Jugendgewalt an Münchner Schulen und im Netz

München ·„Hey, du Opfer!“

Lea (Mitte) und Luisa nahmen stellvertretend für ihre Klasse den Hauptpreis von  Polizeivizepräsident Robert Kopp entgegen. Foto: ms

Lea (Mitte) und Luisa nahmen stellvertretend für ihre Klasse den Hauptpreis von Polizeivizepräsident Robert Kopp entgegen. Foto: ms

München · „Die Dauer ist der Unterschied zu früher: Tag für Tag, über ein bis zwei Schuljahre, das hat sich verändert“, erklärt Frank Schallenberg, der seit zehn Jahren einmal monatlich die Mobbing-Beratung im Jugendinformationszentrum (JIZ) München durchführt.

Der Sozialpädagoge und die Münchner Polizei sind sich einig: Es ist auch an der Isar längst kein Einzelphänomen mehr, dass Schüler ihre Klassenkameraden in einer Art und Weise schikanieren, die man dann auf Englisch „Mobbing“ nennt. Die Kinder, Opfer wie Täter, werden dabei immer jünger: 80 Prozent der Opfer sind heute zwischen 8 und 13 Jahre alt, der Rest jünger, weiß Schallenberg aus seinen etwa 300 JIZ-Beratungen im Jahr. Die Hänseleien und Beleidigungen finden aber nicht mehr nur im Klassenzimmer und auf dem Schulhof statt, sondern verlagern sich immer mehr ins Internet. Zwölf Prozent der befragten Internet-Nutzer, die in mindestens einem Sozialen Netzwerk aktiv sind, waren bereits Opfer von Mobbing und sexueller Belästigung, so die Polizei.

„Für 25 Prozent der jungen Menschen stellt „Cybermobbing“ laut JIM (Jugend, Information, Multi-Media)-Studie 2010 zur Mediennutzung von 12- bis 19-Jährigen ein Problem dar“, erzählt Gottfried Schlicht von der Pressestelle der Münchner Polizei. „15 Prozent berichten sogar davon, dass von ihnen schon einmal peinliche Bilder oder Videos im Internet verbreitet wurden.“ Insbesondere an Schulen trete das Problem häufig zu Tage. „Das liegt vor allem daran, dass junge Menschen verstärkt über Soziale Netzwerke wie Facebook kommunizieren. Laut der JIM-Studie suchen 71 Prozent der 12- bis 19-Jährigen mindestens mehrmals pro Woche solche Plattformen im Internet auf. Schulklassen oder ganze Schulen sind auf diese Weise miteinander vernetzt.

Und das kann unangenehme Folgen haben. So wie in „Nur Alltag oder ein Verbrechen?“ der 7b des Förderzentrums Hören, Musenbergstraße 32. Der Antigewaltfilm zeigt, zugespitzt, aber doch nah an der Realität, wie Lukas, der zunächst sturzbetrunken und mit nasser Hose im Gras liegt, durch ein Foto davon im Internet ohne sein Wissen bloßgestellt wird und dann in der Schule mit „Pisser-Alarm!“ und „Hey, du Opfer!“ begrüßt wird. Bei einer folgenden Schlägerei verschwimmen dann die Grenzen zwischen Täter, Mittäter und Opfer. Am Ende werden die rechtlichen Folgen für alle Beteiligten aufgezeigt und der Zuschauer direkt angesprochen: „Und Du? Mach‘s besser. Jetzt!“ „Die Ideen dazu kamen komplett von den Schülern“, erzählen die verantwortlichen Lehrerinnen Julia Thomas und Daniela Schinkinger. „Es gab aber an unserer Schule schon einen Fall von Cybermobbing, aber nicht in dieser Klasse.“ Für das in sechs Schulstunden in Szene gesetzte Video wurde die 7b jetzt beim ersten Präventionspreis der Münchner Polizei und des Münchner Sicherheitsforums e.V. mit dem ersten Preis, einem Scheck über 1.000 Euro für die Klassenkasse, ausgezeichnet. „Der Film ist im Moment noch nicht öffentlich“, so Schinkinger, „da wir dafür noch nicht alle Einverständniserklärungen haben.“

Insgesamt ist die Jugendkriminalität innerhalb von zehn Jahren in München zurückgegangen, so die Polizei. „Wellenartig“ sei dagegen die Entwicklung an den Münchner Schulen: Gab es 2009 noch einen Anstieg, verzeichnete die Polizei 2010 einen Rückgang um 10,9 Prozent oder 120 Delikte. 976 gemeldete Taten sind 2010 an Münchner Bildungseinrichtungen begangen worden. Die Zahl der Körperverletzungen nahm dabei um minus 11,8 Prozent ab, berichtet die Polizei. Auch Sachbeschädigungen gingen um diese Zahl zurück, dagegen stiegen schwere Sexual- (plus vier Fälle), Raub- (plus drei) und Rauschgiftdelikte (plus fünf). 
In Sachen Mobbing müsse in den seltensten Fällen die Polizei eingeschaltet werden, erzählt Frank Schallenberg, der auch angehende Lehrer zu diesem Problem schult. Schallenberg setzt bei der Gruppe, der Klassengemeinschaft, an. „Nur ein Erwachsener, also der Lehrer, kann die Attacken beenden und mit allen Schülern einen Lernprozess starten“. Die Kinder müssten wieder lernen, wie eine Gruppe funktioniert. Das helfe in den meisten Fällen. „Die Botschaft ist: Nicht das Opfer ist schuld, es kann mittlerweile jeden treffen, auch selbstbewusste Schüler.“ Zielscheibe seien auch oft Funktionsträger wie Streitschlichter oder Klassensprecher.

Mobbing-Beratung des JIZ

Herzogspitalstraße 24, kostenlos und anonym; Nächster Termin: 26. September, 14 bis 18 Uhr. Anmeldung unter Tel. 55 05 21 50 oder E-Mail info@jiz-muenchen.de. Zuvor kann ein telefonischer Beratungstermin mit Frank Schallenberg vereinbart werden, aber nicht in den Schulferien. Im JIZ oder auch unter www.jiz-muenchen.de gibt es ein Infofaltblatt zum Thema Mobbing.

Von Michaela Schmid

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Artikel vom 21.07.2011
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