Hier wird etwas gegen bedrückende Armut getan

Giesing/Neuperlach · Der Bedarf wächst

Das Team der Münchner Tafel gehört zu den aktiven Helfern, die sich aktiv gegen die Armut in ihrem Stadtviertel einsetzen. 	Foto: Privat

Das Team der Münchner Tafel gehört zu den aktiven Helfern, die sich aktiv gegen die Armut in ihrem Stadtviertel einsetzen. Foto: Privat

Giesing/Neuperlach · Walburga Fischer, Leiterin des ASZ Obergiesing, klappt den Ordner mit den Beratungsunterlagen für 2011 zu. Er ist wieder einmal ein ganzes Stück dicker als der aus dem Vorjahr.

Statt 1.400 Sozialberatungen wie im Jahr 2010 haben vergangenes Jahr rund 1.800 Gespräche mit Betroffenen stattgefunden. »Bei den Anträgen, die wir für Stiftungsmittel stellen, handelt es sich oft um ganz einfache Dinge für den Alltag, neue Bettwäsche zum Beispiel oder ein Paar Schuhe oder einen Wintermantel«, weiß Walburga Fischer zu berichten.

Ein unerfreulicher Trend spiegelt sich in den nackten Zahlen wider, denn das Thema Armut nimmt auch in Giesing an Brisanz zu, denn die Zahl an Menschen, die auf staatliche Hilfeleistungen in Form von beispielsweise Grundsicherung oder Arbeitslosengeld II angewiesen sind, steigt. Ein Umstand, den auch Regsammitarbeiter Dr. Basilios Mylonas nur bestätigen kann. Gemeinsam mit anderen Mitstreitern hat er vor allem Einrichtungen in Giesing und Harlaching untersucht und dabei festgestellt, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich vor allem für Alleinerziehende, kinderreiche Familien und alte Menschen wieder ein Stück mehr geöffnet hat. Wichtig sei es, das Thema zu enttabuisieren und die Probleme deutlich beim Namen zu nennen, erklärt Mylonas auf Nachfrage. Stattdessen würden sich aber Betroffene häufig aus dem öffentlichen Leben zurückziehen, um sich nicht »outen« zu müssen. Isolation sei die Folge, bei Kindern würde sich der Mangel an Möglichkeiten auch häufig durch Aggression ausdrücken, erklärt der Fachmann. Einen ganzen Maßnahmenkatalog haben die Beteiligten zusammengestellt, wie man die schlimmste Not vor Ort lindern kann. Dazu gehören unter anderem die Forderung nach Gratisessen an Ganztagsschulen, kostenloses Schulmaterial sowie mehr kostenfreie Veranstaltungen im kulturellen Bereich für Kinder wie Erwachsene.

Der steigenden Zahl an Bedürftigen steht aber auch eine Bereitschaft in der Gesellschaft gegenüber, sich vermehrt für sozial Schwache zu engagieren. So gibt es private Initiativen wie die Münchner Essenshilfe e. V. von Horst Schaefer, der dreimal in der Woche (montags, mittwochs und samstags) Essen an Bedürftige in der Weißenseestraße 38 ausgibt. Dieses holt der 74-Jährige zuvor bei verschiedenen Großhändlern ab. Ein echter Knochenjob, wie Schaefer bestätigt, wollen doch die zahlreichen Kisten und Steigen beim Einsammeln und später beim Austeilen aus- und wieder eingeladen werden. »Ich habe in meiner Kindheit selber erfahren, was es heißt Hunger zu haben«, erklärt Schaefer sein Engagement. Solidarität gibt es hier auch aus der direkten Nachbarschaft, denn aus der Kleingartenanlage in Giesing kommen im Sommer häufig eifrige Hobbygärtner und bringen überzähliges Obst oder selbstgekochte Marmelade. Zwischen 50 und 100 Leute kommen zu den Ausgaben, teilt Schaefer mit. Da er selber schon in Rente ist, würde er sich über tatkräftige Hilfe freuen, perfekt wäre es, wenn Interessenten auch Transportererfahrung mitbringen würden. Wer helfen möchte, oder wissen will, wie er seine eigene Bedürftigkeit nachweisen kann, erreicht ihn unter Tel. 6 25 96 51.

Matthias von Miller, der die Ausgabestellen in Neuperlach und in Giesing für die Münchner Tafel betreut, bestätigt die Erkenntnis, dass das Thema Armut zunimmt. »Wir haben in Neuperlach mit rund 80 Ausweisen vor rund zehn Jahren angefangen, heute sind es rund 400 Ausweise. Da unsere Kapazitäten begrenzt sind, können in Neuperlach die Bedürftigen nur alle 14 Tage zur Ausgabe kommen, während wir die 180 Bezieher in Giesing jede Woche mit Ware beliefern können«, erklärt von Miller. Insgesamt versorgt die Münchner Tafel münchenweit rund 18.000 Bürger, erklärt der langjährige Tafel-Mitstreiter nicht ohne Stolz. In Neuperlach werden dafür wöchentlich rund 2,5 Tonnen Lebensmittel bewegt, in Giesing sind es stolze 1,8 Tonnen. »Wer einmal 500 Kilo Kartoffeln in einen Transporter ein- und wieder ausgeladen hat, der braucht an diesem Tag kein Fitnessstudio mehr«, scherzt von Miller. Auch die Tafel freut sich ständig über Spender und Helfer, denn die Arbeit vor Ort ist Knochenarbeit. Neben Muskelkraft beschert sie aber vor allem viel Freude bei den Helfern, bestätigen sowohl Schaefer als auch von Miller. »Wenn man sieht, wie froh und glücklich die Menschen sind, wenn sie mit ihren vollen Taschen wieder nach Hause gehen, dann ist man reich belohnt«, erklärt von Miller.

Wer hier helfen will oder selber Hilfe braucht, bekommt bei der Tafel unter Telefon 29 22 50 alle nötigen Informationen. Schämen braucht sich indes niemand, nur weil er arm ist, betont Basilios Mylonas, denn als Mensch in schwierigen finanziellen Verhältnissen stellt man in München schon lange kein Einzelschicksal mehr da. hw

Artikel vom 17.01.2012
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