Weihnachten hinter Gittern: Wie in der JVA gefeiert wird

München/Giesing · Kerzenzauber aus Margarine

Felix Walter (links) und Hermann Wals (rechts) im Innenhof der JVA: „Die Brandspuren an den Fenstern kommen wahrscheinlich von selbst gebastelten Kerzen", sagt Walter. Foto: js

Felix Walter (links) und Hermann Wals (rechts) im Innenhof der JVA: „Die Brandspuren an den Fenstern kommen wahrscheinlich von selbst gebastelten Kerzen", sagt Walter. Foto: js

München/Giesing · Während die meisten Menschen Weihnachten mit ihren Lieben unterm Baum verbringen, ist der Heilige Abend für die aktuell 1.365 Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Stadelheim (JVA) fast ein ganz normaler Tag.

„Um diese Zeit wird es immer ganz leise bei uns“, sagt der evangelische Gefängnisseelsorger Felix Walter. Gerade an den Feiertagen empfänden viele Inhaftierte die Trennung von der Familie als besonders schmerzhaft. Ganz verzichten müssen die Insassen auf weihnachtliche Stimmung jedoch nicht. Allerdings findet der große Gottesdienst in der JVA traditionsgemäß am 23. Dezember statt. Zu diesem Anlass geben alljährlich der Tölzer Knabenchor in der Kirche der Haftanstalt ein Konzert. An Heiligabend hingegen gibt es keine besonderen Veranstaltungen. Grund dafür sei unter anderem Personalmangel, erklärt Hermann Wals, der für die Mitarbeiter der JVA zuständig ist: „Die Bediensteten wollen an diesem Tag bei ihren Familien sein.“

Von den Gefangenen werde dieser besondere Ablauf unterschiedlich aufgenommen, berichtet Walter. Manche seien von der großen Feier begeistert: „Andere würden sich dagegen lieber eine Veranstaltung an Heiligabend wünschen, auch wenn diese etwas kleiner ausfallen würde.“ Freuen können sich die Inhaftierten allerdings auf einen kleinen kulinarischen Genuss. Eine Weihnachtsgans wird zwar nicht serviert. Aber am 24. Dezember gibt es das laut Wals „allseits beliebte Brathähnchen“ mit Kartoffelsalat, als Vorspeise wird eine Spargelcremesuppe gereicht. Dies sei „ein bisschen etwas Besonderes“. Am ersten Feiertag stehen Grießsuppe und anschließend Boeuf a la mode mit Semmelknödel und Salat und am 26. Dezember Putenspieß mit Reis und Salat auf dem Speiseplan. Walter räumt jedoch ein: „Insgesamt schmeckt das Essen hier nicht sehr gut, viele Gefangene klagen.“

Verzichten müssen die Inhaftierten zudem seit drei Jahren auf die selbstgebackenen Plätzchen ihrer Angehörigen. Nahrungsmittel in die Anstalt mitzubringen sei inzwischen aus Sicherheitsgründen nicht mehr gestattet, sagt Wals. Allerdings könnten sich die Insassen im Supermarkt der JVA eindecken. Dort gebe es zur Weihnachtszeit auch das „ganz normale Sortiment an Lebkuchen, Stollen und Plätzchen“. Nicht erhältlich seien aber Adventskalender mit Schokolade, da die Türchen unter Umständen als Versteck für Drogen missbraucht werden könnten. Auch Kerzen sind nicht im Angebot. Diese sind im Gefängnis nämlich aus Gründen des Brandschutzes verboten. Allerdings werde diese Vorschrift gerade zur Weihnachtszeit immer wieder umgangen, verrät Walter: „Die Insassen basteln sich welche aus Margarine und einem Docht aus Pappe, das riecht fürchterlich.“ Auch aus der Kirche würden regelmäßig Kerzen entwendet und auf die Zellen mitgenommen. Erlaubt sei das natürlich nicht. Ganz ohne weihnachtliche Dekoration müssen die Inhaftierten aber nicht auskommen. In den Eingangsbereichen vor den Zellen stehen kleine Christbäume und Figuren der Heiligen Familie. Außerdem könne man auch selbst Hand anlegen und in Arbeitsgruppen Weihnachtsschmuck herstellen: „Die Krippe vor meinem Büro haben Gefangene gebastelt.“

Am meisten setze den Insassen jedoch zu, an Heiligabend nicht bei ihren Familien sein zu können: „Das bohrt in die Wunde.“ Sonderbesuchszeiten gebe es an Weihnachten nicht, sagt Wals. Deshalb sei der Andrang vor den Feiertagen meistens groß. Problematisch sei, dass die Weihnachtspost der Angehörigen häufig nicht rechtzeitig ankomme: „Bei denjenigen, die hier in Untersuchungshaft sind, muss alles gelesen werden, das kann dauern.“ Die Familienmitglieder wüssten dies oft nicht, daher werde die Post zu spät abgeschickt.

Auf all diese Einschränkungen reagieren manche Gefangenen oft mit Rückzug. „Einige wollen in Ruhe gelassen und gar nicht daran erinnert werden, dass Weihnachten ist“, hat Wals beobachtet. Ähnliches hat auch Walter festgestellt. Allerdings biete gerade diese Stille eine Gelegenheit, das Weihnachtsfest besonders intensiv zu erleben: „Es geht nicht um Konsum und eine große Feier.“ Vielmehr sei Jesus in Abgeschiedenheit in einem Stall geboren worden. Von manchen Insassen habe er sogar schon gehört, dass sie den Sinn von Weihnachten eigentlich erst im Gefängnis richtig verstanden hätten: „Es gibt ganz unterschiedliche Arten, mit der Situation umzugehen.“ Aufgefallen sei ihm jedoch, dass es in der Anstalt an Weihnachten deutlich weniger Aggressionen gebe als sonst: „Das kommt erst an Silvester wieder.“ Von Julia Stark

Artikel vom 22.12.2011
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