Münchner Kabarettisten sezieren das Jahr 2010

München · Wiesn-Spa und Westerwellen

v.l. Luise Kinseher, Holger Paetz und Chris Boettcher. Fotos Martina Bogdahn und VA

v.l. Luise Kinseher, Holger Paetz und Chris Boettcher. Fotos Martina Bogdahn und VA

München · Der Jahreswechsel ist ja traditionell der Moment, um Bilanz zu ziehen und in die nahe Zukunft zu schauen – und was macht mehr Freude, als genussvoll Peinlichkeiten und Persönlichkeiten, Tops und Flops der vergangenen Monate unter die Lupe zu nehmen, und zwar mit dem gebotenen Maß an Mut zur Wahrheit.

Und manchmal hilft einfach nur noch Satire! Wer wäre also besser geeignet für unseren SamstagsBlatt-Jahresrückblick als drei ausgewiesene Münchner Meister ihres Fachs: Die Kabarettistin und Schauspielerin Luise Kinseher, die im März als Fastenrednerin „Bavaria“ am Nockherberg der versammelten Politprominenz hoffentlich ordentlich die Leviten lesen wird und von 4. bis 8. Januar im „Weißen Rössl“ im Lustspielhaus für gute Laune sorgt; Holger Paetz, Kabarettist und Autor des Nockherberg-Singspiels, der im Turmstüberl des Valentin-Musäums zum satirischen Jahresrückblick einlädt (27., 28., 30. und 31. Dezember, jeweils 19 Uhr); und Comedian Chris Boettcher, der nicht nur Loddar und Franz kongenial aufs Maul schaut, sondern allerlei Phänomenen unserer lustigen Medien-, Show- und Politikwelt.

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Mittlerweils wirkt die Realität ja manchmal wie gut erfunden. Stichwort Wikileaks: „Die amerikanischen Botschaftsberichte!“ antwortet Luise Kinseher auf die Frage, was 2011 unbedingt besser werden muss. „Der Geheimdienst sollte sich ein bisschen mehr anstrengen und die Beurteilung der bayerischen Staatsregierung nicht von den Kabarettisten abschreiben.“ Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg schneidet bei unseren Kabarettisten jedenfalls sehr gut ab.

Für Holger Paetz ist er „natürlich“ der Held des Jahres, denn: „Für unser adliges Breitbandspektrum ist kein Problem unlösbar: Die Wehrpflicht wird es erstens mit mir immer geben, man kann sie aber auch zweitens abschaffen, oder drittens auf sechs Monate begrenzen, oder viertens freiwillig verlängern. Ich bin dabei.“ Luise Kinseher bedauert, dass Guttenberg „immer noch nicht Präsident der Vereinigten Staaten ist“.

Dafür Chris Boettcher, dass wir als Präsidenten seit 2010 Christian Wulff haben, „die wandelnde Büroklammer aus Schloss Bellevue“. Es entscheide hierzulande halt immer noch die Kanzlerin, wer Präsident aller Deutschen ist, frotzelt Boettcher: „Und sie hat das entscheidende Persönlichkeitsprofil für den höchsten Job im Land neu definiert: nur nicht auffallen!“ Auch sonst kommt die Kanzlerin nicht gut weg bei dem Comedian: „Besonders schief gelaufen sind die Bemühungen unserer Frau Bundesmerkel, den Banken schärfere Kontrollen aufzuerlegen. Wenn so was Kontrolle ist, dann ist Guido Westerwelle Außenminister!“

Der ist für Luise Kinseher „eindeutig“ der Antiheld 2010: „Tragisch: Durch eigenes Unvermögen von Hundert auf Null“, urteilt die neue Fastenpredigerin und rät: „Er sollte zu Hause bleiben und für seinen Mann den Haushalt machen“. Und vielleicht in die neue Produktion von Chris Boettcher reinlesen: Der freut sich auf das Erscheinen seines ersten Comedy-Romans im Januar 2011. „Er handelt von einem Mann um die 40 und heißt bezeichnender Weise: „Die Krone der Erschöpfung“.

Die sieht Holger Paetz, der übrigens Guido Westerwelle beim Nockherberg-Singspiel darstellt, für Bayerns Ministerpräsidenten erreicht: „Tragisch“ fand er jedenfalls Horst Seehofer 2010 und zwar „am Ende des CSU-Parteitags am 29. Oktober. „Er dachte es seien „standing ovations“, dabei waren schon alle aufgestanden, um heimzugehen“.

Gab es denn auch Erfreuliches dieses Jahr? „In der Spätsommersonne eine Maß Bier im Herzkasperlzelt auf der Historischen Wiesn“, beschreibt Luise Kinseher ihren schönsten Moment 2010 – nicht ohne einen ironischen Seitenhieb: „Im ausgewiesenen Wiesngängerschutzgebiet, im Reservoir für bedrohte Gemütlichkeit, praktisch im bayerischen Wiesn-Spa-Resort. Mei, war des schee!“ Wie schön, dass die historische Wiesn auch 2011 wieder stattfinden soll – an dem geplanten Namen „Oide Wiesn“ kann der Stadtrat ja noch feilen... Michaela Schmid

Artikel vom 23.12.2010
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