Jugendliche können im Chor in der Kreuzkirche singen

Schwabing · Harte Beats tabu

Franz Brandl (l.) und Horst Fleck wollen Jugendliche fürs Singen begeistern. Seit Mitte November gibt es daher den »Jungen Chor Schwabing«.	Foto: scy

Franz Brandl (l.) und Horst Fleck wollen Jugendliche fürs Singen begeistern. Seit Mitte November gibt es daher den »Jungen Chor Schwabing«. Foto: scy

Schwabing · Berufswunsch: Superstar. Die zigfachen TV-Casting-Shows haben einen Virus ausgelöst, von dem Tausende Jugendliche befallen sind: Sie wollen singen und damit möglichst reich werden. Doch solche Flausen werden den meisten schnell wieder ausgetrieben.

Denn Singen ist nur äußerst selten eine Angelegenheit, die man mal eben so beherrscht. Wer sich in dieser Sache hervortun will, der muss seine Stimme von Anfang an professionell schulen lassen. Die Chance dazu haben seit Mitte November interessierte Mädchen und Jungen – in der Kreuzkirche ging der »Junge Chor Schwabing« an den Start. Leiter ist Stimmforscher Franz Brandl. Und der sagt: »Wer singt, hat mehr vom Leben. Auch zum Aufbau eines gesunden Selbstbewusstseins liefert beispielsweise ein klangvolles Stimmorgan einen wesentlichen Beitrag.«

Für ihn hat sich gerade jetzt die Vorweihnachtszeit angeboten, um den Chor ins Leben zu rufen. Schließlich werde viel gesungen, je näher die Feiertage rücken. Außerdem findet am Mittwoch, 14. Dezember, von 18.00 bis 19.30 Uhr das zweite Schwabinger Weihnachtssingen in der Erlöserkirche an der Ungererstraße statt, mit Solisten des Münchner Madrigalchors, Schulklassen der Haimhauser Schule und weiterer Schwabinger Schulen.

Der Professor, auch das spricht für seinen Anspruch, fühlt sich ganz einer alten Tradition verpflichtet. Und das heißt: nichts da mit 08/15-Songs von Lady Gaga und Britney Spears. Mit seinen jungen Sängern studiert Brandl stattdessen altes deutsches Volksliedgut ein, darunter Kompositionen von Bach, Mozart, Mendelssohn, Schubert und Haydn. Zwischengefragt: Kann das den Nachwuchs von heute wirklich noch begeistern? »Na, und ob«, sagt der Diplomphysiker und Dirigent. »Man glaubt immer, die Kinder wollen nur in Englisch singen.« Doch das stimme nicht. Besonders an den Grundschulen seien die Kinder froh, wenn die Lieder auf Deutsch gesungen werden. Noch entscheidender aber sei die Melodie. »Die Kinder reagieren ganz spontan auf die Musik. Sie mögen sie gerne, weil sie so schön harmonisch ist.« Und nebenbei sei es auch ein Stück Heimat.

Das mag altmodisch klingen, vielleicht auch ungewohnt idyllisch, besonders in Zeiten, da Teenager sich via Ohrstöpsel von harten Beats zudröhnen lassen, doch der Erfolg gibt Brandl Recht. Seit über zehn Jahren unterrichtet er das Fach Singen an Grundschulen. »Die jungen Menschen haben eine große Sehnsucht nach Musik, die auch der Seele gut tut«, berichtet er. Leider aber, so seine Erfahrung, könnten viele Lehrer die Freude an der Musik überhaupt nicht mehr vermitteln, Schüler würden sich im Musikunterricht langweilen. »Vor etwa 30 Jahren ging es los, da stürzte der Musikunterricht in unseren Schulen ab«, so Brandl. Inzwischen könnten viele Musiklehrer weder singen, noch würden sie ein Instrument beherrschen. »Es wird nicht musiziert, sondern stur Theorie gepaukt.«

Auch Horst Fleck vom Vorstand des Amadeus-Instituts, das sich um die Aus- und Weiterbildung in Sachen Musik für Studenten und Lehrer kümmert und an das der Chor angebunden ist, zeigt sich alarmiert: »Es wird nur noch im Kopf gearbeitet. Der Bezug zur eigenen Stimme geht völlig verloren.« Eltern sollten deshalb nervös werden. »Ich bin selbst Vater und empöre mich seit Jahrzehnten«, ­fordert Fleck. »Wir müssen dringend etwas tun.« Chorstunden, wie sie Franz Brandl leitet, sieht er als »unbedingte Notwendigkeit.« Brandl hat mit Hilfe von Stimmanalysen und durch Unterricht jahrelang mehr als 100 Gesangstudenten auf ihren Beruf vorbereitet. Unter anderem experimentierte er auch mit Kammersängern von der Staatsoper, um seine professionelle Technik weiterzuentwickeln, die er inzwischen für Kinderstimmen umgearbeitet hat. So gelingt es ihm, auch größeren Kindergruppen Techniken des Sologesangs zu vermitteln, und zwar richtig. »Der fehlerhafte Umgang mit der Kinderstimme resultiert daraus, dass Kindern häufig die tiefe Lage aufgezwungen wird«, sagt der Musikexperte.

Um Einblick in seine Arbeit zu geben, bietet Brandl Studenten für das Lehramt die Möglichkeit zu Hospitieren. »Ich erreiche die Kinder nicht durch lange Erklärungen, sondern ich arbeite mit der Mimik«, so Brandl. Über entsprechende Mundöffnungen und Lippenstellungen etwa können bestimmte Töne erreicht werden. »Wenn ich im Fernsehen einen Opernsänger sehe, stelle ich manchmal den Ton ab. Ich kann anhand seiner Mimik sofort sehen, ob er singen kann oder nicht«, verrät der Musiker. Übrigens: Auch im Beruf bringt Stimmschulung Vorteile. Gerade auch für Chefpositionen sei neben fachlichen Qualitäten ein tragfähiges Stimmorgan eine gute Voraussetzung, sagt Brandl. Am einfachsten und am besten erreiche man eine geschulte Sprechstimme durch regelmäßigen Solounterricht und auch durch das Stimm­training im Chorgesang. »Somit ist Singen unter Anleitung durch einen Fachmann eine ideale Ergänzung zu unserer Schulbildung«, sagt Fleck.

Jeder, der Interesse hat, ist im »Jungen Chor Schwabing« willkommen. Bevorzugtes Alter für die Choristen: neun bis 17 Jahre, Männerstimmen ab der Mutation, das heißt ab dem Stimmwechsel in der Pubertät bis 19 Jahre. Die Jahresgebühr beträgt 50 Euro. »Wenn sich das einer nicht leisten kann, dann mache ich natürlich Ausnahmen. Am Geld soll es nicht scheitern«, verspricht Brandl. Es sei ihm selbst die größte Freude, wenn junge Menschen ihre Stimme optimal nutzen. »Wird der gesamte Umfang fortwährend trainiert, verfügt die Stimme auch im Liedumfang über die optimale Kraft und Klangschönheit.«. Und wenn man ihm so zuhört, lässt man sich, und das geht gar nicht anders, von seiner immensen Begeisterung sofort anstecken. Die Chorstunden finden montags von 17.30 bis 18.30 Uhr im Albert-Lempp-Saal der Kreuzkirche, Hiltenspergerstraße 55, statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Fragen unter dr.brandl@grossstadt.net oder unter Tel. 88 34 62 gestellt werden.

Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 29.11.2011
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