Was machen denn die »Flausmeister« im Ebersberger Forst?

Ebersberg · Tierische Starthilfe

Geflügelte Tagschläfer anwesend oder nicht? Henriette Hofmeier inspiziert einen Fledermauskasten. Foto: Sybille Föll

Geflügelte Tagschläfer anwesend oder nicht? Henriette Hofmeier inspiziert einen Fledermauskasten. Foto: Sybille Föll

Ebersberg · 9 Uhr morgens: Die Strahlen der Sonne brechen bereits durch niedrige Baumkronen im Ebersberger Forst, die Luft im Wald ist frisch, der Verkehr auf der B 304 nur ein fernes Rauschen. Hier und da zwitschert ein Vogel. Henriette Hofmeier stakst in Wanderschuhen und Cargo-Hose durch das Unterholz am Wegrand zu einem Baum, an dem ein Nistkasten hängt. Er sieht aus wie ein gewöhnliches Vogelhäuschen.

Unter dem kleinen Satteldach ist ein Einflugloch, darunter eine Klappe mit kleinem Holzriegel. Vorsichtig schiebt sie den Riegel beiseite und öffnet die Klappe. »Ja, hier ist eine«, ruft sie freudestrahlend. Sie greift hinein und als sie ihre Hand wieder herauszieht, lugt ein kleines Gesicht mit weit aufgerissenem Mäulchen und winzigen, scharfen Zähnchen zwischen ihren Fingern hervor – eine Fledermaus. Präziser gesagt: Eine Bechsteinfledermaus, eine Art, die in Europa vom Aussterben bedroht ist.

Henriette Hofmeier ist »Flausmeisterin« beziehungsweise die Chefin aller »Flausmeister«. Die Wortschöpfung, die eine Abkürzung für »Fledermaushausmeister« ist, haben sich die 25 Ehrenamtlichen selbst gegeben, die im August im Ebersberger Forst unterwegs sind. Ihre Aufgabe ist es, die 1.000 Fledermauskästen, die vor drei Jahren im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts von Natura 2000 und den Bayerischen Staatsforsten aufgehängt wurden, zu untersuchen. Es gibt eine Liste, in die die »Flausmeister« eintragen, was sie gefunden haben – Wespen, Siebenschläfer oder tatsächlich Fledermäuse, und falls ja, welche Art. Sinn und Zweck des Ganzen: Herausfinden, welche Arten sich ansiedeln und welche der zwölf verschiedenen Nistkästen sie bevorzugen. Der Ebersberger Forst war lange eine Fichten-Monokultur, erst langsam entwickelt sich der Mischwald. »Da brauchen die Fledermäuse eine kleine Starthilfe, damit sie sich ansiedeln«, so Kerstin Mertens, eine der »Flausmeisterinnen« und Vorsitzende der Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst. Ihre natürlichen Behausungen während des Sommers sind hohle Baumstämme oder abstehende Rinden, wo sie auch ihre Nachkommen aufziehen, im Winter ziehen sie in Berghöhlen, um bei gemütlichen zwei bis fünf Grad dort drin ihren Winterschlaf zu halten.

In Monokulturen können Fledermäuse nicht leben, weil das Nahrungsangebot zu knapp ist. Es gibt zu wenig Insekten und Käfer, von denen sich die Fledermäuse hauptsächlich ernähren. »Deshalb sind sie ja auch so nützlich«, erklärt Projektleiterin Hofmeier, während sie vorsichtig die Flügel der Bechsteinfledermaus ausbreitet, um die Spannweite schätzen zu können. Es sind etwa 15 Zentimeter. Das kleine Säugetier hängt nun in seiner ganzen Pracht in der Luft, und es ist unübersehbar, dass es ein Männchen ist. Es sei ein ­erwachsenes Tier, sagt Hofmeier. Das erkenne man daran, dass das Kinn nicht abgewetzt ist, wie es bei Jungtieren der Fall ist – »vom Saugen an der Mutterbrust«. Die Untersuchung ist beendet, Hofmeier setzt das Tierchen vor das Einflugloch, wo es von selbst wieder in seine Höhle krabbelt. Dort wird es den ganzen Tag schlafen und erst in der Nacht wieder auf Jagd gehen. Fledermäuse sind nachtaktiv und daher fast blind. Damit sie sich in der Dunkelheit orientieren können, haben sie ein Echo-Ortungssystem entwickelt: Sie stoßen permanent Schreie im Ultraschallbereich aus, also für Menschen nicht hörbar. Am Echo erkennen sie, wo sich die leckere Mücke oder ein Flughindernis befindet.

Hofmeier setzt sich wieder ins Auto, wo ihr Kollege Rudi Maierbacher am Steuer auf sie wartet. Der Forstwirt arbeitet für die Bayerische Staatsforsten, Hofmeier, ebenfalls Forstwirtin, für das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000. Heute sind die beiden unterwegs, um schwer zugängliche Fledermauskästen zu kontrollieren. Da die Behausungen in dem insgesamt zirka 50 Quadratkilometer großen Areal teilweise fünf Kilometer und mehr auseinanderliegen, können die Strecken nur schwer mit dem Fahrrad bewältigt werden. Außerdem braucht das Team eine große Leiter. Sie ist auf dem Anhänger befestigt und klackert während der Fahrt. Am so genannten Fünferstadl, eine Scheune, die im fünften Distrikt liegt, stellt sie der Forstwirt an, um die hoch oben knapp unter dem Giebel angebrachte Behausung erreichen zu können. Sie besteht aus zwei Brettern, die nach oben zusammenlaufen und unten einen schmalen Spalt frei lassen. Die Tiere krabbeln nach oben, quetschen sich in die Enge, und bleiben dort hängen. Der Forstwirt leuchtet mit der Taschenlampe von unten hinein. »Leer«, stellt er enttäuscht fest. Das nächste Ziel ist eine Fichte, an deren Stamm in etwa vier Metern Höhe eine rohrförmige Fledermausimmobilie hängt. Auch sie ist leer, aber Hofmeier kratzt eine Handvoll Kot vom Boden, ein Zeichen, dass sie bewohnt war. Anhand der Größe und Beschaffenheit der oft silbrig glänzenden Ausscheidungen lässt sich erkennen, welche Art von Fledermaus sich hier niedergelassen hatte. Auch die Reinigung der Kästen und die Analyse der Exkremente gehört zu den Aufgaben der Flausmeister. Wieso Menschen diese Aufgabe übernehmen? »Weil man kaum irgendwo anders der Natur und diesen sagenumwobenen Tieren so nah kommt«, sagt Kerstin Mertens. Sie lässt sich bei ihren Kontrollen Zeit, genießt den Wald und seine Bewohner. Einmal hat sie dabei eine Haselmaus gesehen, ein anderes Mal Wildschweine. »Es ist einfach schön, das zu erleben«, sagt Mertens. »1.000 Fledermauskästen für den Ebersberger Forst« ist eines der größten Artenhilfsprojekte für Fledermäuse in Bayern. In wenigen Wochen sollen die ersten Ergebnisse der Untersuchungen präsentiert werden. Bisher haben die »Flausmeister« etwa zehn verschiedene Arten gefunden: Zwergfledermäuse, Braune Langohren, Bartfledermäuse und andere. Nach der Auswertung der Listen werden sie wissen, welche Kästen die Tiere bevorzugen und können so ihre Verbreitung weiter unterstützen.

Sybille Föll

Artikel vom 22.08.2012
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