Fehlt der politische Wille zum Schutz der Gartenstädte?

Trudering · Idylle in Gefahr

Mager betonte, »dass private Häuslebauer gegenüber Bauträgern nicht bevorzugt werden«. Foto: bus

Mager betonte, »dass private Häuslebauer gegenüber Bauträgern nicht bevorzugt werden«. Foto: bus

Trudering · »Ohne den politischen Willen und eine hohe Priorisierung wird der Zug in Richtung Gartenstadtende abfahren«, fasst Bezirksausschuss-Vorsitzende (BA) 15 Trudering-Riem Stephanie Hentschel die Ergebnisse der Podiumsdiskussion über die Zukunft der Münchner Gartenstädte zusammen.

Die Entwicklung hin zu mehr Bebauung und Versiegelung in der Gartenstadt besonders hat Trudering überrollt. Wegen des früheren Bauverbots rund um den ehemaligen Flughafen kam es erst seit Mitte der 80er-Jahre zu einem Bauboom in der bereits erschlossenen Gartenstadt. Nun wird Trudering von einer neuen Bauwelle überrollt. Trotz zahlreicher neuer Siedlungsgebiete im Stadtteil entstehe 25 bis 30 Prozent der Verdichtung durch Neubauten im Bestand, erklärt Hentschel, die diesen Abend gemeinsam mit Herbert Danner (Grüne) initiiert hat. Mit ihnen auf dem Podium sitzen Cornelius Mager, der Leiter der Lokalbaukommission im Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Andreas Dorsch vom Bündnis Gartenstadt München und Marc Wißmann vom Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München. Anhand aktueller Zahlen zeigt Hentschel zu Beginn das rasante Bevölkerungswachstum in Trudering und Riem auf. 2010 lebten 62.756 Menschen im Bezirk 15, 1987 circa 36.000. Vor dem Hintergrund dieser Zuwachszahlen und des Wachstums der Stadt München sei man nicht generell gegen Nachverdichtung, aber gegen unkontrollierte Verdichtung in der Truderinger Gartenstadt und im gesamten Stadtteil. Im Augenblick sei der Rahmen in Trudering überschritten. »Von Harmonie oder Einfügung der neuen Häuser in die bestehende Bebauung, wie es der Paragraph 34 im Baugesetzbuch fordert, ist vielerorts keine Rede mehr«, erklärte Hentschel. Auch die vorhandene Infrastruktur an Straßen und Schulen sei der hohen Zahl der neuen Bürger nicht gewachsen. Trudering und München verlören mit dem Schwinden der Gartenstadt eine grüne Lunge.

Seit vor neun Jahren die Gartenstadtsatzung als Regelwerk gekippt wurde, hat die Stadt München kein Instrumentarium oder Entwicklungspläne für ihre Gartenstädte aufgelegt. Die zahlreichen Vorschläge des BA 15 zur kleinteiligen Bebauung werden von der Stadt nicht aufgegriffen. Marc Wißmann stellte dieser unkontrollierten Entwicklung ein Konzept gegenüber, das die Gemeinde Neubiberg umsetzt. Hier hat man vor zwei Jahren ein Geoinformationssystem aufgebaut. Diese Datenbank enthält viele Informationen aus den bestehenden Bauanträgen von circa 2.500 Häusern. Die Details mussten durch Fachpersonal erfasst und eingepflegt werden. Damit hat Neubiberg nun ein umfassendes digitales Werkzeug zur Hand, um die vorhandenen Quartiere zu analysieren und festzulegen, wo sich ein Erhalt und Schutz gewachsener, grüner Wohnstrukturen noch lohnt. »Für Gebiete, die bereits zu heterogen sind, das heißt einer Veränderungsdynamik schon unterlagen, heute keine klare Baustruktur und kein Grünkonzept mehr ausweisen, lohnt sich kein besonderes Schutzkonzept mehr«, so Wißmann. »Stattdessen sollten Städte und Gemeinden sich auf noch homogene, erhaltenswerte Wohngebiete konzentrieren«. Im Augenblick setzt Neubiberg auf Basis des Geodatensystems, das bereits mit einem Preis ausgezeichnet wurde, ein erstes Bebauungskonzept um. Entscheidend dabei ist auch der Konsens mit den Bürgern, so Wißmann. »Das zeigt, dass für die Truderinger Gartenstadt die Zeit läuft«, so Hentschel. Denn das einst grüne Idyll werde zunehmend heterogener.

Der Wunsch nach besserer Nutzung

Viele Besitzer und Erbengemeinschaften wollten dort ihre Grundstücke unbedingt bebauen und strebten maximalen Profit und Regelbefreiungen an. »Die direkte Folge, mehr Autoverkehr, ist hinzunehmen«, so Cornelius Mager aus Sicht des Münchner Planungsreferats. Ebenso seien eine Hinterliegerbebauung und die Anzahl der Stellplätze nicht limitierend. »Wer heute am lautesten über Neubauten schreit, wohnt in der zweiten Reihe und hat selber von der Nachverdichtung profitiert«, so Mager. Wenn es jetzt ein neues Bebauungskonzept gäbe, würden alle klagen: »Warum ausgerechnet wir!« Seinem Referat seien auf Basis der geltenden Rechtsprechung ohnehin die Hände gebunden, weil das Baurecht umgesetzt werden müsse. Es ginge um eine Kanalisierung der Bautätigkeiten, nicht um ein Gartenstadt-Rettungskonzept. Genau hier sei die Politik und nicht die Verwaltung gefordert. Im Übrigen habe er von Trudering, dem Grün im Stadtteil und der Infrastruktur einen hervorragenden Eindruck. Bei einem Spaziergang hat er sich ein Bild von der aktuellen Entwicklung gemacht. Das sieht Herbert Danner, Planungssprecher des BA 15, anders. Er fordert keinen Status Quo, aber die großzügige Bebauung sei nicht mehr zeitgemäß. Man brauche grüne Zonen vor der Haustür, um eine hohe Wohn- und Lebensqualität langfristig zu gewährleisten. Die Stadt München interessiere sich erfolgreich für Großprojekte im Innenstadtbereich wie die Neugestaltung der Sendlinger Straße oder des Pschorr-Geländes und für Sanierungen. Ebenso gut werden Neubauprojekte mit öffentlichen Grünflächen wie in der Messestadt realisiert. Dagegen sind die Gartenstädte ohne Lobby und Priorität für die Politiker.

»Wir erleben heute eine unumkehrbare Verödung gewachsener Siedlungsstrukturen«, so Danner. »Leider hat München die Planungshoheit an die Bauträger abgegeben. Bald wird es in den Gartenstädten keine Grünflächen mehr geben und öffentliche Anlagen fehlen hier.« Ein aktuelles Bild in seiner Präsentation zeigt, dass der Aushub einer Baustelle auf öffentlichem Grund gelagert wird, weil das gesamte Grundstück bebaut wird und die Stadt alles erlaube. Absolut unverständlich für den Grünen. Seit 20 Jahren arbeite er für den Erhalt der Truderinger Gartenstadt, nun gehe es drunter und drüber. Allein im laufenden Jahr hat der BA bereits fünf Anträge dazu eingereicht. Heute werde nahezu jedes Grundstück komplett bebaut, die geforderten Ersatzpflanzungen auf Tiefgaragen könnten nie richtige Bäume werden. Die enge Bebauung trage dazu bei, dass viele junge Bäume unerlaubt frühzeitig beschnitten oder gefällt würden. Nur sehr selten haben Nachbarn und der BA Erfolg bei ihren Einsprüchen gegen Großbaustellen in der Gartenstadt. Ein positives Beispiel gab es in der Jagdhornstraße wo Nachbarn akribisch alle Zahlen zum Quartier, ähnlich den in Neubiberg verfügbaren Daten aus dem Geosystem, händisch aufgelistet und so das Planungsreferat gegen ein Bauvorhaben überzeugen können. Ähnlich sieht es Andreas Dorsch, der eine Bürgerinitiative Pro Gartenstädte für ganz München vertritt und bereits Mitstreiter aus Obermenzing, Ramersdorf, Harlaching und Trudering hat. Weder der Denkmalschutz noch der Baumschutz helfen gegen Bauvorhaben, führt er an einem Beispiel aus. »Die hohen Grundstückspreise verursachen eine schlechte Bauqualität, da die Bauherren anders kaum mehr Gewinne erzielen können. Die Stadt trägt durch ihre Konzeptlosigkeit dazu bei, dass schlechte Wohnungen und lieblose Architekturen entstehen.« Während die Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde frustriert seien, werden Grundstücke sehr schnell an den meist bietenden verkauft. Die Behörden können aus Personalmangel weder Wurzelzäune noch illegale Baumfällungen kontrollieren. »Ob man mag oder nicht, es helfe nur eine Bürgerwehr.« Initiativen wie die Perspektive München seien angesichts der akuten Probleme viel zu langsam. »Von der Weltstadt mit Herz bleibt bald nur noch die Stadt übrig.«

Unmut und viele Fragen

Die anwesenden Bürger und Betroffenen stellten ganze Fragenkataloge und machten ihrem Unmut Luft. »Am liebsten wäre mir eine Ausgemeindung nach Neubiberg«, so eine Waldperlacherin. »Da würde man unsere Interessen vertreten, den Münchnern sind wir Außenbezirkler wurst.« Man fürchtet sich vor amerikanischen Immobilienblasen, Anlegefonds und dem »Betongeld«, in das Reiche aus aller Welt aus Angst vor Inflationen investierten, weil München weiter wachse. Wie und ob ein Zusammenschluss von Grundstücksbesitzern einer kleinen Straße zu einem Bebauungsplan und Baustopp führen könnte, ließ Mager offen. Er glaubt nicht an Einigkeit unter benachbarten Eigentümern. Vehement wies er den Vorwurf zurück, dass private Häuslebauer gegenüber Bauträgern von seiner Behörde benachteiligt würden. Die Bauträger wüssten nur ihre Spielräume besser auszuschöpfen. Im Übrigen gebe es durch Ausgleichpflanzungen auch bereits sichtbare ökologische Erfolge in München. Im Einzelfall setze sich das Planungsreferat für Modifizierungen zum Erhalt von Teilbaumbeständen auf einem Grundstück ein. Ein System wie in Neubiberg sei für München wegen der Größe nicht umsetzbar. Damit es für die Gartenstädte nicht zu spät ist, bleibt nur eine Aktivierung des Stadtrats. bus

Artikel vom 23.05.2012
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