Bühnenstück klärt Poinger Schüler über Radikalismus auf

Poing · Theater gegen rechts

Die pädagogischen Mitarbeiter des Jugendzentrums Lars Hoffmann und Judith Gitay vor dem Casting-Raum in der Poinger Grund- und Mittelschule.	Foto: cs

Die pädagogischen Mitarbeiter des Jugendzentrums Lars Hoffmann und Judith Gitay vor dem Casting-Raum in der Poinger Grund- und Mittelschule. Foto: cs

Poing · Schüler im Alter zwischen 14 und 16 Jahren proben zur Zeit im Saal des Jugendzentrums Poing ein ungewöhnliches Theaterstück: »Acht.acht« klärt über die Gefahren von Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz auf.

Premiere für die Öffentlichkeit ist am Dienstag, 1. Mai, um 19 Uhr in der Turnhalle der »Seerosenschule«. Der Eintrittspreis von 5 Euro kommt dem Opferfond Rechte Gewalt »Cura« zugute. Am 2. Mai ist dann vormittags eine Aufführung für die Schüler der Grund- und Mittelschule, der Realschule und des Sonderpädagogischen Förderzentrums geplant. Für alle drei Schulen ist das pädagogische Theaterprojekt der Nürnberger Agentur »Kunstdünger« ein willkommener Anlass, das aktuelle Thema Rechtsradikalismus und Zivilcourage ausführlich im Unterricht zu behandeln.

Der Anstoß für das außergewöhnliche Vorhaben kam vom Jugendzentrum Poing. Aufmerksam gemacht durch einen Beitrag im Fernsehen habe man die Idee den Leitern der drei Poinger Schulen unterbreitet. »Bei denen rannten wir offene Türen ein«, berichten die pädagogischen Mitarbeiter im Juz, Judith Gitay und Lars Hoffmann. Das Jugendzentrum ist Veranstalter, Organisator und Kostenträger des Kooperationsprojektes, finanziell unterstützt vom Bayerischen Jugendring und vom landkreisweiten Aktionsbündnis »Bunt statt Braun«.

Zu sehen bekommen die Zuschauer einen »szenischen Tatsachenbericht« auf der Grundlage von Interviews Nürnberger Studenten mit Rechtsradikalen, Polizisten und Pädagogen. Dabei werden die subversiven Methoden entlarvt, mit denen Jugendliche in die Neonazi-Szene gelockt werden. »Da gibt es Freibier und attraktive Veranstaltungen wie Fußball oder Boxen«, weiß Gitay. »Das Publikum erlebt, wie geschickt die rechten Verführer dabei vorgehen.« Das Drehbuch hat der Theaterpädagoge Jean François Drozak geschrieben, der auch Regie führt. Beinahe so wichtig wie die Aufführung selbst sei die Nachbesprechung, bei der die Zuschauer diskutieren und Fragen stellen können.

Dargestellt werden die Szenen von acht Schülern der Poinger Schulen, vier Buben und vier Mädchen, die vergangene Woche bei einem Casting in Raum 2.02 der Grund- und Mittelschule ausgewählt wurden. Dabei sollten Jugendliche aller drei Schulgattungen zum Zuge kommen. Insgesamt hatten sich 50 Siebt- bis Zehnklässler als Nachwuchs-Mimen beworben. Die Bewerber wurden von dem Lehrerehepaar Amrei und Hanns-Karl Zwinscher auf Herz und Nieren geprüft. »Das Theaterstück wird diese acht Darsteller bleibend verändern«, prophezeien die ehrenamtlichen Mitarbeiter von Regisseur Drozak. »Habt Ihr schon einmal Kontakt zur rechtsradikalen Szene gehabt?«, wollten sie wissen.

Und: »Welche Vorzüge hast Du, damit wir Dich nehmen sollen?« Ein 16-Jähriger (die Namen der Schüler sollen zu deren Schutz nicht in der Zeitung genannt werden) aus der neunten Klasse berichtete, er habe »relativ viele Freunde in der rechten Szene« und bekomme »ganz gut mit, was mit denen los ist«, und seine Klassenkameradin erzählte, ihr Bruder sei »von den Glatzköpfen schon mal zusammengeschlagen« worden. Die meisten kannten Neonazis allerdings nur vom Hörensagen. Sie wollten in erster Linie mitmachen, »um Bühnenerfahrung zu sammeln« oder »zur Hebung des Selbstbewusstseins« und »weil es Spaß macht, in andere Rollen zu schlüpfen«. Ein ganz Gewiefter rechnete sich aus, »dass das im Zeugnis steht. Das kommt bei einem Bewerbungsgespräch bestimmt gut an«. »Ich möchte in so einem Stück mitspielen, weil die Lehrer mir das nicht zutrauen«, antwortete ein 16-jähriger Schüler mit Wurzeln im Ausland.

Nach Auskunft von JUZ-Mitarbeiterin Gitay haben rund zwölf Prozent der 14.500 Poinger Bürger einen ausländischen Pass: »Hier leben und arbeiten Menschen verschiedenster Nationalitäten und kultureller Hintergründe neben- und miteinander.« Nennenswerte rechtsradikale Tendenzen seien zum Glück bislang Fehlanzeige. »Es geht bei dem Projekt ja auch nicht um ein Patentrezept gegen Rechtsradikalismus, sondern um die Erziehung zu selbstbewussten und demokratischen Persönlichkeiten, die gern in einer heterogenen und bunten Gesellschaft leben.«

Schulen begrüßen das Projekt

Das ist auch das Anliegen der Lehrer in den Schulen an der Seerosenstraße. »Das Theaterstück ist ganz wichtig für unsere Schüler und für alle ein schönes Erlebnis«, sagt Grund- und Mittelschul-Pädagogin Silvia Balogh. Sie wolle die Gefahr auch in Poing nicht unterschätzen und habe bei einzelnen Schülern durchaus einen Hang zum Rechtsextremismus entdeckt. In der achten und neunten Kasse bereitet sie das Thema unter anderem mit Hilfe von Comics auf. Eine »ganz tolle Sache« ist das Präventionstheater auch für Realschul-Lehrer Niklas Fischer. In seinem Geschichtsunterricht geht es zur Zeit um Themen wie »Was ist Rassismus?« und »Was bedeutet Zivilcourage?«. Anhand eines Videofilms lernen die Siebtklässler etwa, wie man sich richtig verhält, wenn ein Farbiger in der U-Bahn angepöbelt wird.

Ein »Anti-Gewalt-Training« mit der Polizei steht kommende Woche in der »Seerosenschule« auf dem Lehrplan, berichtet Rektor Jörn Bülck. Ein Achtklässler aus seiner Schule spiele außerdem bei der 45-minütigen Aufführung mit und werde seinen Mitschülern über seine Erfahrungen berichten. Das Werben um Toleranz sei gerade bei den Schülern des Sonderpädagogischen Förderzentrums stets präsent. Sie müssten schließlich besonders darum kämpfen, von der Gesellschaft nicht ausgegrenzt zu werden. C. Schmohl

Artikel vom 24.04.2012
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