nicht möglich“, sagt Vollhardt.

„Magna Carta“ fürs Zusammenleben

Wichtig war allen Bewohnern der soziale Aspekt. Dazu entwarfen sie eine Art „Magna Carta“ mit den Zielen, die sie verfolgen. Das Wichtigste: selbstverantwortlich wohnen bei gegenseitiger Hilfe und größtmöglicher Autonomie des Einzelnen. Sollte jemand so pflegebedürftig werden, dass fremde Hilfe nötig ist, kann die Gemeinschaftswohnung an Pflegepersonal vermietet werden. Außerdem bewahren wir gegenseitig für den anderen Dokumente für den Fall auf, dass ihm etwas zustößt, zum Beispiel eine Patientenverfügung“, erklärte Vollhardt.

Soziales Miteinander ausgedehnt

Das soziale Miteinander hat inzwischen aber auch ungeahnte Formen angenommen: Die WG-Mitglieder hüten Kinder der Nachbarn oder diese kommen zum Kochen vorbei. „Die Gemeinschaft entwickelt sich also weit über unsere Wohngemeinschaft hinaus.“ Eine solche WG kann sich auch Veranstaltungsteilnehmer Werner Fuchs sehr gut vorstellen. Noch hat er sich keine Gedanken über das Wohnen im Alter gemacht. Er ist 62 Jahre alt und lebt mit seiner Frau in einer Mietwohnung. „Aber gesprochen haben wir schon über das Thema.“ Seiner Meinung nach sollten Bauträger viel mehr solcher Objekte errichten, denn das Interesse sei groß. Am 29. November um 17 Uhr hält Marin Okrslar im Landratsamt Ebersberg den Vortrag „Impulsgeber Kommunen – innovative Wohnformen für Senioren“.

Von Sybille Föll

Artikel vom 20.09.2012
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