Albrecht Ackerland über Weihnachtswahnsinn

München · Da schau her! Weihnachtswahnsinn

Ginge es nach Helmut Schmidt, ich müsste zum Arzt. Denn ich hatte eine Vision. Ich kam zu einer Weihnachtseinladung ohne ein einziges Geschenk. Das Schönste an dem Traum war: Er fühlte sich ganz und gar nicht nach Panik an.

Ginge es nach Helmut Schmidt, ich müsste zum Arzt. Denn ich hatte eine Vision. Ich kam zu einer Weihnachtseinladung ohne ein einziges Geschenk. Das Schönste an dem Traum war: Er fühlte sich ganz und gar nicht nach Panik an.

Und das kam so: Ich war am Heiligabend beim Bruder eingeladen, Verwandtschaft, Kinder, das volle Programm. Für jeden hatte ich ein Geschenk besorgt, so wie sich das gehört. Ich hatte mir tage- und wochenlang Gedanken gemacht, was ich wem schenke. Bin in die Stadt gerannt. Habe über das Internet bestellt bis die Leitungen glühten und ich mit dem Paketboten mittlerweile beim Duzen war. Schwer beladen stieg ich in die U-Bahn. Ich hatte jedes einzelne Pakete eingewickelt, alle zusammen übereinandergestapelt und auf eine Sackkarre gespannt. Es war ein wirklich weihnachtlicher Auftritt in der Bahn am 24. Dezember um Sechs am Abend. Hätte ich einen glitzernden Haarreif getragen und mir Flügel aus Tüll umgeschnallt, ich wäre astrein als Christkindl durchgegangen. Aber mit meiner roten Mütze hatte ich zumindest etwas von Weihnachtsmann. Den kann ich zwar nicht leiden, aber man kann nicht immer alles haben.

So dasitzend kam ich ins Gespräch mit einem Mann. Die U-Bahn war erstaunlich voll dafür, dass um diese Uhrzeit die gesamte Münchner Menschheit unter ihren Christbäumen versammelt sein sollte. Der Mann, so erzählte er, war sehr lange verreist und erst in der vergangenen Woche zurückgekehrt. Ich verstand. Es gesellte sich eine alte Frau dazu und ein Mädel, etwa sechzehn, das sich fürchterlich mit den Eltern gestritten hatte, und jetzt lieber U-Bahn fuhr als zu bescheren. Die alte Frau machte auch nicht gerade den Eindruck als sei sie besonders zielstrebig. Wir unterhielten uns über Weihnachten und all die Zwänge, die einem das Fest so auferlegt. Dann musste ich aussteigen.

Ich ließ meine Sackkarre stehen, huschte zur Tür, rief in den Waggon „Für euch, verteilt es, frohe Weihnachten!“. Die Türen schlossen, die Bahn fuhr ab, ich sah noch ein paar sehr verwunderte Gesichter. Und ein Glitzern in den Augen. Plötzlich hatte ich ein Gefühl von Weihnachten, wie ich es zuletzt als kleines Kind bei der Bescherung hatte.

Artikel vom 21.12.2011
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