Neuer Verein will Kinder mit Migrationshintergrund fördern

Giesing/Harlaching · Keiner geht verloren

Erfolgsmodell Hafis e.V. – Sümeyye, Dilarah, Abdullah und Sebil mit ihrem Hausaufgabenbetreuer und Projektinitiator Christian Dörr.	Foto: HH

Erfolgsmodell Hafis e.V. – Sümeyye, Dilarah, Abdullah und Sebil mit ihrem Hausaufgabenbetreuer und Projektinitiator Christian Dörr. Foto: HH

Giesing/Harlaching · »Die Kinder mit Migrationshintergrund dürfen nicht verloren gehen – wer die Muttersprache im neuen Land nicht kennt, für den bleibt alles Fremdsprache und er selbst ein Fremder!« Deutlicher hätte Christian Dörr von der »Hausaufgabenbetreuung für internationale Schüler (Hafis e.V.)« seine eigene Motivation nicht umschreiben können, …

…die ihn seit fünf Jahren in München mit viel ehrenamtlichem Engagement in der Hausaufgabenbetreuung für Kinder mit Migrationshintergrund werkeln lässt. Zuerst seit 2005 in Moosach, richtet sich das Angebot seit März 2010 auch an Kinder der zweiten bis vierten Klassen an der St.-Martin-Schule. »In Moosach haben wir eine breite Streuung von jungen Menschen aus vielen Herkunftsländern, die in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben und die wir mit unserem freiwilligen Betreuungsangebot unterstützen.

In Giesing sind es dagegen allesamt Kinder aus türkisch-stämmigen Familien«, erzählt Initiator Dörr beim Ortstermin. »Der Bedarf ist in beiden Stadtteilen groß – wir wollen das Angebot möglichst noch intensivieren.« Doch auch bereits jetzt kann sich sein Projekt sehen lassen. Rund 25 Kinder werden aktuell von Dörr und seinen hoch motivierten Ehrenamtlichen umfangreich betreut. Es ist mittlerweile 14 Uhr: die ersten Kinder wie Abdullah aus der 3a oder Dilarah aus der 4c haben ihre riesigen Schulranzen im Schlepptau das Zimmer 209 der St.-Martin-Schule erreicht. Dörr erzählt noch schnell vom guten Kontakt mit der Schulleitung, die er auf einer Freiwilligen-Messe kennenlernte. Danach muss sich der ­Pädagoge, der selbst Ger­manistik, Philosophie und ­Komparatistik studierte, erst einmal um seine kleinen Ankömmlinge kümmern.

Abdullah hat seinen Schulranzen längst platziert, Federmäppchen, Stifte und Block herausgeholt und macht sich ans Arbeiten. In der ersten Nachmittagsstunde erledigen die kleinen Pennäler ihre aktuellen Hausaufgaben – die Köpfe rauchen bald schon über den Tücken des Einmaleins oder der deutschen Grammatik. Deutsch – »das ist ohnehin Basis und Grundlage unserer Arbeit hier«, erzählt Dörr. Täglich sind die Kinder bis 17 Uhr hier in der Schule unter seiner Obhut und der seiner Mitstreiter. Ab 15 Uhr steht dann die Deutschförderung im Mittelpunkt. Auf die Kinder warten Diktate, Aufsätze oder Nacherzählungen. Dazwischen zeigt die gerade eingetroffene Dilarah aus der 4c dem »Herrn Dörr« voller Stolz den neuen Eintrag in ihrem Deutschheft. Eine glatte Eins im Diktat hat sie bekommen. Dörr notiert akribisch einen Pluspunkt für die junge Dame.

Wer zehn solcher Punkte gesammelt hat – bekommt als Geschenk ein Buch. »Lesen, lesen und nochmal lesen sollen die Kinder – das ist die Basis«, umreißt der Pädagoge. Doch nur kognitiv will er die Jungs und Mädchen auch nicht beanspruchen. Heiß ersehnt ist bei Abdullah und Co. die Zeit zwischen 15.15 und 15.45 Uhr. »Dann spielen wir Fußball und Völkerball«, berichtet er begeistert. »Seilhüpfen ist auch dabei«, wirft die kleine Sebil aus der 4c schnell noch ein. Danach heißt es wieder über den Aufgaben brüten – aber um 17 Uhr ist täglich Schluss mit Kopfrechnen und Mathe, Leseproben und Vokabelabfragen.

Vor allem aber bieten Dörr und Co. in einer an Ganztagesschulplätzen und Gesamtschulen immer noch armen Landeshauptstadt ein wichtiges Nischenangebot. »Es gibt diese typische Familie, aus der die Kinder hier stammen«, plaudert Dörr aus dem Nähkästchen. »Mit einer Mutter, die wenig deutsch spricht und viele Kinder hat – und einem Vater, der zwar gut deutsch spricht, aber oft in mehreren Berufen und Jobs schuftet, um die Familie über Wasser zu halten.« Diese Menschen seien dankbar für das Angebot und oft schlicht überfordert, ihre Kinder bei Hausaufgaben und anderem adäquat zu betreuen.

100 Euro kostet diese Form der Fürsorge mit rund 70 Stunden im Monat – einkommensschwache Familien können die Kostenerstattung bei den Sozialbürgerhäusern beantragen. »Dazu springen Gott sei Dank auch immer wieder Sponsoren wie die Castringius Kinder- und Jugendstiftung in die Bresche und finanzieren die Betreuung für einzelne Kinder oder Gruppen.« Denn die Initiative müsse ja selbst auch die Räume bezahlen. Deshalb gebe es großen Unterstützungsbedarf. »Doch die Wirtschaft hält sich bei den ganz Kleinen noch merklich zurück«, kritisiert der Betreuungsmacher. Aber auch die Politik hat Dörr im Visier. »Es reicht nicht, über Bildung und Integration zu reden – man muss endlich auch etwas tun«, fordert er rasches Handeln. Auch die Stadt will er noch mehr ins Boot holen. »Wir wollen da fester Kooperationspartner der Kommune sein«, umreißt er die Bestrebungen seines Vereins »Hafis« für die Zukunft. Derzeit sei man mitten im Anerkennungsverfahren. »Schließlich schließen wir hier eine echte Bildungsversorgungslücke!«

Mitmachen am Betreuungsangebot können alle Familien mit Migrationshintergrund. Sie und potentielle Sponsoren erreichen »Hafis e.V« und Christian Dörr unter Tel. 01 77/3 00 23 01 oder können im Internet unter www.lernhilfe-hafis.de erste Eindrücke gewinnen. »Natürlich suchen wir immer auch ehrenamtliche Mitstreiter«, beeilt sich Dörr noch zu ergänzen. Dann drängt Abdullah zur Eile – er will endlich kicken mit seinem Lernmentor.

Harald Hettich

Artikel vom 11.01.2011
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