Beulen am Trambahndach: Ist das Material schuld?

Schwabing · Unten hui, oben pfui

Oben drauf verschandeln Beulen und Blasen das Dach der Tramhaltestelle, von unten sieht man nichts. CSU-Rat Schmidbauer beantragte 2008, die Pläne für das Dach noch einmal zu überarbeiten. 	Fotos: scy/CSU

Oben drauf verschandeln Beulen und Blasen das Dach der Tramhaltestelle, von unten sieht man nichts. CSU-Rat Schmidbauer beantragte 2008, die Pläne für das Dach noch einmal zu überarbeiten. Fotos: scy/CSU

Schwabing · Errare humanum est – Irren ist menschlich, heißt es in einer lateinischen Redewendung. Aber ist Irren immer erlaubt? »Wenn man ein falsches Sakko kauft, dann tauscht man es halt wieder um. Aber wenn man ein falsches Dach baut, dann wiegt dieser Fehler sehr schwer.

Und lässt sich eben nicht so ohne Weiteres umtauschen«, sagt Werner Lederer-Piloty, Chef des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann (BA 12). Stimmt ja, denn nun ist der Schlamassel da: akuter Beulen-Alarm auf dem Blechdach des Tram- und Busbahnhofs an der Münchner Freiheit. Wem das bekannt vorkommt, kein Wunder. Denn bereits im Juni 2010, also nur ein gutes halbes Jahr nach der Eröffnung der neuen Haltestelle, gab es erste Schäden zu melden. Zig Flecken und Blasen hatten sich auf der giftgrünen Oberfläche gebildet, teilweise gab es ergraute Stellen. Mit Reparaturen bekam man die Sache in den Griff. Doch nun kränkelt das fünfeckige, rund 1.500 Quadratmeter große Stahldach wieder. Dabei hätte alles ganz anders kommen können. Denn wenn man jetzt nachfragt, so werden vor allem solche Stimmen laut, die »immer schon« dagegen waren.

»Die CSU hat das Stahldach bereits bei der Abstimmung vor drei Jahren abgelehnt«, sagt der baupolitische Sprecher der Fraktion, Stadtrat Mario Schmidbauer. Der Grund: Die Stahlvariante wich vom Siegerentwurf des Aachener Architekten Marcin Orawiec erheblich ab. Darin nämlich war ein glasfaserverstärktes Kunststoffdach vorgesehen. »Von einem Stahldach war im Wettbewerb nie die Rede«, so Schmidbauer. Stattdessen hätten die Stadtwerke München (SWM) im damaligen Wirtschaftsausschuss die neuen Pläne für das Dachmaterial der Haltestelle Münchner Freiheit vorgestellt. Schmidbauer beantragte daraufhin 2008, dass die Pläne für das Dachmaterial an der Haltestelle Münchner Freiheit nochmals überarbeitet würden und dem Stadtrat vorzulegen seien. Diesen Antrag habe die Rathausmehrheit abgelehnt, sagt Schmidbauer. Die CSU versuchte es einen guten Monat später erneut, diesmal mit einem Dringlichkeitsantrag. Von möglichen Dachschäden ahnte jedoch auch die CSU-Fraktion damals noch nichts. »Wir hatten vor allem die Ästhetik im Blick«, sagt Schmidbauer. Mit der Änderung des Materials sei die ursprünglich filigrane und lichte Wirkung des Daches gefährdet gewesen.

Kopfschütteln gab es in dieser Angelegenheit auch immer schon von Seiten des BA-12-Chefs Lederer-Piloty: »Wir können die Entscheidung für das Stahldach nicht nachvollziehen. Unser BA hat immer auf Umsetzung des Glasfaser-Kunststoff-Daches bestanden.« Dass auch Brandschutzgründe gegen die Kunststoff-Konstruktion gesprochen hätten, mag Lederer-Piloty, selbst Architekt, nicht so recht glauben. »Das Material ist sehr robust und bereits langjährig erprobt, es wird unter anderem beim Flugzeugbau eingesetzt«, erklärt er. »Und soweit ich weiß, hat der Wettbewerbssieger den Brandschutz für seinen Entwurf nachgewiesen.«

Deshalb vermutet Lederer-Piloty andere, gewichtigere Gründe, die dem Stahldach letztlich den Vorzug gaben. »Wie so oft, habe man wohl Kosten sparen wollen«, vermutet der SPD-Mann. »Doch wenn sich die Reparaturen häufen, geht dieser Schuss wohl nach hinten los.« Nachgefragt bei den Stadtwerken: Was war tatsächlich der Hauptgrund für die Entscheidung für die Stahl-Variante? »Eine Umsetzung in Glasfaser-Kunststoff-GFK mit Polyurethan-Kern wäre vor allem wegen des risikoreichen Genehmigungsverfahrens für den im Regelfall nicht zugelassenen Baustoff sowie des Herstellungsverfahrens nicht rechtzeitig realisierbar gewesen – und rund doppelt so teuer geworden«, so SWM-Sprecherin Bettina Hess.

»Eine Ausführung in Stahl war die einzige Chance, das Projekt überhaupt entsprechend des Stadtratsbeschlusses vollziehen zu können.« Die Sprecherin betont: »Nicht die SWM wollten das Dach, sondern der Stadtrat.« Die jüngsten Schäden seien, laut Aussage der SWM, nicht zu vergleichen mit den Schäden vom Juni 2010. Damals hätten sich Blasen gebildet aus Feuchtigkeitseinschlüssen in der Beschichtung aus der Bauzeit. Diesmal handle es sich laut SWM um »alltägliche Kleinschäden in Form von Macken und Kratzern, unter anderem witterungsbedingt verursacht«. Die jüngste Beseitigung der Blasen sei ein kleiner Teil der Routine-Wartung gewesen – neben Reparatur und Reinigung. Trotzdem, man werde die erneute Blasenbildung nicht so einfach hinnehmen. »Die SWM werden ein Gutachten beauftragen, um das genaue Schadensbild, die Ursache und die Verantwortlichkeiten zu klären«, so Sprecherin Hess.

Die Gemüter beruhigt das allerdings nicht. »Bei städtischen Bauten wird gepfuscht«, echauffiert sich Hans Podiuk. Derartige Vorgänge hält der Fraktionsvize der Rats-CSU für extreme Steuergeldverschwendung. Eines ist für ihn klar: »Für die Kosten zur Behebung des Dachschadens an der Münchner Freiheit dürfen auf keinen Fall die SWM-Kunden finanziell gerade stehen.« Denn irgendwer bleibe auf den Kosten schließlich sitzen. Nachdem im Jahre 2010 noch die Herstellerfirma in Regress genommen werden konnte, sei dies, so Podiuk, in diesem und in den Folgejahren fraglich.

Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 05.07.2011
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