„Herausforderung Gesundheit“: Wissenschaftstage starten

München · Bei Alkohol sind alle gleich

Für Jugendliche ab 14 Jahren sind die Wissenschaftstage geeignet, für Jüngere gibt es ein spezielles Kinderprogramm. Foto: VA

Für Jugendliche ab 14 Jahren sind die Wissenschaftstage geeignet, für Jüngere gibt es ein spezielles Kinderprogramm. Foto: VA

München · Es braucht halt bei den meisten von uns einen Kick, um endlich etwas zu ändern und seinen inneren Schweinehund zu überwinden. Manchmal kommt der Anstoß dazu auch bei der Arbeit. So wie bei Dr. Frank Holl.

Der ist Leiter der Münchner Wissenschaftstage, die dieses Jahr zum elften Mal stattfinden, ab diesem Samstag, 22. Oktober bis 25. Oktober, zum Thema „Herausforderung Gesundheit“. Damit hat sich Holl ein Jahr lang beschäftigt, solange dauert die Vorbereitung der unter Deutschlands Großstädten einmaligen Veranstaltung mit jährlich 250.000 Besuchern. Resultat: Zehn Kilo weniger. Nicht etwa wegen Stress, sondern durch mehr Sport und gesunde Ernährung, zum Beispiel jeden Morgen Müsli. Auch seinen Fleischkonsum hat Holl „stark zurückgefahren“. Nach der Lektüre des Bestsellers „Anständig essen. Ein Selbstversuch“ von Karin Duve, die ein Jahr lang jeweils zwei Monate verschiedene Ernährungsweisen ausprobierte und recherchierte im Bioladen, bei Landwirtschaftsministern, Jägern oder Massentierhaltungsbetrieben.

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Am Sonntag, 23. Oktober, ist Duve bei den Wissenschaftstagen zu Gast, im Rahmen der Veranstaltung „Bewegung, Ernährung und Lebensstil“, ab 19.30 Uhr, in der Großen Aula der LMU. Das Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität München am Geschwister-Scholl-Platz (Haltestelle Universität) ist zentraler Veranstaltungsort am Samstag und Sonntag, 22. und 23. Oktober, ab 10 Uhr bis abends. Ganztägig findet im Audimax ein Vortragsprogramm statt. Dort erklärt am Sonntag, 13 Uhr, Prof. Dr. Christian Janßen von der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München die Frage „Warum müssen arme Menschen früher sterben?“ – und zwar im Schnitt etwa zehn Jahre früher. „Würde der bayerische Gesundheitsbericht nicht wie bisher nur nach Alter, Frauen und Männern unterscheiden, sondern auch nach sozialem Status, würde sich zeigen: Die Gesundheit ist auch in Bayern sozial ungleich verteilt.“

Dabei ist der Medizinsoziologe, der seit über 15 Jahren den Zusammenhang zwischen Bildung, Beruf, Einkommen und Gesundheit erforscht, überzeugt: „Unser Versorgungssystem ist eines der sozial gerechtesten der Welt: Haben Sie plötzlich einen Herzfehler, bekommen Sie am nächsten Tag eine Herzklappe, ob gesetzlich oder privat versichert.“ Für Janßen, dessen Vater Maurermeister war und der sein Studium allein durch Bafög-Unterstützung absolvieren konnte, wie er erzählt, gibt es keine Zweiklassenmedizin: „Privatversicherte werden nicht besser, sondern teurer versorgt. Die Unterschiede liegen nicht im medizinischen Versorgungs-, sondern vor allem im Service-Bereich.“

Der soziale Nachteil in der Lebenserwartung entstehe nicht in der Praxis oder Klinik, sondern vor allem in der Vorsorge. Kinder aus sozial benachteiligten Familien seien weniger geimpft, die Erwachsenen gingen seltener zu den Gesundheits-Check-ups. Broschüren und Infocenter erreichen die Leute, die am meisten betroffen sind, oft nicht, sagt Janßen. „Auf der anderen Seite macht es keinen Sinn, den Opfern auch noch die Schuld zu geben. Ich bin deshalb für eine sozial aufsuchende Prävention.“ Sein Ziel sei, das Thema Gesundheit im Studiengang Soziale Arbeit zu etablieren. „Ich finde, jeder muss eine faire Chance auf gesundes Leben haben, auch mit schlechteren Startbedingungen – was er oder sie daraus macht, ist dann ja was anderes.“ Und mit das Wichtigste, um einen guten Beruf zu erlernen und auszuüben, sei - neben einer guten Ausbildung – eben die Gesundheit.

Auch vier der fünf krankheitsbezogenen Risikofaktoren (Über-)G-ewicht, R-auchen, A-lkohol, (zu wenig) B-ewegung und (falsche) E-rnährung, kurz GRABE, die laut Weltgesundheitsorganisation 70 bis 80 Prozent schuld seien an Krankheit und „vorzeitigem“ Tod, sind eher bei der sozial niedriger gestellten Bevölkerung zu finden, berichtet der Professor. „Nur das Alkoholproblem ist – in der Menge – etwa sozial gleich verteilt.“

Trotzdem wehrt sich Janßen gegen einen immer mehr um sich greifenden Gesundheitswahn, bei dem nur noch erlaubt ist, was gesund ist: „So etwas wie das Rauchverbot in Gaststätten ist für mich ungefähr die Grenze, wie weit der Staat in die Privatsphäre eingreifen darf. Wir brauchen eine ausgewogene Mischung von allem, in allem und bei allem.“ Das könnte auch für das deutsche Gesundheitssystem gelten. „In der Lebenserwartung sind wir Mittelfeld, aber Spitze, was die Ausgaben für Gesundheit angeht, neben den USA und der Schweiz“, sagt Janßen.

„Ist unsere gesundheitliche Versorgung zu teuer“ lautet auch das Thema einer Diskussion diesen Samstag, 22. Oktober, 19.30 Uhr, in der Großen Aula der LMU mit Vertretern der Ärzte, Krankenkassen, Patienten und Pharmakonzerne. Die Krankenkassen sieht Janßen, der an diesem Abend nicht auf dem Podium sitzt, nicht als alleinigen „Spielverderber“. Ursache der „Kostenexplosion“ seien auch die einflussreiche Pharmalobby und die Ärztegehälter - zumindest im niedergelassenen Bereich. Das Problem aus Sicht von Janßen: „Die hohen Ausgaben im Gesundheitssystem kommen nicht richtig bei den Patienten an.“ Von Michaela Schmid

Artikel vom 20.10.2011
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